Erzählen Sie doch bitte zum Start, in welchen Märkten die Industriesparte von Schaeffler aktiv ist?
Das Industrie-Produktportfolio von Schaeffler umfasst Wälz- und Gleitlager, Linear- und Direktantriebstechnik sowie Serviceleistungen wie Instandhaltungsprodukte und Monitoringsysteme. Wir haben unsere Märkte in vier Cluster unterteilt. Der erste Bereich umfasst erneuerbare Energien, insbesondere Windenergie sowie das aufstrebende Thema Wasserstoff. Das zweite Cluster bezieht sich auf den Transport- und Mobilitätssektor. Der dritte Marktbereich nennt sich Machinery & Materials. Hier adressieren wir den Maschinenbau sowie die Rohstoffgewinnung und -verarbeitung. Im vierten Cluster geht es um Sektoren wie Werkzeugmaschinen, Medizintechnik, Lebensmittel-, Getränke- sowie Verpackungsindustrie. Unsere Marktstruktur ist sehr breit angelegt, aber auch bestens strukturiert. Das schöne dabei ist, unser Produktportfolio kann in allen Segmenten unser aller dringlichstes globales Ziel unterstützen, nämlich den CO2-Footprint zu reduzieren.
Schaeffler selbst strebt an, bis 2040 klimaneutral zu wirtschaften. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Plans ist der „Grüne Einkauf“. Was verstehen Sie darunter?
Beim grünen Einkauf geht es darum, dass unsere Lieferanten uns nachhaltige Produkte liefern. Das ist besonders wichtig, wenn wir über das Industriegeschäft sprechen. Stahl ist hier unser Kernprodukt auf der Rohmaterialseite, denn wir verarbeiten täglich 7000 Tonnen – das ist in etwas die im Eiffelturm verbaute Menge. Und auf ein Jahr hochgerechnet benötigen wir rund 2 Millionen Tonnen Stahl. Wir wollen also wo immer möglich, grünen Stahl von unseren Lieferanten. Deshalb haben wir beispielsweise auch in das Start-up H2 Green Steel investiert, das Stahl klimaneutral mit grünem Wasserstoff produziert, der aus erneuerbaren Energien wie Windkraft gewonnen wird. Allerdings deckt die Produktionskapazität von H2 Green Steel bei weitem unseren Bedarf noch nicht ab. Wir sehen die Stahlproduzenten nicht in einer Bringschuld, sondern wollen selbst durch Investitionen unseren Beitrag leisten.
Aber Sie sprechen bestimmt auch viel mit den „klassischen“ Stahlherstellern bei den benötigen Mengen?
Natürlich sprechen wir mit allen Stahlherstellern. Wir machen uns ein Bild davon, welcher Hersteller in der Lage ist, uns unter geeigneten Bedingungen möglichst nachhaltig produzierten Stahl zu liefern. Über unser Programm Green Steel Activation befassen wir uns auch technologieoffen mit mehreren Einflussgrößen der Stahlherstellung und -veredelung und bringen unsere Expertise gerne bei den Stahlherstellern ein. Neben den technischen Aspekten müssen wir realistisch aber auch die Kosten berücksichtigen. Wie viel teurer wird grüner Stahl im Vergleich zu konventionellem Stahl sein? Stahlherstellung ist leider ein sehr energieintensiver Prozess und kann leider nicht über Nacht auf grün umgestellt werden. Aber es findet bereits viel Bewegung auf dem Markt statt und wir stoßen hier gerne einige Prozesse in Richtung mehr Nachhaltigkeit an.
Fragen Ihre Kunden bereits nach, wie ökologisch die Lager von Schaeffler hergestellt werden?
Ja, das erfolgt zunehmend, insbesondere von großen Kunden! Und wir zeigen ihnen immer sehr transparent unsere Nachhaltigkeitsstrategie auf. In unserer umfassenden Betrachtung aller relevanten Parameter sind wir auch bereits weit vorangekommen. Im Moment liegt der Fokus darauf, unabhängig vom Stahleinkauf unsere eigene Produktion auf grün umzustellen. In Europa sind wir bereits so weit, dass alle Werke mit grünem Strom betrieben werden. Bis 2024 werden wir weltweit komplett auf grünen Strom umgestellt haben. Wir benötigen aber immer noch einen gewissen Anteil an Gas bei sehr energieintensiven Prozessen. Hier führen wir eine schrittweise Umstellung auf Wasserstoff durch.
Hat 100 Prozent grüner Strom negative Auswirkungen auf die Bilanz?
Aktuell ist insgesamt gesehen der Preisunterschied für grünen Strom nicht gravierend. Das ist aber regional sehr unterschiedlich. Die hohen Stromkosten in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sind allerdings ein kritischer langfristiger Trend. Die Frage ist, wie sich die Preise entwickeln werden. Den freien Markt als alleinige Quelle zu nutzen, birgt ein gewisses Risiko. Daher sichern wir uns immer mehr über langfristige Lieferverträge und Power Purchase Agreements ab und investieren in eigene Solarparks.
Können Sie das konkretisieren, denn bis 2030 strebt Schaeffler an, 25 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen selbst zu produzieren…
Im Jahr 2022 haben wir einen Liefervertrag mit Statkraft abgeschlossen und beziehen bereits 11 Prozent unseres Strombedarfs in Deutschland aus Photovoltaik. Ende 2022 haben wir einen eigenen Photovoltaik-Park in Kammerstein mit knapp 10 Megawatt Peak-Leistung erworben. Das deckt 2 Prozent des Elektrizitätsbedarfs der deutschen Schaeffler-Standorte ab. Und am Standort Bühl entsteht gerade Solaranlage mit rund 3.700 Photovoltaikmodulen. Ab 2024 beziehen wir über Statkraft Strom aus Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 18 Megawatt. Wenn wir zum Beispiel unser Werk in Schweinfurt betrachten, können wir dort bereits den maximalen Energiebedarf von 25 Megawatt decken. Unsere Strategie besteht darin, einerseits grünen Strom zuzukaufen, schrittweise aber in Wind- und Solarenergie zu investieren.
Arbeitet Schaeffler auch intensiv mit den lokalen Kommunen an seinen Standorten zusammen, um gemeinsam die Energiewende voranzutreiben?
Absolut! Das ist von großer Bedeutung. Das Bewusstsein der Kommunalpolitiker wächst zunehmend, da eine Industrie in Deutschland nur dann eine Zukunft hat, wenn die Energieversorgung zu vernünftigen Kosten gewährleistet ist. Deshalb sind wir im ständigen Austausch mit allen Kommunen und setzen uns aktiv dafür ein, unsere Standorte mit erneuerbaren Energien abzusichern. Dies geschieht jedoch nicht von selbst. Es erfordert eine intensive Zusammenarbeit unserer regionalen Teams, die über die verschiedenen Geschäftsbereiche hinweg, sei es Industrie oder Automotive, für die Stromversorgung verantwortlich sind. Unsere zentralen Abteilungen unterstützen diese Bemühungen, indem sie kontinuierlich Energiemodelle analysieren und optimieren.
Ein weiterer Bestandteil Ihrer Klimaneutralitätsstrategie ist die „Grüne Produktion“. Wie können Sie den CO2-Fußabdruck in diesem Bereich signifikant reduzieren?
Der erste Schritt ist die Transparenz über alle Energieflüsse. Wenn beispielsweise zehn Elektromotoren benötigt werden, um eine bestimmte Leistung zu erbringen, können entweder alle zehn Motoren laufen oder man schaltet drei davon ab. Bei gleicher Leistung erzielt man so eine bessere Effizienz. Wir investieren sukzessive in jedem Werk in die Digitalisierung, um diese Energieflüsse transparent zu machen und mit dem optimalen Betrieb zu vergleichen. Es geht darum, das Beste aus den vorhandenen Maschinen und Anlagen herauszuholen. Der zweite Schritt besteht darin, alte Anlagen und Komponenten mit geringer Effizienz durch neue Komponenten mit besserem Wirkungsgrad zu ersetzen. Wir kennen den CO2-Fußabdruck jeder Maschine und Anlage genau und vergleichen den Energieverbrauch zwischen bestehenden und potenziell neuen Anlagen. Wir betrachten auch Heizungs- und Belüftungssysteme sowie Isolierungen. Wenn beispielsweise eine Wärmebehandlung von Metallen stattfindet, lässt sich die entstehende Wärme nicht vermeiden. Aber wir können von Gas auf Strom in der Wärmebehandlung umstellen. Außerdem nutzen wir insbesondere bei Neuinstallationen und Neubauten die entstehende Energie aus der Abwärme. Bei Wasser nutzen wir außerdem einen geschlossenen Kreislauf, anstatt ständig Frischwasser zu entnehmen und abzuleiten. Es ist also ein ganzheitlicher Ansatz, der schrittweise, aber mit großem Engagement umgesetzt wird.
Der dritte Bestandteil auf dem Weg zu Schaefflers Klimaneutralität sind „Grüne Produkte“. Direkt gefragt, was macht ein Lager grün, geht es hier um klimaneutrale Materialien und weniger Zerspanvolumen?
Oft handelt es sich um ganz einfache Lösungen. Nehmen wir beispielsweise Wälzlager. Wenn man einen Ring betrachtet, der als Rohmaterial zylindrisch aussieht, kann man entweder die Innenfläche durch maschinelles Abtragen formen oder den geschmiedeten Ring verwenden, der die gewünschte Form bereits annähernd aufweist. Das Schmieden erfordert zwar etwas mehr Aufwand für Werkzeuge, spart jedoch den gesamten Bearbeitungsprozess ein. Dies ist ein Beispiel für das formnahe Schmieden. Ein anderes Beispiel ist die Optimierung von Reibungseigenschaften. Stellen Sie sich ein Kegelrollenlager vor, bei dem ein Laufkontakt auftritt. Anstelle des Kegelrollenlagers könnte man ein Tandemkugellager mit zwei Kugeln verwenden, was zu einer deutlichen Reduzierung der Reibung führt. Solche konkreten Umsetzungen zielen darauf ab, Reibung zu minimieren und den Produktionsaufwand zu verringern. Es gibt noch viel Potenzial für Verbesserungen. Im Bereich grüner Produkte geht es auch um die Verwendung von Materialien wie Keramik. Zum Beispiel können Wälzkörper aus Keramik anstelle von Stahl verwendet werden, was Vorteile wie geringe Wärmeaufnahme und eine daraus resultierende Reduzierung der Wärmeübertragung auf das Schmieröl bietet. Dies kann in Anwendungen, in denen Gewicht und Wärmemanagement eine Rolle spielen, vorteilhaft sein. Durch einfache Lösungen wie den Austausch von Stahlkugeln durch Keramikkugeln lassen sich erhebliche Effekte erzielen.
Wenn wir über grüne Produkte sprechen: Wie sieht es hier mit Recycling oder Wiederaufbereitung alter Lager aus?
Stahl ist ein hervorragend recycelbares Material und verliert dabei auch nicht an Qualität. Natürlich erfordert das Einschmelzen von Stahl immer noch einen beträchtlichen Energieaufwand. Viel energieeffizienter ist die Methode des Aufbereitens gebrauchter Lager. Hierfür benötigen wir nur 10 Prozent der Energie im Vergleich zur Herstellung eines neuen Lagers. Wir bieten Kunden hier alle Optionen der Kreislaufwirtschaft an. Sie können uns gebrauchte Lager für das Remanufacturing geben oder ein Austauschprogramm mit neuen Produkten vereinbaren. Bei aufbereiteten Lagern erhält der Kunde über einen Data-Matrix-Code eine elektronische Lebensakte mit, so dass er immer transparent über den Werdegang informiert ist.
Über welche Lebensdauer verfügen denn Ihre Lager typischerweise?
Grundsätzlich hängt die Lebensdauer der Lager stark von der Anwendung ab. Es gibt aber klare Anforderungen für verschiedene Branchen, wie beispielsweise 20 Jahre im Windbereich oder 1 bis 1,5 Millionen Kilometer im Bahnsegment, bevor Wartungsarbeiten erforderlich sind. Wenn Lager wie unsere diese Anforderungen erfüllen und bei Überprüfungen wie neu befunden werden, tendieren die Betreiber dazu, die Wartungsintervalle zu verlängern, anstatt neue Lager einzubauen. Der Trend geht also in Richtung Lebenszykluskostenreduzierung durch längere Laufzeiten. Natürlich gibt es auch Anwendungen, bei denen Lager aufgrund hoher Belastungen alle sechs Monate oder öfter ausgetauscht werden müssen. In solchen Fällen ist es wichtig, dass die Wartung vorhersehbar ist und keine unerwarteten Ausfallzeiten auftreten. Hier unterstützen wir unsere Kunden dann mit digitalen Services für Predictive Maintenance.
Es passt in das Thema Nachhaltigkeit, überraschend finde ich trotzdem Ihr Engagement bei grünem Wasserstoff. Wie und wann kam es dazu, dass Sie Elektrolyseur-Stacks für die H2-Produktion anbieten?
Die Entscheidung, sich mit grünem Wasserstoff zu beschäftigen, basiert auf technologischen und marktgetriebenen Faktoren. Wir erkannten frühzeitig, dass die Wasserstofftechnologie präzise Komponenten erfordert, die zu unserer Expertise passen. Bereits 2015 begannen wir mit dem Plan, nicht nur Forschung zu betreiben, sondern auch serienrelevante Produkte zu entwickeln. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung von Elektrolyse-Stacks für Anlagenbauer in der PEM-Wasserstoffindustrie. Die PEM-Elektrolyse ist für uns das beste Verfahren für die Erzeugung von grünem Wasserstoff durch die Aufsplittung von Wasser durch Strom. Durch eine Akquisition konnten wir uns auch schneller in diese Technologie einarbeiten. Wir liefern bereits die ersten 100-kW-Stacks für kleinere Elektrolyseure aus und arbeiten an einer 1-MW-Anlage. Hier planen wir bereits 2024 die Serienlieferung. Wasserstoffproduktion ist ein spannendes und komplexes Feld und unsere Kernkompetenzen im Bereich Beschichtungs-, Material- und Umformtechnik spielen bei der Protonen-Austausch-Membran eine wichtige Rolle.
Schaeffler will Wasserstoff für Entwicklung eigener Produkte, Dekarbonisierung im Unternehmen und in der Lieferkette einsetzen. Können Sie hier jeweils konkrete Einblicke geben?
In Bezug auf eigene Produkte liegt unser Fokus auf Brennstoffzellen. Für die Dekarbonisierung unserer Werke verwenden wir Wasserstoff zur Energieerzeugung. Wir setzen dies bereits in unserem Werk in Herzogenaurach ein und rollen die Wasserstoffnutzung sukzessive auf weitere Standorte aus. In der Lieferkette spielt Wasserstoff ebenfalls eine wichtige Rolle, angefangen bei verschiedenen Produkten bis hin zum grünen Stahl. Dies war auch ein Treiber für unser Engagement im Wasserstoffbereich. Als produzierendes Unternehmen streben wir nach Energieeffizienz und Klimaneutralität und werden daher Wasserstoff benötigen. Unsere Lieferkette wird ebenfalls Wasserstoff benötigen. Wir fragten uns also frühzeitig, was wir für die Wasserstoffindustrie und ihre Lösungen beitragen können.
Wasserstoff wird aber nicht schlagartig alle Probleme lösen...
Das ist richtig. Derzeit gibt es viele Pilotprojekte, auch bei uns in Herzogenaurach, wo wir Wasserstoff als Ersatz von Blockheizkraftwerken einsetzen. In einem Produktionswerk benötigt man grob gesagt Strom, Gas und Wasser. Die Frage ist, was man mit dem Gas macht. Wenn es nicht durch Strom ersetzt werden kann, ist Wasserstoff eine natürliche Alternative. Die Verfügbarkeit von Wasserstoff ist jedoch noch schwer vorherzusagen. Bei Schaeffler investieren wir auch nicht blind in Wasserstoff, sondern nehmen eine umfassende Bewertung vor. Die gesamte Wasserstoffkette – Produktion, Transport und Lieferung – steckt noch in den Anfängen und die Industrie muss gemeinsam hier Fahrt aufnehmen.
Das ist eine passende Überleitung zu Ihrem Engagement als Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat. Welche Impulse geben Sie hier?
Deutschland strebt eine führende Rolle in der Wasserstofftechnologie an. Der Nationale Wasserstoffrat besteht aus 25 Experten aus verschiedenen Branchen und Forschungsinstituten. Wir haben beispielsweise konkrete Pilotstandorte für die chemische Industrie und die Stahlindustrie vorgeschlagen und geben Empfehlungen für Forschungsprojekte im Bereich Materialien und Prozesstechnologien. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Speicherung und dem Transport von Wasserstoff, insbesondere der Nutzung des deutschen Gasnetzes für Wasserstoff. Im Wasserstoffrat bilden sich dann auch Partnerschaften, um gemeinsam Technologien und Lösungen voranzutreiben und Deutschland eine führende Rolle zu sichern.
Müssen große Konzerne wie Schaeffler in Bezug auf Nachhaltigkeitsstrategien wie grüner Wasserstoff Vorreiter sein, um eine positive Entwicklung in der Industrie anzustoßen?
Vorreiter ist natürlich ein sehr ambitionierter Begriff. Es erforderte aber unternehmerischen Mut von Schaeffler, die Entscheidung pro Wasserstoff frühzeitig zu treffen und in Vorleistung zu gehen. Denn es gab damals viele Unsicherheiten und auch jetzt sind noch viele Fragen offen, wie sich der Markt rund um Wasserstoff entwickelt. Wir analysieren den Markt und seine potenziellen Umsätze und Kosten sehr genau. So ehrlich muss man sein, uns nicht als Missionare aufzuspielen, sondern wir wollen auch ein für uns interessantes Geschäft generieren. Dennoch tragen wir als Konzern eine unternehmerische Verantwortung, die Nachhaltigkeit in der Welt zu verbessern. Unsere Motivation geht über den reinen Profit hinaus. Schaeffler hat sich daher frühzeitig und mutig in diesem Bereich engagiert.