Das Projekt eFarm zeigt, wie Sektorenkopplung aussehen könnte: Fünf Windparks in Nordfriesland nutzen einen Teil ihres Stroms, um grünen Wasserstoff zu erzeugen. Der wird an zwei öffentliche Wasserstoff-Tankstellen in Husum und Niebüll geliefert und dort wiederum von zwei Brennstoffzellenbussen und PKW getankt. Die regionale Wertschöpfung sorgt für gute Akzeptanz.
Das Projekt hat acht Millionen Euro Zuschuss vom Bundesverkehrsministerium bekommen. Dass dieser nötig war, liegt nicht nur an den jungen Technologien, die in den kommenden Jahren noch wirtschaftlicher werden müssen und werden. Es liegt auch an Rahmenbedingungen, von denen seit Jahren alle Experten sagen, dass sie überarbeitet werden müssen, die aber immer noch ein überholtes Energiesystem mit fossilem Kraftwerkspark abbilden. Insgesamt war 2020 ein sehr gutes Jahr für grünen Wasserstoff. Viele Staaten und Regionen haben Wasserstoff-Strategiepapiere vorgelegt und Milliarden an Fördermitteln zugesagt. Die Nationale Wasserstoffstrategie machte neben Zuschüssen ein weiteres Versprechen, das zum Jahresende weitgehend eingelöst wurde: Im EEG 2021 wurde angelegt, dass der Strom für die elektrolytische Erzeugung von „grünem Wasserstoff“ ganz oder teilweise von der EEG-Umlage befreit werden soll.
Die richtige Steuerung ist wichtig
Damit ist ein dicker Stein aus dem Weg geräumt, doch der Weg ist noch lange nicht frei. Die Verordnung, die entscheidende Details regelt, wird für Sommer 2021 erwartet. Sektorenkopplung heißt nämlich nicht nur, dass man möglichst viele Elektrolyseure, Wärmepumpen und E-Autos ans Netz bringt. Deren Steuerung muss auch zur richtigen Zeit die Anlagen am richtigen Ort ansprechen. Die Elektrolyseure müssen dann laufen, wenn grüner Strom reichlich verfügbar ist. Und sie müssen auf der gleichen Seite von Netzengpässen stehen wie die erneuerbaren Energiequellen – am besten an einem Standort, an dem zugleich die Nutzung der Abwärme möglich ist. Das EEG erlaubt, in der Verordnung „inhaltliche, zeitliche und räumliche“ Anforderungen zu stellen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Versorgung „glaubhaft“ aus Erneuerbaren Energien erfolgt. Damit der Paradigmenwechsel in der Energielandschaft gelingt, muss die Regierung von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Nur, wenn die Wasserstofferzeugung aktiv genutzt wird, um die fluktuierenden Energiequellen Wind und Sonne auszubalancieren, kann die Energiewende gelingen. Eine Möglichkeit hierfür sind Direktverträge, also Power Purchase Agreements, zwischen Windparkbetreibern und Wasserstofferzeugern. Bezieht man noch den Strommarkt ein und erlaubt es, den Windstrom bei hohem Bedarf und hohen Preisen anderweitig zu verkaufen, bringt man die Elektrolyse auf den Weg zur Systemdienlichkeit.
Wenn sich dagegen Graustrom mit handelbaren Zertifikaten begrünen lässt, die zu beliebigen Zeitpunkten gelten, wird das Ziel verfehlt. Dann wird die Elektrolyse zum zusätzlichen Stromfresser, der sogar den Kohleausstieg ausbremsen könnte.
Doch selbst bei den Anlagen, für die die EEG-Umlage wegfällt, wird die Dynamik des Strommarktes von den statischen Netzentgelten überlagert. Das führt zum Beispiel dazu, dass viele Wärmepumpen und Nachtspeicherheizungen beharrlich abends anspringen, selbst wenn das Stromnetz am Tag von Solarstrom durchflutet wird. Doch nicht nur einfache Schaltungen, sondern auch komplexe Energiemanagementsysteme haben in der Regel nicht die Energiewende als Ganzes im Blick. Sie dienen meist dazu, im Zusammenspiel mit Solaranlagen und Energiespeichern den Eigenverbrauch zu maximieren. Das kann man weder auf die Gier der Betreiber noch auf die Unkenntnis der Softwareentwicklern schieben. Es liegt schlicht an den gesetzlichen Regelungen. Nur mit hohem Eigenverbrauch lohnt sich die Solaranlage, denn so spart der Betreiber Umlagen und Netzentgelte. Batteriehersteller werben oft damit, dass man auf diese Weise „das Netz entlasten“ würde. Doch in der Realität ist es Glückssache, ob der hohe Eigenverbrauch zum jeweiligen Zeitpunkt auch dem Netz oder der CO2-Bilanz des Gesamtsystems nutzt. Womöglich hätte die Solarenergie, die nun in die Batterie oder die Wärmepumpe fließt, beim Nachbarn Braunkohlestrom verdrängt. Womöglich hätte man auch ein paar Stunden später das Elektroauto mit reinem Windstrom aus dem Nachbardorf betankten können, der stattdessen abgeregelt wurde. Und womöglich müssten sich Solaranlagenbetreiber dann nicht mehr mit dem Vorwurf fehlender „Solidarität“ herumschlagen, wenn sie selbst Netzentgelte sparen. Sie würden vielmehr real und sichtbar dazu beitragen, dass die Netzkosten sinken. Doch all das wissen bisher nur die Netzbetreiber – wenn überhaupt.
Engpässe aufzeigen
Wenn es nach der Europäischen Union geht und wenn das Wirtschaftsministerium mitspielt, werden wir es aber bald herausfinden. Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie der EU (2019/944) sieht nämlich vor, dass die Netzbetreiber darstellen, wo und wann Engpässe bestehen. Obendrein sollen sie vorrechnen, ob sich diese am günstigsten durch physischen Netzausbau oder gezieltes Lastmanagement in den Griff bekommen lassen. Eine Aufgabe des neuen Energiewirtschaftsgesetzes ist es deshalb, die sinnvollen Transparenzvorgaben der EU so in eine nationale Vorschrift zu überführen, dass sie die gewünschte Wirkung erzielen können. Diese Zahlen könnten endlich Schwung in eine intelligente Sektorenkopplung bringen, weil sie öffentlich sichtbar machen, wie diese die Netzeffizienz steigern und die Kosten senken könnte.
Doch das Energiewirtschaftsgesetz muss nicht nur Transparenz bieten, sondern auch Handlungsanreize schaffen. Es wäre ein Leichtes, eine Wärmepumpe, die Ladung eines Elektroautos oder eines Heimspeichers so zu steuern, dass sie nicht den Eigenverbrauch maximieren, sondern die CO2-Bilanz des Strommixes minimieren oder das Netz stabilisieren. Die Ladelösungen von GP JOULE und vielen anderen Anbietern beherrschen dies längst. Indem man Netzentgelte je nach aktueller Lastsituation dynamisiert, schafft man Anreize, schneller Strom aus dem Netz zu ziehen, das Laden zu stoppen oder sogar Strom zurückzuspeisen. Bei der letzten Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes legte das Wirtschaftsministerium allerdings einen Entwurf zur Umsetzung des § 14a EnWG vor, der hinter dem Potenzial dieser Option zurückblieb. Vielmehr sollten die Netzbetreiber vor allem steuernd eingreifen. Der Entwurf wurde wegen Unstimmigkeiten erst einmal zurückgenommen. Man darf gespannt sein, wie die neue Version ausfällt.
Redispatchmaßnahmen als Lösung
Eine Reform der Netzentgelte ist auch in räumlicher Hinsicht unerlässlich. Auf dem Strommarkt kann Windstrom von der Nordseeküste jederzeit in bayerische Industriegebiete umgebucht werden, als wäre das Netz eine Kupferplatte.
Wenn die Physik mit dem Markt nicht mithalten kann, müssen teure Redispatchmaßnahmen es richten. Das bedeutet nicht, dass Wasserstoff stattdessen direkt am Windpark erzeugt werden sollte. Im Sinne der Effizienz kann es durchaus sinnvoll sein, die erneuerbaren Stromerzeuger und Verbraucher in Clustern innerhalb einer Netzzone zusammenzufassen. Das erlaubt auch mehr Flexibilität bei der Standortwahl. So muss die Elektrolyseanlage nicht auf der grünen Wiese stehen, sondern dort, wo die Wege für den Wasserstoff kurz sind und die Abwärme genutzt werden kann. So ließe sich in manchen Projekten der Elektrolyseur in der Nähe der Wasserstofftankstelle betreiben, was die Genehmigung einfacher macht und die Kosten für den Transport des Wasserstoffs senkt.
Dass ein verlässliches und bezahlbares Energiesystem mit Wind und Sonne in der Hauptrolle möglich ist, wurde vielfach simuliert. Intelligente technische Lösungen sind vorhanden, um die Sektoren effizient miteinander zu koppeln und die Verfahren räumlich und zeitlich gezielt zu nutzen. Die Preise sinken schnell. Nun muss die Politik den Weg frei machen, um diese Lösungen auch zu nutzen.