Versorgungssicherheit & Autarkiekonzepte Delikates Gleichgewicht

ABB AG



28.08.2013

Das Stromnetz ist die physikalische Basis für die Energiewende. Das Projekt „Riesling“ soll helfen, die Netze sicher und stabil zu betreiben, und sorgt dafür, dass Energieerzeugung und -verbrauch sich decken.

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Die Einspeisung aus dezentralen Energieerzeugungsanlagen ruft in ländlichen Verteilungsnetzen zunehmend Spannungsprobleme hervor. Die Einhaltung des quasistationären Spannungsbandes bei Endkunden sowohl im Nieder- als auch Mittelspannungsnetz wird daher zu einer immer größeren Herausforderung für Netzbetreiber. Zudem müssen bei der Einspeisung regenerativer Energie ins öffentliche Netz die nach DIN VDE 50160 zulässigen Spannungs-grenzen eingehalten werden. Gleichzeitig darf es zu keiner thermischen Überlastung von Betriebsmitteln kommen.

Im Gebiet des Netzbetreibers EnBW ODR liegt der Anteil der erneuerbaren Energien deutlich über dem Bundesdurchschnitt: Einem Maximalwert der Last von rund 520 MW steht eine installierte Leistung der EEG-Anlagen von 650 MW gegenüber. An Wochenenden mit geringer Last werden bis zu 210 MW an das vorgelagerte 110-kV-Netz zurückgeliefert.

Damit Verteilnetzbetreiber, wie EnBW ODR und EnBW Regional, diese Aufgabe stemmen können, arbeiten sie vor allem in zwei Richtungen: Sie bauen ihre Netze aus und entwickeln gleichzeitig neuartige Regelmechanismen, die Überschreitungen des zulässigen Spannungsbands und thermische Überlastungen verhindern sollen.

Verteilnetz-Automatisierung und intelligente Netzsteuerung

Die Unternehmen ABB, Deutsche Telekom sowie EnBW ODR und EnBW Regional haben dafür Anfang 2011 im Nördlinger Ries das Projekt Riesling gestartet.

Neben neuen Funktionen im Netzleitsystem ist die Entwicklung von Produktlösungen zur effizienten und stufenweisen Automatisierung von Netzstationen zentrales Ziel. Die erarbeiteten Pakete werden im Projekt erprobt und sollen als optimierte, modulare Standardlösungen im Feldeinsatz getestet und angepasst werden.

Die neuinstallierte Mess- und Fernwirktechnik ermöglicht die Beobachtung des Netzzustandes mittels Leistungsflussmessungen und die Lokalisierung von Kurz- und Erdschlüssen im Mittelspannungsnetz. Fernbedienbare Lasttrennschalter schalten diese automatisiert frei. Das reduziert den Aufwand und die Dauer für die Wiederversorgung nach einem Fehlerfall.

Elektronischer Spannungsregler

Um den eingangs erwähnten Spannungsproblemen zu begegnen, regelt im Projekt Riesling der aktive Spannungsregler PCS100 AVR (Active Voltage Regulator) die Niederspannung. Er basiert auf leistungselektronischen Umrichtern und wird unabhängig vom Transformator seriell in die Niederspannungsverteilung eingebunden.

Die Leistungselektronik erzeugt eine stufenlose Korrekturspannung und prägt sie über einen sogenannten Boost-Transformator ein. Die Reglereinheit erfasst die Netzspannung und steuert die Wechselrichter.

Optimierte Spannungsregelung

Der Regler gewährleistet dadurch eine kontinuierliche Spannungssteuerung sowie die Ausregelung von Unsymmetrien der Spannung zwischen den Phasen. Dem aktiven Regler kann die Spannung über einen einstellbaren Sollwert vorgegeben werden, sodass unterschiedliche Verfahren zur Spannungsregelung realisierbar sind.

In der intelligenten Ortsnetzstation des Projektes Riesling wurden drei Verfahren zur Spannungsregelung in der Kompaktfernwirktechnik RTU540 realisiert:

– Verfahren 1: Die Niederspannung lässt sich auf einen durch das Netzleitsystem vorgegebenen konstanten Sollwert regeln.

– Verfahren 2: "Intelligente" Zähler an ausgewählten Netzknotenpunkten innerhalb des Versorgungsnetzgebietes der Ortsnetzstation sorgen für die Weitbereichsregelung. Aus diesen repräsentativen Spannungsmessungen wird über einen Regelalgorithmus der Spannungssollwert für den Spannungsregler ermittelt.

– Verfahren 3: Die Vorgabe des Spannungssollwertes erfolgt auf Basis des Leistungsflusses über den Ortsnetztransformator (sogenannte Leistungskompoundierung). Mittels eines leistungsproportionalen Korrekturfaktors ist das Verhalten der Regelung beeinflussbar.

Die Verfahren wurden hinsichtlich ihrer Effektivität und ihrer Auswirkungen auf das Niederspannungsnetz analysiert. Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Regelverfahren wurden Messdatenreihen an Tagen mit hoher Globalstrahlung berücksichtigt. Die entsprechend hohe Einspeiseleistung aus den Photovoltaikanlagen ist mit einem signifikanten Spannungsanstieg im Niederspannungsnetz verbunden.

Die Untersuchungen der Spannungsregelung auf einen konstanten Sollwert (Verfahren 1) haben gezeigt, dass das Regelpotenzial des installierten Spannungsreglers nicht vollständig ausgenutzt wird. Da die Spannung an der Niederspannungssammelschiene unabhängig vom Leistungsfluss auf einen festen Sollwert geregelt wird, ist ein Spannungsanstieg an den Kundenanschlüssen unabdingbar. Auch das zur Verfügung stehende Spannungsband im Niederspannungsnetz wird nicht optimal genutzt. Änderungen in der Netztopologie und der Zubau von Photovoltaikanlagen beeinflussen den Anstieg der Spannung an der Sammelschiene zusätzlich.

Die Analyse des Regelverfahrens auf Basis der Spannungsmessungen aus den installierten Zählern (Verfahren 2) hat gezeigt, dass der Spannungssollwert für die Regelung optimal ermittelt wird. Neben dem gegenwärtigen Netzzustand, werden auch die Auswirkungen der Regelung für die Bestimmung des Spannungssollwertes berücksichtigt. Die Realisierung dieses Regelverfahrens unterliegt jedoch dem zukünftigen Einbau von "intelligenten" Zählern oder anderen Messsystemen im Niederspannungsnetz. Mögliche Übertragungswege (GPRS, UMTS, DSL) müssen kostengünstig, sicher, ausreichend breitbandig und den datenschutzrechtlichen Anforderungen entsprechend bereitgestellt werden. Für die optimale Ausnutzung des Spannungsbandes sind die Zähler an repräsentativen Mess-punkten im Versorgungsnetz zu installieren.

Aufgrund der Verwendung des Leistungsflusses über den Ortsnetztransformator als lokalen Messwert in der Station werden bei der leistungsabhängigen Spannungsregelung (Verfahren 3) aktuelle Spannungswerte im Niederspannungsnetz nicht berücksichtigt. Durch den leistungsproportionalen Korrekturfaktor lässt sich die Regelung jedoch auch aggressiver oder defensiver gestalten. Für die aggressive Regelung ergibt sich ein hoher Reglereinsatz der mit hohen Spannungsschwankungen an der Niederspannungsverteilung verbunden ist. Eine defensivere Regelung nutzt zwar das Spannungsband nicht optimal aus, minimiert jedoch die Spannungsschwankungen. Diese Regelung benötigt keine zusätzliche Mess- und Kommunikationsinfrastruktur im Niederspannungsnetz, erzielt aber dennoch eine erheblich bessere Ausnutzung des Spannungsbandes als die Regelung auf einen festen Sollwert.

Der elektronische Regler kann die Spannung so regeln, dass die Erzeuger mehr volatile Energie einspeisen können, ohne das Spannungsband zu verletzen. Das führt zu einer längeren Nutzbarkeit der bestehenden Infrastruktur und vermeidet Netzausbaukosten oder verschiebt sie teilweise in die Zukunft. Die Wahl des Regelverfahrens hängt dabei letztlich von der Verfügbarkeit der benötigten Messdaten in den Netzstationen und in den unterlagerten Niederspannungsnetzen sowie der Telekommunikationsinfrastruktur ab.

Kommunikationsinfrastruktur

Die Automatisierung des Verteilnetzes erfordert eine sichere und zuverlässige Kommunikation zwischen allen Netzelementen. Außerdem verlangt das Verfahren der Spannungsregelung auf Basis der dezentralen Erfassung und Bewertung von Messwerten an kritischen Punkten im Verteilnetz neben dem Einsatz von intelligenten Messwertgebern auch nach einer entsprechenden Kommunikationsanbindung derselben.

Im Pilotprojekt wurden diese Anforderungen mit intelligenten Zählern an den Einspeisepunkten von Photovoltaikanlagen gelöst. Einerseits erfassen sie im Rahmen des Smart Metering die eingespeiste elektrische Arbeit und übertragen diese auf zertifiziertem Weg zum Netzbetreiber. Andererseits messen dieselben Zähler Parameter zur Netzqualität wie etwa die Spannung pro Phase mit einem Messintervall von fünf Sekunden und übertragen sie über gesicherte Verbindungen zur Smart-Grid-Kommunikations-Plattform. In einer sogenannten virtuellen Remote-Terminal-Unit (vRTU) werden die Messwerte nach einem Schwellwert-Algorithmus bewertet und der Netzleitstelle oder der Spannungsregelung in der Ortsnetzstation per Kommunikations-Protokoll nach IEC 60870-5-104 zur Verfügung gestellt.

Die Implementierung der Smart-Grid-Kommunikations-Plattform erfolgte auf Basis eines privaten Netzwerks ohne Verbindung zum öffentlichen Internet mit aktuellen Sicherheitsalgorithmen. Damit wird der bislang noch oft vernachlässigten Problematik von Angriffsszenarien gegen die Leittechnik sicher vorgebeugt. Der Zugang zur Plattform mit gemanagter Kommunikationsinfrastruktur kann unabhängig vom physikalischen Medium erfolgen (Mobilfunk, DSL, Kabel).

Wende im Verteilnetz

Die Energiewende findet zu einem großen Teil in den Stromverteilnetzen statt. Es sind neue Ideen gefragt, um die wachsenden Anforderungen an die komplexe Steuerung der Netze gemeinsam zu meistern. So benötigt die Verteilnetzautomatisierung als Baustein des Smart Grid einen ganzheitlichen Ansatz bestehend aus zentralen und dezentralen Lösungen. Dabei sind intelligente Verfahren zur Spannungsregelung ein Schlüssel zum sicheren Netzbetrieb und damit zur Realisierung der Energiewende.

Weitere Informationen

[1] S. Kämpfer, et al.: Das Projekt RiesLing - Verteilnetzautomatisierung im Praxistest,

VDE-Kongress 05.-06.11.2012, Stuttgart,2012

[2] J. Backes, et al.: Das Pilotprojekt RiesLing- effizienteAutomatisierung und

innovative Leitsystemfunktionen für Netze mit hohem Anteil an dezentralerErzeugung,

VDE-Kongress 05.-06.11.2012, Stuttgart,2012

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