Wie hängen Birkenwälder aus dem Baltikum, das Corynebacterium glutamicum und Elektroautos zusammen? Na, gar nicht natürlich, möchte man meinen. Für Laien mag das auch so sein, Christoph Wittmann hingegen wird hier sagen: „Sehr viel“. Denn der Professor für Biotechnologie an der Universität des Saarlandes ist gemeinsam mit seiner Doktorandin Franka Janz, Doktorand Hagen von Strünck und Bioingenieur Dr. Michael Kohlstedt Teil eines Konsortiums von 13 Partnern. Die Firmen und Forschungseinrichtungen möchten herausfinden, wie man aus Holzresten leichtere Elektroautos und grünen Wasserstoff produzieren kann – ganz vereinfacht gesagt natürlich.
Aus Ausscheidungsprodukten Bauteile für E-Autos
Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, fördert die Europäische Union das Projekt in den kommenden vier Jahren mit rund fünf Millionen Euro – 471.000 Euro davon gehen an die Universität des Saarlandes. Mit dem Geld möchten Christoph Wittmann und sein Team herausfinden, wie sie das Bodenbakterium Corynebacterium glutamicum dazu bringen können, die passenden „Ausscheidungsprodukte“ herzustellen, die wiederum als Grundstoffe für die Industrie verwendet werden können – also etwa als Bestandteil von Leichtbauteilen von E-Autos oder auch von speziellen Membranen, die bei der grünen Wasserstoffproduktion helfen, Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zu zerlegen.
Bakterien wie Corynebacterium glutamicum sind die Werkzeuge der Saarbrücker Biotechnologen. Wenn es ihnen gelingt, die Mikroben gezielt so zu manipulieren, dass ihr Stoffwechsel Substanzen produziert, die im industriellen Maßstab nutzbar sind, könnten sie dabei helfen, eine nachhaltige „Kreislaufwirtschaft“ zu etablieren. Im Idealfall werden dabei alle Produkte vom Beginn der Herstellungskette bis zum fertigen Produkt CO2-neutral und wiederverwertbar hergestellt.
Im Forschungsprojekt „BIOPYRANIA“ stehen Pyrazin-Hochleistungskunststoffe im Fokus der Konsortialpartner. Aus diesen lassen sich vielerlei Endprodukte herstellen. „Unser Anteil besteht darin, dass wir den Bakterien das Holz schmackhaft machen müssen, um aus dessen Bestandteilen die gewünschten Biobausteine für die Polymere herstellen zu können“, erläutert Christoph Wittmann. Hier kommt das Birkenholz aus dem Baltikum ins Spiel. Denn in Tallinn, der Hauptstadt Estlands, steht eine große Bioraffinerie, in der das Birkenholz in Zucker- und Ligninfraktionen aufgespalten wird. Lignin, der feste Bestandteil des Holzes, ist seit vielen Jahren im Fokus der Arbeitsgruppe von Christoph Wittmann. Franka Janz und Hagen von Strünck erforschen nun, wie Holz-Zucker und Lignin von den Bakterien verwertet werden können, so dass sie nutzbare Biobausteine daraus synthetisieren.
Bausteinen trotz geringem Gewicht extrem belastbar
„Wenn uns das gelingt, werden weitere Partner dieses Verfahren dann auf große Maßstäbe skalieren. An der Universität Maastricht, die das Projekt leitet, werden dann aus den Bausteinen Pyrazin-Polymere hergestellt, die bei geringem Gewicht extrem belastbar sein sollen“, fasst Christoph Wittmann die Ziele des Forschungsverbundes zusammen.
Was hier im Prinzip so schön einfach klingt, ist in Wirklichkeit natürlich alles andere als trivial. Dass am Ende der Förderperiode, im Oktober 2028, bereits irgendwo eine Fabrikationsstraße steht, die derart nachhaltig tausende Tonnen der neuen Polymere herstellt, ist illusorisch. „Aber ich bin guter Dinge, dass wir bis dahin entscheidende Grundlagen dafür gelegt haben, dass diese Vision mittelfristig tatsächlich Realität wird. Es geht uns in diesem Projekt vor allem darum, die technische Machbarkeit zu demonstrieren und zu zeigen, wie die Produktion auf industrielle Maßstäbe skaliert werden kann“, erläutert Christoph Wittmann.
Lesen Sie mehr zu industiellen Lösungen im Web-Magazin Industrial Solutions!
Doch auch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Das wird auch beim Blick auf das komplexe Geflecht der Partner klar: 13 Firmen und Forschungseinrichtungen aus neun Ländern, von Estland bis Israel, sind an „BIOPYRANIA“ beteiligt. Das Projekt wird von der Initiative Circular Bio-based Europe Joint Undertaking (CBE-JU) im Rahmen des europäischen Programms für Innovation und Forschung „Horizon Europe 2021 bis 2027“ (HE) gefördert.