Immer kleiner und auch immer empfindlicher gegenüber elektrostatischen Ladungen und Feldern werden elektronische Bauelemente. Einzeln sind sie sehr empfindlich. Aber wie hoch ist die Empfindlichkeit einer damit bestückten Leiterplatte? Wie viel Ladungen können gespeichert werden? In der Tabelle werden Abmessungen elektronischer Bauelemente deren steigenden Empfindlichkeiten gegenübergestellt. Aus den Anforderungen, besonders für komplexe Systeme wie Leiterplatten, ergeben sich neue Fehlermodelle.
ESD-empfindliche (Electrostatic Discharge) elektronische Bauelemente und Baugruppen (ESDS) darf man nur in ESD-geschützten Bereichen (EPA, Electrostatic Protected Area) verarbeiten. Außerhalb dieser Bereiche müssen die ESDS durch elektrostatisch abschirmende Verpackungen geschützt werden. In Bereichen, in denen elektronische Baugruppen zu Geräten montiert werden, müssen ebenfalls ESD-Schutzmaßnahmen getroffen werden. Die Bereiche sind entsprechend den ESD-Anforderungen so auszurüsten, dass keine elektrosta-
tischen Ladungen entstehen können.
Maschinen als Quelle von Aufladungen
Die Montage elektronischer Baugruppen findet im Rahmen der Industrie-4.0-Einführung zunehmend automatisch statt. Für die Einrichtung der EPA gibt es hier auf der einen Seite ESD-Anforderungen, auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl an ESD-gerechter Ausrüstung. Für Personen, die sich in elektrostatisch geschützten Bereichen bewegen, gibt es ESD-Ausrüstungen wie Schuhe, Arbeitsmäntel und Handgelenksbandsysteme für die Erdung. Bisher stand die ESD-gerechte Ausrüstung der Arbeitsplätze und Personen im Vordergrund. Für die vorhandenen Maschinen, Bestückungs- und Montageeinrichtungen und Transportsysteme gibt es bisher wenige ESD-Anforderungen und oft keine geeigneten Materialien, die ESD tauglich sind.
Die Person ist immer noch die Hauptquelle für elektrostatische Aufladungen und somit für die Gefährdung der ESDS. Wenn zur automatischen Fertigung nach Industrie 4.0 übergegangen wird, dann sind die elektrostatischen Aufladungen und Events nicht verschwunden. Die Quellen sind jetzt Maschinen, Anlagen beziehungsweise automatische Montageeinrichtungen oder Roboter. Durch die veränderten Prozesse und Prozess-
abläufe verlagern sich die Schwerpunkte des ESD-Schutzes. Maschinen und Anlagen, die die Arbeit des Menschen übernehmen, erzeugen elektrostatische Aufladungen zum Teil viel schneller und komplexer als bisher angenommen.
Personen und Arbeitsplätze können kontrolliert und überwacht werden. Aber wo entstehen in den Anlagen, die elektro-
statischen Aufladungen? Wo sind die eigentlichen Quellen? Wie hoch sind die elektrostatischen Aufladungen? Sobald diese gefunden wurden, müssen die elektrostatischen Aufladungen beseitigt werden, ohne dabei die ESDS zu schädigen. Wie lassen sich diese beseitigt werden? Genügen die vorhandenen Methoden zur Ableitung, oder werden dafür neue Methoden benötigt?
Aus dem in der DIN EN 61340-5-1 genannten ESD-Kontrollprogramm ergeben sich Forderungen nach ESD-gerechtem Material in den Maschinen, elektrostatisch dissipative und elektrostatisch leitfähige Materialien. Wiederum sind andere Materialien ESD-tauglich, zum Beispiel ist Metall oder Aluminium sehr gut leitfähig, provoziert aber sehr schnelle oder schlagartige Entladungen. Aluminium bildet über eine längere Zeit an der Oberfläche sogenanntes Aluminiumoxid, das isolierend ist und keine Ableitung von elektrostatischen Ladungen gewährleistet. Metalle oder gut leitfähige Materialien führen zu Schäden an den ESDS.
Messverfahren für alle Materialien sind gefragt
Eine Möglichkeit wäre, Ionisatoren einzusetzen. Aber gerade in den Maschinen, die sehr komplex aufgebaut sind, ist oft nicht genügend Platz für Ionisatoren vorhanden. Zum anderen sind die zurzeit verfügbaren Ionisatoren oft nicht schnell genug darin, Ladungen abzubauen. Die Vorgänge, in denen elektrostatische Aufladungen entstehen sind sehr schnell, in der gleichen Geschwindigkeit müssen die Ionisatoren positive oder negative Ladungen erkennen und die entsprechenden Ionen zum Abbau erzeugen. Weiterhin kommt hinzu, dass nur bestimmte Ionisatoren es heute schaffen, elektrostatische Spannungen bis 0 Volt abzubauen.
Zuerst müssen die Ladungsquellen gefunden und lokalisiert werden. Dazu sind Messmethoden erforderlich, die während des eigentlichen Betriebs der Maschine, Ladungen erfassen können. Es gibt sehr schnelle Sensoren, die Ladungen erfassen können. Sind diese ausreichend schnell? Eine Messung in einem langsameren Maschinen-Zyklus ist nicht vergleichbar und führt nicht zu den eigentlichen elektrostatischen Aufladungen. Wir sprechen heute immer mehr von sehr schnellen elektrostatischen Auf- und Entladevorgängen. Teilweise gehen diese bis in den Gigahertz-Bereich. Handelt es sich überhaupt noch um elektrostatische Vorgänge? Elektrostatische Vorgänge sind eigentlich sehr langsame, und wie das Wort sagt, statische Vorgänge.
Für alle Materialien, die in einer Maschine eingesetzt werden, müssen Messverfahren erstellt werden, falls sie nicht vorhanden sind. Mit den herkömmlichen Messverfahren können ESD-Fußböden, Arbeitsplatzoberflächen und so weiter gemessen werden. Wie ist es aber bei anderen Materialien? Meist passen Messsonden nicht auf das Material, weil es sich zum Beispiel um Transportgurte, Halterungen und Träger oder ähnliches handelt, deren Abmessungen bei einigen Millimetern liegen. Aus den Messverfahren und Messsonden ergeben sich neue physikalische Zusammenhänge. Die Grundprinzipien der elektrischen Messtechnik werden nicht verändert, aber der Messaufbau führt zu anderen messtechnischen Zusammenhängen. Bei der Messung von nicht homogenen Materialien ergeben sich besondere messtechnische Zusammenhänge. Der Widerstand ist dann unter diesen speziellen Anforderungen zu betrachten.
Prozessschritte in einer SMT-Fertigungslinie
Bisher wurden nur spezielle Fertigungsabschnitte einer SMT-Fertigungslinie untersucht. Besonders kritisch sind immer die Prozessschritte, in denen die PCBs direkt mit Metall in Berührung kommen, zum Beispiel beim Testen von Leiterplatten (ICT, In-Circuit-Test). Metallnadeln kontaktieren die Bauelemente oder Leiterplatten direkt, es kommt zu schlagartigen Entladungen, sogenannte CDM-Entladungen (Charge-Device Model). Die elektrostatische Ladung fließt zuerst zur Kapazität der Metallnadel ab und erst im zweiten Schritt über die Metallnadel zum Erdungsanschluss. Meist sind die ESDS bereits im ersten Schritt der Entladung defekt.
Aber auch die eigentlichen Bestückungsprozesse (Pick & Place) führen zu schnellen elektrostatischen Entladungen. Die Leiterplatte selbst kann nicht geerdet werden, elektrostatische Ladungen fließen nicht gefahrlos ab. Beim Kontakt des Bauelements (ESDS) mit der Leiterplatte kommt es zum Ladungsausgleich. Vorher haben beide, das ESDS und die Leiterplatte, typischerweise unterschiedliches Potential.
Es gibt aber auch andere Prozessschritte, die direkt elektrostatische Ladungen erzeugen, zum Beispiel die Beschichtung der Leiterplatte mit einem Schutzlack (Conformal Coating). Die elektrostatischen Ladungen werden durch den Lack oder die Beschichtung erzeugt. Sie können in diesem Fall nicht direkt abgeführt werden. Die Beschichtung speichert die elektrostatische Ladung und beim nächsten Kontakt mit Metall werden die Ladungen schlagartig abgeführt. Die Beschichtung selbst hat die Funktion isolierend zu sein. Also können auch keine Leitpartikel zugefügt werden, damit das Material leitfähig wird und elektrostatische Ladungen abgeleitet werden. Es gibt noch viele weitere Quellen für elektrostatische Ladungen: Cutting- und Bonding-Systeme, oder komplexe Montagesysteme und so weiter. Überall entstehen elektrostatische Aufladungen, die ESDS schädigen können.
ESD-Schutzsysteme neu überarbeiten
Quellen für elektrostatische Ladungen gibt es viele. Auch wenn es einige Messmethoden bereits gibt, die die Lokalisierung zulassen, sind neue schnelle Messsysteme erforderlich. Eventsysteme, die ausschließlich den Entladeimpuls registrieren, können die eigentliche Entladung nicht lokalisieren. Im Zuge der Einführung von Industrie 4.0 müssen ESD-Schutzsysteme neu überarbeitet werden. Besonders betroffen sind Maschinen, Anlagen und Sondermaschinen, die für die Montage von elektronischen Bauelementen oder Baugruppen eingesetzt werden. Hier müssen neue Richtlinien und Anforderungsprofile erarbeitet werden. ESD-Materialien und ESD-Ausrüstung müssen vor dem Einsatz in einer EPA oder in einer Maschine qualifiziert werden.