Bei seinem Forum hat der Bundesverband der Energiemarktdienstleister (BEMD) seine Kurzbefragung über Potenziale, Chancen, aber auch Risiken der digitalen Transformation vergangene Woche in München erstmals öffentlich präsentiert und mit einem Reigen von Vorträgen, über die wir hier berichten, in einen größeren Kontext gesetzt.
Für die Thüga-Tochter Conergos ist die Digitalisierung des Kerngeschäfts von Energieversorgern ein strategisches Geschäftsfeld, dem sie sich zunehmend widmet und daher auch als Gastgeber des auftrat. Aufgrund der mangelnden Investitionsbereitschaft vieler KMU seien allerdings die Hemmnisse noch groß, wie Geschäftsführer Georg Lessak erläuterte – beispielsweise auch schon bei Aufbau von Internetplattformen.
Ganzheitlicher Digitalisierungsansatz
Ein großes Missverständnis der Digitalisierung, so Achim Himmelreich, Vizepräsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) und Partner bei Mücke, Sturm und Company, besteht darin, dass man die einfache Umwandlung seiner Geschäftsprozesse in eine digitale Form überbewertet. Ein Beispiel hierfür sind Web-Auftritte oder Online-Shops, die für sich allein erst einmal oft nur bisherige Geschäftsmodelle ins Internet verlängern.
Erdrutschartige Veränderungen ergeben sich jedoch laut Himmelreich meist erst dann, wenn sich physischen Komponente bisheriger Geschäftsprozesse – zum Beispiel Tonträger – durch Digitalisierung – im Beispiel: herunterladbare Dateien – ersetzen lassen. Das befreit Güter von ihren physischen Restriktionen und schafft völlig neue Geschäftsmodelle.
Die Erfahrung zeige jedoch, dass oft Innovatoren aus anderen Branchen substantielle Abschnitte der neuen Wertschöpfungskette erobern, wenn traditionelle Geschäftsmodelle wegbrechen. „Digitale Transformation ist das ganzheitliche Hinterfragen des existierenden Geschäftsmodells vor dem Hintergrund der Möglichkeiten der Digitalisierung“, lautete daher die Forderung.
Lernen von den Banken
Dass die Energiebranche auf dem Weg zur Digitalisierung schon eine Menge von Banken lernen kann, machte Markus Thiedtke deutlich, Senior-Spezialberater Zahlungsverkehr bei der Deutschen Bank in Bremen. So begrüßt das Bankhaus Newsletter-Abonnenten mit einer Einschätzung zum Börsentag – und hofft dann, dass sich die Kunden auch über ihre Services und Mitarbeiter Geschäfte tätigen.
Andere Beispiele für Möglichkeiten der Digitalisierung sind
die Smart-Überweisung, bei der der Kunde eine Rechnung nur noch abfotografieren muss, um eine Überweisung vorzubereiten,
der Schnellzugriff auf den Kontostand über den Fingerabdruck-Sensor des iPhones oder
die Kreditkarten-App „Meine Karte“, die die Kreditkarte beispielsweise selektiv für das Ausland sperren kann. Umsätze, die sonst nur monatlich erscheinen, zeigt sie in Echtzeit und kann sie mit abfotografierten Belegen verknüpfen.
Eine Beratung per Video spart den Beratern angesichts sinkender Filialdichte die immer längeren Wege zu Kunden. Die technische Umsetzung sei meist unproblematisch, meint Thiedtke, doch damit kein unprofessioneller Eindruck entsteht, gilt es so manche praktischen Fettnäpfchen aus dem Weg zu räumen. Beispielsweise müsse man für eine angemessene Videokabine als Hintergrund sorgen.
Sind das nur Spielereien oder nützliche Angebote? Tatsächlich komme die Forderung nach solchen Angeboten wie digitale Kontoauszüge heute oft von Kunden. „Die Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie funktioniert aber im Unternehmen nur von oben nach unten“, ist die Erfahrung von Thiedtke, „und sie braucht Zeit und Geld.“.
Digitale Angebote erreichen nur einen Teil der Kunden
Einen Kontrapunkt setzte Michael Teigeler, Geschäftsführer der Stadtwerke Heidelberg Energie. Er erinnerte daran, dass möglicherweise die Geschäftschancen gerade für Stadtwerke angesichts der guten regionalen Verwurzelung im „analogen Teil der Digitalen Welt“ liegen, auch wenn es gilt, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen.
Jedenfalls müssen Stadtwerke sich bewusst sein, dass sie mit einem digitalen Angebot nur etwa 30 bis 40 Prozent ihrer Kunden erreichen und Vorbehalte bestehen: Knapp 50% der Kunden haben bei Online-Verträgen Sicherheitsbedenken, 37 % fürchten Servicedefizite, ergab eine Umfrage der Stadtwerke Heidelberg.
Auch nutzen Surfer die digitalen Angebote oft anders, als sich die Macher das vorstellen. So ist die meistgeklickte Webseite der Stadtwerke Heidelberg die mit den Öffnungszeiten der Bäder. „Unserer Kunden Nutzen das World Wide Web um unser lokales Angebot zu erfahren“, so Teigeler.
Das richtige Maß für die Digitalisierung finden
Teigeler bewertete die Digitalisierung jedoch als wichtigen Baustein für die Produktentwicklung. Nutzen stiften können dabei bereits kleine Schritte. So haben die im Rahmen des Heidelberger Bahnstadt-Projektes installierten 1100 Smart Meter Einsichten über das Stromnutzungsverhalten der Bevölkerung gebracht: So identifizierten die Heidelberger mit Hilfe einer Analyse von Singularitäten beispielsweise das Phänomen „Heidelberger Sonntagsbrunch“.
Ähnlich anschaulich benennt er andere Folgen veränderter Lebensgewohnheiten wie die Verschiebung der Mittagsspitze in den Abend (studentische „Spät-Pizzabäcker“) und das Ausbleiben von Abendspitzen bei Großveranstaltungen, das mit dem Denglisch gerne als „Public Viewing“ bezeichneten Lebensstil zusammenhängt.
Ziel sei, ein Lastprofil für Heidelberg zu entwickeln, da bei Verwendung des Standard-Lastprofils Abweichungen in der Mehr- und Mindermengen-Abrechnung und im Differenzbilanzkreis auftreten, weil das H0-Profil nicht mehr die Gewohnheiten aller Kunden widerspiegelt. Dafür reichen aber die ausgebrachten Smart Meter längst – eine weitere Installation von Geräten würden die Daten nicht mehr signifikant verbessern.
Weitere Informationen
Es ist geplant, das Forum „Digitalisierung“ ein weiteres Mal im September 2015 in Norddeutschland (im Raum Bremen, Hannover oder Hamburg) anzubieten. Anfragen bitte direkt an geschaeftsstelle@bemd.de.
Ergebnisse der BEMD-Kurzbefragung: Potenziale, Chancen, Risiken