Industrie 4.0 wirft die Frage auf, wie der Weg zur Smart Factory gelingen kann. Ziel ist, die mechanische Fertigung mit modernen Informations- und Kommunikationstechniken zu verknüpfen, um die Effizienz zu steigern. Viele Unternehmen wissen um die Wichtigkeit der neuen Technologien, doch besonders traditionelle Fertigungszweige hadern oft mit der Umsetzung, getreu dem Motto „Never change a running system“. Spätestens wenn Mitbewerber ihre Produktionskette optimieren und mit intelligenten Lösungen Abläufe automatisieren und beschleunigen können, riskieren zögerliche Unternehmen wichtige Marktanteile.
Eine der größten Hürden auf dem Weg zur Smart Factory ist aktuell die mangelnde Verknüpfung der Systeme. Viele Unternehmen nutzen teilweise noch proprietäre IT-Systeme oder Insellösungen, die im Laufe der Zeit immer wieder eigenständig erweitert wurden. Dieses Vorgehen hat lange funktioniert, stößt inzwischen aber an Grenzen. Denn mangels einheitlicher Schnittstellen kommunizieren die selbst entwickelten Lösungen nicht miteinander.
Um die verschiedenen Insellösungen zu vernetzen, müssen Experten deshalb erst einheitliche Backend-Systeme schaffen. Viele Führungskräfte haben dabei unterschiedliche Bedenken: Was passiert, wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert? Wie hoch ist der Schulungsaufwand? Können bestehende Daten migriert werden? Um das Risiko besser kalkulieren zu können, besteht die Möglichkeit, die Produktion stufenweise auf smarte Technologien umzustellen.
Smartphones aus der Smart Factory
Dass eine Verknüpfung, Virtualisierung und Automatisierung einzelner Fertigungsschritte heute so wichtig ist, hat zwei Gründe. Zum einen unterliegt die Produktion immer kürzeren Time-to-Market-Zeiten und Marktzyklen: Unternehmen wie Apple bringen alle ein bis zwei Jahre ein neues Smartphone-Modell auf den Markt, das durchschnittlich zwei bis drei Jahre genutzt wird. Es besteht also stets Bedarf an neuen Produkten. Hier knüpft der zweite Grund an: Damit Smartphones oder andere Produkte in der gewünschten Zeit und Qualität geliefert werden, müssen alle Teile der Wertschöpfungskette perfekt ineinandergreifen. Das beginnt bereits bei der Herstellung eines neuen Produkts.
Um etwa die kreativen Design-Phase effizient zu gestalten, ist eine Lösung erforderlich, die es erlaubt, erste Design-Ideen auch ohne reale Maschinen auf ihre Technik zu testen und einen physikalischen Eindruck zu erhalten. Hierfür hat sich das Rapid Prototyping bewährt: Zunächst werden digitale 3D-Konstruktionsdaten erstellt und dann per 3D-Drucker in einen physischen Prototyp umgesetzt. Alternativ kann Virtual Reality das Design simulieren: Digitale Mock-Ups bilden die Struktur und Geometrie des Produktes ab, funktionelle Mock-Ups ermöglichen es sogar, das Modell durch Hightech-Brillen zu erleben.
Mit diesen Methoden kann der Produktmanager schneller Entscheidungen treffen und das Design für die Produktion freigeben. Müssten die Ideen für einen Prototypen individuell und händisch gefertigt werden, würde dies enorm viel Zeit beanspruchen. Bevor das Gerät dann in die Massenproduktion gehen kann, wären die Technologien des „neuen“ Gerätes zum Markteintritt bereits veraltet.
Aussuchen statt anfragen
Auf die Design-Phase folgt die Bestellung der Rohstoffe – oft weltweit. Ein Smartphone benötigt rund 300 verschiedene Bauteile, viele unterschiedliche Werkstoffe und damit eine komplexe, globale Lieferkette. Kosten, Zeit, Mengen und Qualität sind dabei die Herausforderungen. Auch hier ist die Verknüpfung der Systeme essenziell für Unternehmen. Über ein einheitliches und übergreifendes Portal kann der Produktionsleiter auf alle Zulieferer gleichzeitig zugreifen und muss nicht jedes Einzelteil separat anfragen. Gleichzeitig findet er den bestgeeigneten Supplier.
Zentrale Portale sind ein wichtiger erster Schritt in Richtung einer Smart Supply Chain. Das Unternehmen kann über die Plattform alle benötigten Teile digital anhand des virtuellen Designs auch technisch definieren und als Anfrage in die Datenbank stellen. Statt also aktiv auf Lieferanten zuzugehen, können diese ihr Angebot abgeben, ähnlich wie bei MyHammer.de. Das Unternehmen kann die Angebote vergleichen und das überzeugendste bestätigen. Mit einer solchen Smart Supply Chain lassen sich alle logistischen Fragen nahezu automatisiert und schnell beantworten.
Nach der Bestellung erlauben in den Werkstoffteilen verbaute RFID-Chips die Ortung der Ware sowie eine Ferndiagnose über deren Zustand. Zum einen können Unternehmen damit in Echtzeit nachvollziehen, wann ihre Ware eintreffen wird. Zum anderen lassen sich die einzelnen Teile im eigenen Lager durch die Chips schneller auffinden. Die Mitarbeiter können außerdem jederzeit in der Datenbank prüfen, ob der Lagerbestand noch ausreicht und in einem guten Zustand ist.
Das manuelle Eintragen im ERP-System, das Scannen der Produkt-Codes und das langwierige und fehleranfällige Prüfen aller Waren per Lieferschein entfallen damit. So gibt es keine bösen Überraschungen und alle Teile stehen rechtzeitig für einen reibungslosen Produktionsablauf zur Verfügung. Durch das automatisierte Auslesen der RFID-Chips und die Buchung im ERP-System können in diesem auch Inventuren ganz einfach per Knopfdruck erledigt werden. Das Smart-Warehouse-Management erleichtert damit die oftmals komplexen, manuellen und datenintensiven Lagervorgänge.
Um die Waren im Lager schnell und unkompliziert zu finden, bietet sich Augmented Reality an, die Objekte der Wirklichkeit mit virtuellen Daten verknüpft. Durch die RFID-Chips sind die Werkstoffteile räumlich in der Datenbank mit allen wichtigen Zusatzinformationen wie Zustand, Modell, Qualität gespeichert. Eine Datenbrille unterstützt die Mitarbeiter zusätzlich beim Manövrieren durch die Lager mit einem Navigationssystem, das auf dem Display eingeblendet wird. Darüber hinaus zeigt die Brille alle wichtigen Zusatzinformationen zu den Waren an. Man spricht hier auch von digitalen Picking-Lösungen.
Service statt Stückverkauf
Mit Predictive Maintenance lässt sich nach Fertigstellung des Produkts früh erkennen, ob oder wann Wartungsarbeiten nötig sind, um so Kosten zu sparen. Andreas Zilch, Lead Advisor User Businesses beim Analystenhaus Pierre Audoin Consulting, sieht für die Industrie neben Smart Factory auch Smart Services als Zielrichtung. Zu diesen Services gehört die vorausschauende Wartung auf Basis von Sensoren-Informationen und Algorithmen.
Laut Zilch gehen im Triebwerkbau und in der Reifenproduktion schon viele Projekte in diese Richtung: „Hier verkauft man zunächst kein Stück mehr, sondern einen Service“, sagt er. „Man erfindet also Services neu oder reichert bestehende an, damit ein Mehrwert für den Kunden entsteht. Allerdings tun sich Unternehmen damit noch schwer, diesen zusätzlichen Service konsequent umzusetzen und dem Kunden zu berechnen.“
Auf dem Weg zur Smart Factory stehen Unternehmen also vor allem vor der Herausforderung, alle proprietären Systeme in einem übergreifenden cyberphysischen System zu vereinheitlichen, das digitale Daten mit physischen Maschinen verbindet. Dieser Vorgang muss allerdings für eine wirkliche Effizienzsteigerung sowohl in der Konstruktion als auch in der Produktion stattfinden. Eine schnelle virtuelle Planung und Konstruktion beschleunigt die Prozesse kaum, wenn die Produktion noch mit althergebrachten Systemen arbeitet und den Prozess ausbremst – und umgekehrt.
Und eines sollte bei der digitalen Transformation in keinem Fall zu kurz kommen: die transparente Kommunikation mit den Mitarbeitern. Sie sind es letztlich, die die neuen Technologien anwenden und verstehen müssen. Verantwortliche sollten alle Mitarbeiter von Anfang an involvieren und schulen, um ihnen die Vorteile und Arbeitserleichterung zu verdeutlichen und schmackhaft zu machen. Sind die Mitarbeiter an Bord und ist die Umstellung auf ein einheitliches System erfolgt, können Unternehmen ihre Wertschöpfungskette wesentlich verbessern und beschleunigen – und langfristig am Markt bestehen.