Wenn wir heute von der Energiewende sprechen, dann geht es in den meisten Fällen um die Erzeugung von Strom und Wärme. Doch auch im Verkehrssektor, der global für etwa 25 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist und nahezu 50 Prozent des weltweit produzierten Erdöls verbraucht, besteht der Bedarf nach mehr Nachhaltigkeit. Agrarreststoffe sind dabei eine interessante Ressource für die Herstellung von Zellulose-Ethanol, da sie nachwachsende und breit verfügbare Rohstoffe sind, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen und gleichzeitig hohe Treibhausgaseinsparungen liefern.
In Deutschland wurde Zellulose-Ethanol im Jahr 2014 als E20 (20 Prozent Zelluose-Ethanol in Benzin) das erste Mal einem Flottentest in Serienfahrzeugen unterzogen und überzeugte dabei auf ganzer Linie: Bei ausgezeichneter Motorleistung spart Zelluose-Ethanol im Vergleich zu Benzin rund 95 Prozent der Treibhausgase ein und gleichzeitig werden die Partikelemissionen um 50 Prozent reduziert.
Lignozellulosehaltige Rohstoffe
Viele neue Entwicklungen flüssiger Energieträger stützen sich auf die Verwendung von Rohstoffen der sogenannten zweiten Generation, also auf Rohstoffen, die aus Lignozellulosen, den strukturellen Pflanzenteilen, bestehen und sich somit nicht für die Nahrungsmittelproduktion eignen. Vor allem Nebenprodukte aus der Landwirtschaft wie Getreidestroh, Maisstroh oder Zuckerrohrbagasse sind von besonderem Interesse. Diese lignozellulosehaltigen Rohstoffe enthalten Zucker, gebunden in Form von Zellulose und Hemizelluose, sowie den Holzklebstoff Lignin. Mit Hilfe innovativer Verfahren kann man so beispielsweise von einem Hektar Weizenfeld neben 4 bis 4,5 Tonnen Zucker in Form von Stärke weitere 3 bis 3,5 Tonnen Zucker in Form von Lignozellulose gewinnen und diese in einem nächsten Schritt zu Bioethanol fermentieren und aufreinigen.
Indem Zellulose-Ethanol mit Hilfe dieser Technologie hergestellt werden kann, wird ein neuer, heimischer und nachhaltiger Energieträger erschlossen. Dieser Energieträger basiert auf einem nachwachsenden Rohstoff, kann regional hergestellt werden, ist ohne Konkurrenz zu Nahrungs- und Futtermittel oder der Notwendigkeit weitere Anbauflächen erschließen zu müssen. Zudem zeichnet sich Zellulose-Ethanol durch eine besonders hohe Treibhausgaseinsparung von bis zu 95 Prozent im Vergleich zu fossilem Benzin aus.
Marktreife, Kommerzialisierung
Weltweit gibt es verschiedene Pilot- und Demonstrationsprojekte und erste kommerzielle Anlagen wurden bereits im Jahr 2014 in Betrieb genommen. In Straubing hat Clariant, ein Unternehmen in der Spezialchemie, in den vergangenen Jahren in Deutschlands größter Demonstrationsanlage das sogenannte Sunliquid-Verfahren zur Herstellung von Zellulose-Ethanol aus Agrarreststoffen zur Marktreife entwickelt. Dort werden jährlich bis zu 1.000 Tonnen Zellulose-Ethanol aus rund 4.500 Tonnen Rohstoff erzeugt.
Das vollständig integrierte Verfahren erfüllt die Voraussetzungen für die nachhaltige und wirtschaftliche Herstellung von Zellulose-Ethanol. Rohstoff- und prozessspezifische Enzyme garantieren hohe Zuckerausbeuten und die simultane Fermentation von C5- und C6-Zuckern erhöht die Ethanol-Ausbeute um etwa 50 Prozent. Durch die prozessintegrierte Produktion der Enzyme auf einem kleinen Teil des vorbehandelten Rohstoffs werden Enzymkosten minimiert. Zudem fallen keinerlei Energiekosten an, da die gesamte Prozessenergie durch ein effizientes Design und eine innovative Ethanol-Aufreinigung aus den anfallenden Reststoffen – hauptsächlich Lignin – gewonnen werden kann und ist damit mit den Produktionskosten konkurrenzfähig zu Bioethanol der ersten Generation.
Auf der Grundlage der in der Demonstrationsanlage in Straubing gewonnenen Ergebnisse wurde ein Process Design Package (PDP) entwickelt, welches eine flexible und darüber hinaus auch projektspezifische Umsetzung in eine kommerzielle Anlage ermöglicht. Diese Anlage wird in der Lage sein, mithilfe des Sunliquid-Verfahrens wirtschaftlich Ethanol zu produzieren.
Flottentest mit Zellulose-Ethanol
In einem Flottentest, den Clariant 2014 über einen Zeitraum von 12 Monaten in Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz und Haltermann durchführte, wurde erstmals in Deutschland die Anwendung von Zellulose-Ethanol als Biokraftstoff in Serienfahrzeugen getestet. Sunliquid20 – ein nachhaltiger und fortschrittlicher Biokraftstoff mit einem Zellulose-Ethanol-Anteil von 20 Prozent, bewies im Test ideale Verbrennungseigenschaften mit sehr gutem Wirkungsgrad. Neben der erstklassigen Leistung ist eine Verbesserung der Partikelzahlemissionen um rund 50 Prozent von Sunliquid20 gegenüber dem EU-Referenzkraftstoff EU5 gelungen. Zudem weist der Zellulose-Ethanol-Anteil über die gesamte Wertschöpfungskette (well-to-wheel-Betrachtung) Treibhausgaseinsparungen von bis zu 95 Prozent auf, ohne dabei in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion oder um Anbauflächen zu stehen.
Der Flottentest belegt, dass Biokraftstoffe der zweiten Generation auf Basis von landwirtschaftlichen Reststoffen schon jetzt technologisch verfügbar sind, ohne Kompromisse bei Reichweite und Fahrkomfort einzugehen oder Anpassungen der Tankstellen-Infrastruktur vorzunehmen.
Zellulose-Ethanol ist dabei nicht nur für den Kraftstoffmarkt interessant. Auch in der chemischen Industrie dient Ethanol als Grundstoff. Darüber hinaus bieten solche Technologien den Zugang zu fermentierbaren Zuckern, die biotechnologisch oder chemisch weiter zu Basis- oder Spezialchemikalien umgesetzt werden können, welche in anderen Bereichen zum Einsatz kommen, wie zum Beispiel in der Kunststoff-, Konsumgüter- oder Nahrungsmittelindustrie.
Globales Potenzial
Die USA, Asien und die Europäische Union sind führende Hersteller von landwirtschaftlichen Produkten, hier fallen auch große Mengen an bisher unzureichend genutzten Nebenprodukten wie zum Beispiel Stroh von Reis, Mais und Getreide an. Allein in der EU werden jährlich etwa 240 Millionen Tonnen Getreidestroh produziert. Nur ein kleiner Teil davon wird derzeit genutzt. In mehreren Langzeitstudien konnte gezeigt werden, dass abhängig von der Region und den dort vorherrschenden Bedingungen bis zu 60 Prozent des anfallenden Strohs vom Acker gefahren werden können und somit für eine weitere Verwertung zur Verfügung stehen [1, 2, 3]. Aus dieser Menge könnten mit Technologien wie Sunliquid rund 27 Millionen Tonnen Zellulose-Ethanol hergestellt werden, was dem Energiegehalt von fast 18 Millionen Tonnen fossilem Benzin entspricht. So könnten rund 25 Prozent des für 2020 für die EU vorhergesehenen Benzinbedarfs durch Zellulose-Ethanol gedeckt werden.
Biotechnologie-Lösungen werden gebraucht
Die steigende Nachfrage nach Konsumgütern und Energieprodukten bei gleichzeitigem Begrenzen der Nutzung fossiler Rohstoffe und umfangreiche Klima- und Energieziele, die von Regierungen aufgesetzt werden, können nur erfüllt werden, wenn wir auch nach Lösungen im Bereich der Biotechnologie suchen. Ein echter Wandel erfordert leistungsfähige biotechnologische Verfahren und den Aufbau der entsprechenden Produktionskapazitäten. Diese Verfahren werden nachhaltige und gleichzeitig wettbewerbsfähige Energieprodukte benötigen, aber in der Markteinführung vor allem stabile und innovationsoffene Rahmenbedingungen.
Zellulose-Ethanol besitzt das Potenzial, Mobilität auf Basis regionaler Ressourcen nachhaltiger zu gestalten, Erdölimporte zu reduzieren und Arbeitsplätze sowie wirtschaftliches Wachstum zu schaffen. Die Technologien dafür sind marktreif und die Rohstoffe aus der existierenden Landwirtschaft vorhanden. Unter belastbaren politischen Rahmenbedingungen, die Investoren die benötigte Planbarkeit geben, kann die Technologie ihr ganzes wirtschaftliches wie ökologisches Potenzial entfalten.
Weitere Informationen
[1] Förderverband Humus e.V.: Getreidestroh zur Humusreproduktion, Zossen 2010. Abrufbar unter: www.fvh-humus.de/wordpress/wp-content/uploads/2012/06/Stroh.pdf
[2] Körschens, M.; Rogasik, J. u. Schulz, E.: Bilanzierung und Richtwerte organischer Bodensubstanz. In: Landbauforschung, Völkenrode 55 (2005) 1, S. 1–10.
[3] Münch, J.: Nachhaltig nutzbares Getreidestroh in Deutschland. Positionspapier des IFEU – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH; Heidelberg 2008