Das Problem liege am Wort „neutral“, denn dies bedeutet, dass Fabriken praktisch keine schädlichen Treibhausgasemissionen mehr freisetzen, um Klimaneutralität zu erreichen. Dies in so kurzer Zeit zu schaffen, sei – wenn auch wünschenswert – eine Herkulesaufgabe und mit so vielen Herausforderungen behaftet, dass eine zeitgerechte Umsetzung bis 2045 eher unrealistisch ist. Im Interview mit Lapp erklärt der CEO & Gründer von Grean , weshalb Unternehmen das gesetzte Ziel dennoch als Chance betrachten sollten und wie sie sich ihm so gut wie möglich annähern können.
Bereits am 18. Juli 2023 gewährte Heinen im Rahmen des „Cross-Industry Innovation Workshops“ bei einem Vortrag in der Europazentrale von Lapp erste Einblicke in seine Expertise rund um das Thema „Nachhaltige Produktion“. Die Veranstaltung ist von Lapp ins Leben gerufen worden, um sich mit Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Industrieunternehmen Baden-Württembergs auszutauschen und gemeinsam nachhaltige Lösungen der Zukunft für die Industriebranche zu erarbeiten. Ein sinnvoller und neuer Ansatz, findet Heinen, denn das Thema Nachhaltigkeit könne eigentlich nur über Unternehmensgrenzen hinweg erfolgreich angegangen werden. Oft sei zwar der Gedanke da, sich überbetrieblich zu vernetzen, um gemeinsam effektiver zu sein, die Umsetzung fände allerdings so gut wie nie statt und das, obwohl sie so wichtig ist.
Denn ein Unternehmen allein kann es nicht schaffen, klimaneutral zu werden. Der Hintergrund: Die Emissionen setzen sich aus mehreren Komponenten zusammen, die nicht alle vom Unternehmen selbst beeinflussbar sind.
Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) als bewährte Norm zur Klimabilanzierung benennt die sogenannten „Gate-to-gate“-Emissionen als diejenigen, die vom Wareneingang bis zum Warenausgang innerhalb eines Unternehmens entstehen. Das GHG gibt neben diesen direkten Emissionen (Scope 1), beispielsweise aus firmeneigenen Anlagen und Fahrzeugen, auch die indirekten Emissionen (Scope 2), die durch eine externe Energieversorgung entstehen, an. Diese Emissionen sind weitestgehend eigenständig kontrollier- und reduzierbar. Außerhalb des eigenen Einflussbereiches gibt es die sonstigen indirekten Emissionen (Scope 3), die beispielsweise in den Liefer- und Distributionsketten stecken. Diese können nur dann effektiv reduziert werden, wenn die Unternehmen, die Teil der Lieferkette sind, gemeinsam an einer Lösung arbeiten - wie beispielsweise die Teilnehmenden des Workshops bei Lapp.
Laut Heinen haben es besonders Produktionsunternehmen wie LAPP bei der Reduktion ihres CO2-Fußabdruckes schwer, da ein Großteil ihrer Emissionen in der Vorkette und somit genau im nicht beeinflussbaren Bereich steckt. „Das erschließt sich relativ schnell, wenn man bedenkt, dass diese Unternehmen Metalle oder Kunststoffe verarbeiten. In diesen zugekauften Rohmaterialien steckt enorm viel Emission, die bei der ursprünglichen Herstellung des Materials entstehen ", so der Wirtschaftsingenieur.
Seine Expertenlösung? Zunächst so weit wie möglich vor der eigenen Haustür zu kehren. Dies bedeutet konkret die drastische Reduktion von Emissionen, die man selbst beeinflussen kann. „Wenn jeder zunächst seine Hausaufgaben in der eigenen Fabrik macht, sind wir insgesamt besser dran“, so der Experte.
Herausforderungen und Chancen
Der erste Schritt besteht dabei darin, existierende Prozesse zu verbessern und somit im vorhandenen System effizienter zu wirtschaften. Hierfür empfiehlt Heinen beispielsweise, weniger Energie oder Wasser einzusetzen oder den Materialeinsatz weiterzuentwickeln, sodass geringere Abfallmengen entstehen. Unternehmen könnten aber auch damit ansetzen, ihre Beleuchtung, Druckluft, Motoren oder die Lüftungstechnik zu verbessern. Ergänzend folgt der zweite und auch deutlich herausforderndere Schritt der Transformation: „Hier muss dann wirklich neu gedacht und versucht werden, Prozesse komplett neu zu definieren. Das ist schon eine enorme Herausforderung“. Dennoch ruft Heinen dazu auf, den Schritt der Transformation zeitnah zu gehen, denn in genau diesen Lösungen, die drastisch dazu beitragen, die Herausforderung des Klimawandels abzumildern, sieht er auch die lukrativen Geschäfte der Zukunft. So könne man beispielsweise die eigene Fabrik so gestalten, dass sie, statt nur Energie zu verbrauchen, eventuell sogar eigene Energie erzeugt, die dann anderweitig genutzt oder verkauft werden kann. „In der Kombination ist es dann doch alle Mühen wert, diese Herausforderungen anzugehen“, konstatiert der Experte. Für eine erfolgreiche Transformation muss dabei nicht einmal zwingend das Rad neu erfunden werden: So betont Heinen, dass viele Best-Practice-Beispiele auf bereits vorhandener Technologie, wie beispielsweise Wärmepumpen, basieren. Man müsse jetzt also „nur noch“ den Schritt gehen, diese auch konsequent einzusetzen.
Lapp geht diesen Schritt mit einigen Nachhaltigkeitsprojekten – und das bereits seit vielen Jahren. Im Jahr 2005 nahm Lapp in Deutschland die erste Photovoltaik-Anlage in Betrieb. Die zwei PV-Anlagen am Standort Stuttgart und die beiden am Standort Ludwigsburg erzeugten dabei im Jahr 2022 knapp zwei Millionen kWh Strom. Genug Strom, um ihn einerseits selbst zu nutzen und ihn andererseits in das Stromnetz einzuspeisen. Aufgrund der positiven Erfahrung über die Jahre sind weltweit weitere PV-Anlagen in Planung. Neben dieser Lösung für die Stromerzeugung nutzt Lapp auch nachhaltige Lösungen zum Heizen und Kühlen. Geothermie, also die Wärme, die in der uns zugänglichen Erdkruste gespeichert ist und dem Untergrund mittels Wärmepumpe entzogen wird, nutzt Lapp beispielsweise zur Kühlung von Gebäuden. In den Stuttgarter Kabelwerken wird die Abwärme der Kompressoren zur Trinkwassererwärmung und zur Heizung des Gebäudes genutzt.
Als Hauptbarrieren für die Umsetzung solcher und weiterer Nachhaltigkeitsmaßnahmen in Unternehmen identifiziert Heinen die anfallenden Kosten und die Angst vor technischen Risiken. Sein Appell an die Unternehmen in diesem Rahmen? „Wir müssen die Notwendigkeit nachhaltiger Produktionsmethoden akzeptieren und konsequent umsetzen. Es ist an der Zeit, anders zu denken und die Herausforderungen des Klimawandels jetzt anzugehen!“.
Von der Vision zur Realität
Dieses Umdenken hat Heinens Ansicht nach bei den jungen Generationen erfreulicherweise bereits stattgefunden. So haben Studierende seiner Vorlesung bereits ein tieferes Verständnis für Nachhaltigkeit und Umweltschutz als ein Großteil der heutigen Unternehmensvertreter. Dies könnte seiner Meinung nach dazu beitragen, dass Nachhaltigkeit die nächste Evolutionsstufe in der industriellen Produktion nach der Digitalisierung (Industrie 4.0) werden könnte. Eine Art „Industrie 5.0“, bei welcher Nachhaltigkeit als „New Normal“ in der Produktion gilt. Dieser Ansatz zeigt also, dass das Ziel der Klimaneutralität keine ferne Utopie, sondern eine Vision ist, die mit Optimismus, großem Einsatz und überbetrieblicher Zusammenarbeit im Sinne der Umwelt und der kommenden Generationen verwirklicht werden kann. Warum also nicht heute schon mit der Emissionsreduktion anfangen?