Wir stehen vor einer völlig neuen Ära der Künstlichen Intelligenz, kurz KI. Angekündigt wird sie durch die bemerkenswerten Durchbrüche der vergangenen Jahre, wie etwa dem Jeopardy spielenden IBM-Supercomputer Watson, dem autonomen GoogleCar oder dem Sieg des Computers über den Menschen beim chinesischen Brettspiel Go. Dabei muss zur Kenntnis genommen werden, dass die selbstlernende Google-Software Alpha-Go mit Spielstrategien aufwarten konnte, die kein menschlicher Spieler bisher je in Meisterschaften angewendet hat. Hier entstehen künstliche Entitäten mit großer Mächtigkeit – und einer Kreativität, deren Folgen revolutionär sein werden.
Die neuen Systeme sind auch deshalb „radikal“, weil sie mit unseren bisherigen Vorstellungen von Technikgestaltung brechen: Aktuelle Technologien entspringen Konzepten, die wir als Mensch designed, konstruiert und programmiert haben. Gegenwärtige Technik-Systeme sind das Ergebnis unseres Denkens und unterliegen in diesem Sinne auch vollständig unserer Kontrolle. Ein autonomes Auto aber wird zwar auch von Menschen designed, konstruiert und programmiert – im Moment seines realen Einsatzes aber beginnt es zu lernen und entwickelt sich selbstständig weiter. Das muss es auch, weil es sich anderenfalls nicht auf neue Herausforderungen einstellen könnte, die in einer so hohen Komplexität wie dem Straßenverkehr mehr Regel als Ausnahme sind.
Ein solcher Lernprozess kann aber längst nicht mehr in demselben Maße kontrolliert werden wie unsere herkömmlichen „Master-Slave-Systeme“. Mit diesem Kontrollverlust tun wir uns schwer. Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass genau das Zulassen selbständigen Lernens zu vollkommen neuen Sicherheitskonzepten führt – denn solche autonomen Fahrzeuge tauschen in Echtzeit Sensorinformationen aus, das System kann buchstäblich „um die Ecke schauen.“
Vor diesem Hintergrund wandelt sich auch die gesamte Produktionslogik, physikalische und virtuelle Welt verschmelzen. Allein in den vergangenen wenigen Monaten konnten die verschiedenen Forschungsgruppen unseres Cybernetics Labs der RWTH Aachen University mit einer großen Anzahl an KI-getriebenen Anwendungsbeispielen in echten industriellen Anwendungen aufwarten. So konnten wir etwa die tradierte – und zu langsame – Qualitätskontrolle eines Automobilherstellers durch „supervised learning“ komplett auf den Kopf stellen, mit sehr gutem Erfolg.
In einem anderen Fall haben wir ein Wissensmanagementsystem mit „unsupervised learning“ optimiert und damit chemische Verfahren effizienter gemacht. Im Kontext „Losgröße 1“ lernte ein Industrieroboter eigenständig, einer individualisierten, also sich ständig verändernden Linie zu folgen. Die technologische Basis sind hier Algorithmen des „reinforcement learning“ – ein zentraler Durchbruch im Trend hin zu einer individualisierten Produktion, in der Roboter nicht mehr über teach-in angelernt werden können. Und in einem vierten, noch eher spielerisch erprobten Szenario, wurde die komplette Fließband-Intralogistik durch mobile Teamroboter und Inselfertigung ersetzt.
Am Ende eines konsequenten Einsatzes von machine learning und künstlicher Intelligenz könnte folgendes stehen:
Manufakturen, einem intelligenten Organismus gleichend, mit lernenden Produktionsmaschinen und intelligenten Steuerungssystemen: Menschen, Robotern und Web-Agenten,
mit einer zunehmend autonomen Produktions- und Logistikkette: „Everybody and everything is networked“,
die in enger Vernetzung von Virtueller Realität, Additive Manufacturing und Künstlicher Intelligenz
eine neue Ära in der Produktionstechnik schaffen: die der vollständigen Individualisierung von Produkten, also von „Flexible Production“ zu „Individualized Production“.