Energy 4.0:
Ein Statement von Ihnen ist: „Smarte Energie fängt mit smarten Führungskräften an“. Wie genau verstehen Sie das?
Regina Harms:
Unter smarten Führungskräften verstehe ich Personen, die ein strategisches und abstraktes Denkvermögen sowie eine mediale Kommunikationsstärke besitzen. Die aber zudem bereit sind, Verantwortung zu teilen und die Flexibilität und den Mut besitzen, neue Wege auf unbekanntem Terrain zu gehen. Eine smarte Führungskraft hat meines Erachtens verstanden, dass Energie in Zukunft weitaus mehr umfasst als die klassische Wertschöpfungskette, heißt die reine Produktion, Verteilung und Abrechnung von Strom, Gas und Wasser. Smarte Energie verknüpft bei intelligenter Nutzung alle vorhandenen Ressourcen und Kooperationsmöglichkeiten auf allen Ebenen und in unterschiedlichen Industriesektoren. Das intelligente Stromnetz bietet vielfältige Lösungen, die das Bedürfnis der Kunden nach Komfort, Service und Einfachheit der Prozesse befriedigen. Die richtige Führungskraft kann dafür sorgen, dass das Potenzial der Energiewende genutzt und sich das Unternehmen langfristig etablieren kann. Ein scheues Reh oder ein Manager mit alten Denkmustern kommt in einem solch dynamischen Umfeld nicht weit.
Wie können Unternehmen passende Führungskräfte akquirieren?
Am besten durch die gezielte Weiterentwicklung eigener Mitarbeiter und Führungskräfte. Das muss dann aber rasch erfolgen, denn wir stellen fest, dass erfolgreiche Manager kürzere Zeiten in ihren jeweiligen Positionen verbringen und schnell weiterkommen wollen. Ist das intern nicht möglich oder dauert zu lang, sind externe Angebote immer verlockend. Ein sicherer Weg für die Gewinnung passender Führungskräfte ist der Executive Search, beziehungsweise die Direktansprache von potenziellen Führungskräften. Hier sollte ein besonderer Wert auf ein entsprechendes Netzwerk von nationalen und internationalen Kontakten gelegt werden. So gelingt auch der Blick über den Tellerrand in andere Branchen. Die Klienten profitieren dadurch von einer Art kollektivem Wissenstransfer.
Gibt es dafür spezielle branchenbezogene Plattformen abseits von LinkedIn und Xing?
Der Weg über branchenspezifische Plattformen eignet sich für die Besetzung von Führungspositionen und Top-Managern weniger. Dort fühlen sich in Frage kommende potenzielle Kandidaten oft nicht angesprochen oder nutzen diese Tools erst gar nicht. Hier hilft oft nur die direkte Ansprache in Frage kommender Kandidaten. Diese sollten sowohl das Branchenverständnis, spezifisches Know-how, Führungs- und Managementqualitäten sowie Softskills mitbringen.
Wie legt ein Unternehmen die Anforderungen an eine Führungskraft fest?
Der Cultural Fit muss gegeben sein. Das heißt vor allem, dass eine Führungskraft in den Rahmenbedingungen des Unternehmens – mit Blick auf die Größe, Stakeholder, Marktposition und Mindset – wirksam agieren kann. Das erfordert, je nach Unternehmen, außer Managementkompetenz auch bestimmte persönliche Eigenschaften. Die Anforderungen an eine Führungskraft ergeben sich aus den spezifischen Unternehmenszielen. Was soll erreicht werden? Eine Sanierung, eine Restrukturierung, eine komplette Transformation des Geschäftsmodells? Oder soll das Unternehmen in seinem Wachstumsprozess auf das nächste Level gebracht werden? Je nach Vorhaben müssen die Anforderungen und benötigten Kompetenzen einer Führungskraft differenziert werden. Ist es zum Beispiel wichtiger, dass die Führungskraft eine bestimmte Persönlichkeit und Einstellung hat, die zum Zusammenhalt in einer Krisensituation führen kann und die Belegschaft inspiriert? Oder verlangt die Firma eine komplette Neuausrichtung, und dafür jemanden, der sich nicht vor unbeliebten oder ungewöhnlichen Entscheidungen scheut? Umso konkreter die Geschäftsziele und Prioritäten festgelegt werden können, desto klarer kristallisieren sich die Anforderungen heraus. Dadurch erhöhen sich die Chancen für eine erfolgreiche, langfristige Besetzung.
Wie kann in kurzer Zeit festgestellt werden, ob ein Mitarbeiter für eine gewisse Position geeignet ist?
Hat der Manager oder Mitarbeiter bereits in der neuen Position angefangen, können durch regelmäßiges und intensives Feedback gerade in den ersten Wochen der Tätigkeit auftauchende Defizite erkannt und Lösungsmöglichkeiten implementiert werden. Alternativ werden oftmals Berater hinzugezogen oder mit der Suche und Einschätzung direkt beauftragt. Das Risiko einer Falschbesetzung wird dadurch und durch regelmäßige Reviews nach dem Start in der neuen Position minimiert. Es sollte aber erkennbar sein, dass der Mitarbeiter vor Aufnahme der Tätigkeit eine konkrete Vorstellung von seiner Aufgabe, dem Umfeld, den Zielen und den Rahmenbedingungen hat. Im Idealfall sollte dieser darüber hinaus einen klaren Plan für das eigene Vorgehen mitbringen.
Inwiefern sollte ein Start-Up bei personellen Entscheidungen anders handeln als ein Konzern?
Eine starke funktionale Struktur ist bei Start-Ups nicht möglich. Hier werden eher Unternehmertypen, Entrepreneure, flexible Allrounder und kreative Visionäre gesucht. Diese dürfen allein wegen der Betriebsgröße nicht nur einen Schwerpunkt haben, sondern müssen alle Aufgaben des Geschäfts beherrschen. Allerdings ist es häufig so, dass sobald die Start-Ups größer werden, sie verstärkt nach Managern, Spezialisten und Fach-
experten suchen. Denn diese können die jeweiligen Wachstumsphasen optimal umsetzen und das Unternehmen kann so seine langfristigen Ziele erreichen. Umgekehrt läuft es oft bei Großunternehmen: Damit sie schneller, agiler und kooperativer agieren können, versuchen sie verstärkt, sich selbst phasenweise, zum Beispiel in der Innovationsphase, eine Start-Up-Kultur anzueignen. Es lassen sich also bei beiden Unternehmensformen Überschneidungen in personellen Entscheidungen feststellen.
Wie kann intern der ideale Kandidat für eine Position erkannt werden?
Das sehe ich als Kernaufgabe jeder Führungskraft: zu erkennen, welche Fähigkeiten und Potenziale in jedem einzelnen Mitarbeiter stecken und wie sie sinnvoll eingesetzt und weiterentwickelt werden. Eine Führungskraft sollte sich immer die Frage stellen, was die eigenen Mitarbeiter in der Zukunft leisten können müssen, damit die Unternehmensziele erreicht werden. Dazu gehören sowohl fachliche und persönliche Skills, aber auch das Beschäftigen mit der Einstellung der Mitarbeiter zu ihrer Arbeit. Vor allem müssen Führungskräfte bereit sein, fähige Mitarbeiter zu fördern, sie wachsen und performen zu sehen. Das ist häufig ein sehr individuelles Problem. Leider mit dem Ergebnis, das genau jene Potenzialträger aus den eigenen Reihen nicht berücksichtigt werden und letztendlich frustriert oftmals zum Wettbewerb abwandern.
Wie wichtig ist es, das Mindset langjähriger Angestellter in Hinsicht auf die Zukunft der Energiebranche und zum Erfolg des eigenen Unternehmens hin zu verändern?
Dieser Transformationsprozess ist wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Denn abgesehen von den gesellschaftlichen Auswirkungen wird es für den unternehmerischen Erfolg entscheidend sein, ob und wie schnell es gelingt, auch langjährige Mitarbeiter mitzunehmen und auf ihre neuen Rollen vorzubereiten. Die Herausforderungen der Zukunft bedeuten für langjährige Mitarbeiter unter Umständen eine komplette Veränderung ihrer Aufgaben und der an sie gestellten Anforderungen. Hier besteht die Gefahr, dass sie diese nicht mehr erfüllen können oder wollen. Dieses Umdenken voranzutreiben wird schwierig, und es wird lange dauern, denn viele Unternehmen und auch ihre Führungskräfte halten noch an alten Denkstrukturen fest. In einer immer stärker zunehmenden globalisierten, digitalisierten und vernetzten Welt müssen aber alle Involvierten das große Ganze sehen können und sich entsprechend anpassen. Nur so können sich diese am Markt behaupten.
Welche Anforderungen muss ein Energie-
unternehmen an Führungskräfte stellen?
Es ist besonders wichtig, dass die Anforderungen an die Führungskräfte eines Energieunternehmens mit Blick auf die künftigen Entwicklungen im Einklang sind. Neben Branchenkenntnissen werden vor allem deswegen sogenannte Softskills wie Flexibilität, Mut, Kooperationsfähigkeit und ein innovatives Mindset umso wichtiger.
Wie können Führungskräfte für Standorte gewonnen werden, die als eher unattraktiv gelten?
Mit spannenden Aufgaben, viel Gestaltungsfreiraum und Perspektiven. Sie wollen Status, Einfluss, Erfolg und Anerkennung. Der Standort ist, neben den genannten Merkmalen, ein wichtiger Faktor. Heutzutage richten bereits viele Unternehmen, gerade für die Gewinnung junger Potenzialträger, Workspaces in für junge Menschen attraktiven Städten ein. Die Schulen und Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Freizeitaktivitäten sowie der Immobilienmarkt, sind ebenfalls wichtige Entscheidungsfaktoren für viele Kandidaten.
In welche Richtung wird sich das
Recruiting der Energiebranche in den kommenden Jahren entwickeln?
Die Profile der gesuchten Mitarbeiter und Führungskräfte werden noch stärker auf IT, Digitalisierung und
Change-Management ausgerichtet sein, als es bisher der Fall ist.
Können Sie mir ein Beispiel für ein Energieunternehmen nennen, bei dem ein Führungskraftwechsel den maximalen Nutzen generiert hat?
Sämtliche Beispiele, für einen derartigen Erfolg, sind auf kommunaler sowie privatwirtschaftlicher Ebene zu finden. So finden einige Stadtwerke innovative Methoden für die Stromeinspeisung aus lokalen erneuerbaren Energien. Die erforderliche Leistungserbringung ist aus meiner Sicht jedoch nur dann möglich, wenn Entscheidungsträger keine Angst haben, vom ausgetretenen Pfad abzuweichen. Und sich die Unternehmen vorab für Führungskräfte mit genau diesem Mut entscheiden.