5 Bewertungen

Sascha Dörr, Geschäftsführer bei Cortility, im Interview Lieferanteninsolvenzen automatisiert bewältigen

Sasch Dörr, Geschäftsführer bei Cortility, in einem Interview zu der Problematik mit den Insolvenzen im Energiesektor.

Bild: Cortility
09.06.2022

Die Digitalisierung hält schon seit längerem Einzug in die Energiewelt. Nicht nur das: auch automatisierte Prozesse können besser dargestellt werden. Sascha Dörr von 
Cortility steht Rede und Antwort, wie sie dies auf Basis der Common-Layer-Technologie angehen.

Herr Dörr, warum werden Insolvenzen im Energiesektor immer mehr zum Problem?

Es geht nicht mehr nur ausschließlich um Stromlieferanten. Im Zuge des Ukraine-Krieges betrifft es auch vermehrt Gasanbieter, die in wirtschaftliche Schieflage geraten. Was 2021 noch eine große Besonderheit war, wird aufgrund der Marktentwicklung nun zum aufwändigen Tagesgeschäft für Netzbetreiber: insolvente Energielieferanten.

Was war denn die ursprüngliche Ursache?

Die Stromanbieter mussten 2021 zunehmende Energiemengen an den stetig teurer werdenden Spotmärkten einkaufen. Mit ihren Kunden sind allerdings häufig Langzeitverträge mit Preisbindung vereinbart. Die Mehrkosten können somit nicht weitergegeben werden. Diese Ausgangslage führte bei einigen Marktpartnern zur Insolvenz, wohingegen andere die Reißleine zogen und sich vom Geschäftsfeld abwendeten. Bekannte Namen sind Neckermann Strom, Stromio oder Grünwelt Energie.

Was sind denn die Herausforderungen für die Unternehmen, die für die insolventen Energielieferanten einspringen?

Bei den vorgenannten Firmen sind Zehntausende Endkunden von Insolvenzen betroffen. Die Insolvenz eines Energielieferanten muss schnell und unmittelbar im System umgesetzt werden. Diese gesetzliche Verpflichtung zum Einleiten der notwendigen Schritte bringt, aufgrund der großen Anzahl betroffener Kunden, einen hohen Arbeitsaufwand mit sich. Um den zunehmenden Aufwand auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, erfordert diese neue Situation einen möglichst hohen Automatisierungsgrad in der eingesetzten Lösung. Als innovatives Unternehmen hat Cortility daher vorausschauend bereits Mitte 2021 einen Prozess auf Basis der Common-Layer-Technologie entwickelt. Dieser automatisiert den Prozess bei Insolvenzen von Energielieferanten.

Ist es richtig, dass Sie bei ihrer Entwicklung eine standardisierte SAP-Lösung modifiziert haben? Und können Sie schon auf abgeschlossene Projekte zurückblicken?

Wie bei Cortility üblich nutzen wir vorhandene Prozesse, Reports sowie Strukturen in den SAP-Lösungen. So entwickeln wir effiziente neue Lösungen und bleiben eng am SAP-Standard. Hierdurch werden Fehler vermieden und es erleichtert die Anpassung bei sich verändernden Rahmenbedingungen in der SAP-Landschaft. Das ist unser kosteneffizienter und nachhaltiger Ansatz bei den meisten Entwicklungen. Bezogen auf die Entwicklung unserer Lösung für den Lieferanteninsolvenz-Prozess, haben wir drei Ziele verfolgt: Erstens sollte der Prozess möglichst schlank und einfach ablaufen. Zweitens sollten die Verfahrensschritte so weit wie möglich automatisiert werden. Und Drittens haben wir großen Wert daraufgelegt, dass der Status quo und die vorhandenen Daten übersichtlich dargestellt sind. Die mit unserer Lösung in den letzten Monaten abgewickelten Lieferanteninsolvenzen zeigen, dass wir diese Ziele erreicht haben. Unsere Kunden sind ausgesprochen zufrieden.

Können Sie uns näher beschreiben, wie ihre Lösung aussieht?

Zunächst startet der Prozess bei einer Lieferanteninsolvenz einen Selektionsreport. Über die Eingabe des insolventen Lieferanten ermittelt unsere Lösung die betroffenen Verträge und stellt sie mit einem List-Viewer übersichtlich dar. In diesem ALV können dann die gewünschten Marktlokationen einzeln oder gebündelt ausgewählt werden. Für jede dieser Marktlokationen wird ein eigener Prozess gestartet, der über ein Prozessdokument abgebildet wird. Abschließend wird geprüft, ob der hinterlegte Lieferant tatsächlich als insolvent eingepflegt wurde. Bei insolventen Lieferanten und aktuell zugeordneten Marktlokationen wird zum Prozessdatum ein Auszug angelegt. Dieser kann auch befristet sein, wenn bereits ein Einzug eines weiteren Lieferanten für die Zukunft existiert. Handelt es sich dagegen um eine zukünftige Zuordnung, wird der Einzug storniert. Als EDIFACT-Nachricht geht die jeweilige Infomeldung an den insolventen Lieferanten. Damit der Endkunde lückenlos versorgt ist, wird der Grund- oder Ersatzversorgungs-Prozess automatisch angestoßen. Dieser EoG-Prozess hat zum Ziel, den Kunden am Ende möglichst nahtlos in die Ersatzversorgung zu bringen. Der Prozess erkennt dabei selbstständig, ob die Ersatzversorgung befristet oder unbefristet erfolgt.

Was wird aus ihrer Sicht die nahe Zukunft bringen?

Die aktuelle politische Lage können wir nicht hinreichend beurteilen um daraus Schlüsse zu ziehen, allerdings liegt die Vermutung nahe, dass in naher Zukunft weitere Lieferanten in wirtschaftliche Schieflage geraten werden. Wir hoffen auf ein baldiges und friedliches Kriegsende, aber auch dieses wird die Lage an den Energiemärkten nicht so schnell wieder normalisieren. Ein zeitnahes Ende der Insolvenz-Welle ist zumindest zweifelhaft.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel