Smart Traffic & Mobility Leichtbau mit Grips

23.09.2014

Intelligenter Leichtbau bedeutet mehr als nur einen Werkstoff durch einen anderen zu ersetzen. Mit einem neuen Berechnungsverfahren können Bauteile und sogar ganze Rohkarosserien so optimiert werden, dass sie sicherer, komfortabler und leichter zugleich sind.

Der Fahrzeugentwicklungsprozess der Automobilhersteller ist einem ständigen Wandel unterworfen. Leichtbau hat in der letzten Zeit stark an Bedeutung gewonnen und ist in die vorderste Reihe der Entwicklungsziele gerückt. Derzeitige Entwicklungsprozesse sehen überwiegend vor, verschiedene Attribute wie das Crash-Verhalten, die schwingungstechnische Optimierung oder Betriebsfestigkeit individuell und zum Teil in unterschiedlichen Bereichen der Projektorganisation zu entwickeln. Das Gewicht wird dabei als Entwicklungs­attribut oft zweitrangig berücksichtigt und ist eher das Resultat, nachdem die funktionalen Attribute erfolgreich umgesetzt worden sind.

Weitere Gewichtsreduktionen bei steigenden funktionalen Anforderungen lassen sich in Zukunft nur dann effizient erreichen, wenn alle wichtigen Attribute einschließlich des Gewichts von Anfang gleichzeitig berücksichtigt werden. Hier spielt numerische Simulation und Optimierung eine zentrale Rolle, weil die Arbeitsweise der Entwickler durch solche Methoden sehr gut unterstützt wird. Der Einsatz von Optimierung kann signifikant dazu beitragen, die Gewichtsspirale in der automobilen Entwicklung umzukehren.

Leichtbau „light“ reicht nicht

Automobiler Leichtbau konzentriert sich bis heute oft nur auf die Substitution des Materials. Andere Maßnahmen wie innovative Herstellungsprozesse sowie konstruktiver Leichtbau bleiben dabei unberücksichtigt [1] oder werden ausschließlich dafür eingesetzt, eine mangelnde Funktionserreichung nach der Materialsubstitution wieder herzustellen. Aktuelle Forschungsarbeiten und Publikationen zeigen, dass die Materialsubstitution oft auf Komponentenbasis geplant und durchgeführt wird. Dies führt dazu, dass den Nachbarbereichen und dem Gesamtsystem wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Oft werden Komponenten durch die Materialsubstitution eher auf eine einzelne zentrale Funktion hin optimiert und weitere Kriterien außer Acht gelassen. Die gleiche Studie stellt fest, dass umfassender, übergreifender Leichtbau einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz erfordert. Die bestmögliche Lösung kann nur dann gefunden werden, wenn alle verfügbaren Leichtbaumaßnahmen gleichzeitig berücksichtigt und ausgeschöpft werden – und wenn Leichtbaumaßnahmen auf Systemebene oder sogar für die gesamte Rohkarosserie geplant und durchgeführt werden [2].

Diese Erkenntnisse stehen in Einklang mit den Erfahrungen, die auch Altair Engineering gemacht hat. Sie bilden die Grundlage für Lösungen zur Verbesserung der Entwicklungsmethoden und -prozesse. Analyse und Optimierung müssen eine treibende Rolle in der Fahrzeugentwicklung einnehmen. Die Optimierung behandelt hierbei verschiedene Attribute gleichzeitig, darunter auch das Gewicht, und muss auf Systemebene durchgeführt werden.

Wenn die Simulation die Konstruktion antreiben und maßgeblich beeinflussen soll, werden in unterschiedlichen Entwicklungsphasen verschiedene Ansätze der Optimierung benötigt. In den früheren Phasen der Entwicklung (die Konzeptphasen) konzentriert sich die Optimierung auf größere Systeme bis hin zur Rohkarosserie. Es gilt, die bestmögliche sowie eine belastungsgerechte Struktur zu finden und zu qualifizieren. So kann man sicherzustellen, dass mit den resultierenden Strukturen und dem finalen Konzept mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit die Entwicklungsziele erreichen werden. Spätere Entwicklungsphasen ermöglichen nur noch kleinere Änderungen. Die Modelle werden detailreicher, um die Anforderungen auf Bauteilebene beurteilen und erfüllen zu können. Aber auch hier werden Ansätze benötigt, die die ganze Karosserie umfassen und bei denen wichtige Attribute gleichzeitig berücksichtigt werden.

Multidisziplinäre Optimierung

Bei der multidisziplinären Optimierung (MDO) werden Strukturen gleichzeitig hinsichtlich verschiedener Attribute optimiert, das heißt die Konstrukteure können verschiedene Disziplinen und Konstruktionsattribute gleichzeitig betrachten. Da per MDO auch die Interaktion zwischen den einzelnen Disziplinen betrachtet werden kann, ist das Ergebnis dieses Vorgehens besser als die separate Betrachtung der einzelnen Attribute. Allerdings führt die simultane Betrachtung aller Disziplinen auch zu einer deutlich höheren Komplexität der Aufgabenstellung.

Am Beispiel einer Stoßstange kann das Vorgehen verdeutlicht werden. Dabei sollten drei unterschiedliche Attribute (Crash-Verhalten, Schwingungsverhalten (NVH) und Dauerfestigkeit) sowie das Gewicht optimiert werden. Die kombinierte Optimierung aller Attribute zu einem besseren Ergebnis kommt als die Lösung für jedes einzelnes Attribut (siehe Tabelle unten). Trotz einer Gewichtsreduzierung um 24 Prozent werden die Zielwerte aller anderen Attribute erreicht oder um bis zu 22 Prozent (Crashverhalten) übertroffen. Wird hingegen auf einen einzelnen Paramater hin optimiert, sind die Abweichungen von den Zielwerten signifikant. So wird bei einer schwingungstechnischen Optimierung der Crash-Zielwert um mehrere Hundert Prozent verfehlt.

Herausforderungen

Bei der Umsetzung einer MDO für die Untersuchung einer kompletten Rohkarosserie ergeben sich, im Unterschied zur MDO von kleineren Komponenten, große Herausforderungen. So steigt die Zeit für Modellaufbau und Definition des Problems signifikant. Eine vollständige MDO-Studie einer Rohkarosserie bedeutet, dass beispielsweise 50 bis 200 Design­variablen und Systemantworten in 5 bis 20 verschiedenen Simulationsmodellen – das heißt für 5 bis 20 Lastfälle – definiert werden müssen.

Bei nichtlinearen Optimierungen werden oft viele Simulationsläufe benötigt, um aussagekräftige Informationen zur Designrichtung zu liefern. Konstruktionsabteilungen können jedoch das Ende der Studien oft nicht abwarten, sondern müssen die Konstruktion zügig weiterentwickeln. In komplexen MDO-Studien werden oft sehr hohe Datenmengen erzeugt. Aus all diesen Daten müssen die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden, anderenfalls besteht das Risiko, die Konstruktion in eine falsche Richtung weiterzuentwickeln. Schließlich gilt es, die Handhabung so zu vereinfachen, dass Fehlbedienungen auszuschließen sind. Denn Fehler aufgrund der Komplexität des Systems stellen den Erfolg und die Verwendbarkeit der Studie in Frage. Eine saubere Dokumentation muss es ermöglichen, die Modelle und Systeme, die als Basis der MDO verwendet wurden, zurückzuverfolgen. Falls Zweifel über den Ursprung der Daten und Modelle bestehen, sind die Ergebnisse unbrauchbar.

Umfangreiche MDO-Studien sind machbar

Altair arbeitet an einer Lösung, mit der die Herausforderungen umfangreicher MDO-Studien gemeistert werden können. Die Lösung unterstützt eine MDO mit mehr als 15 Lastfällen, 100 Designvariablen und 100 Antworten und verfolgt das Ziel, den zeitlichen Aufwand wie folgt zu begrenzen:

  • Aufbau und Definition (bei lauffähigen FE-Modellen): unter 4 Stunden

  • Ausführung: weniger als 5 Tage auf 250 CPUs

  • Postprocessing und Berichterstellung: unter 4 Stunden

Die komplette MDO-Studie wird über eine einzige Benutzeroberfläche gesteuert, die alle Schritte unterstützt, vom Modellaufbau bis hin zur Berichterstellung. Die Benutzeroberfläche leitet den Anwender mit dem „Prozess Manager“ in Altair HyperWorks durch die einzelnen Schritte und unterstützt die Lastfalldefinition aller für die Studie benötigten Modelle. Diese Modelle können verschiedenen Ursprungs sein und unterschiedliche Nummerierungskonventionen aufweisen.

Eine Verbindungsstrategie („Linking“) wird verwendet, um die gleichen Komponenten in unterschiedlichen Modellen miteinander zu assoziieren. Weitere Verbindungen und Assoziationen werden mit dem sogenannten Symmetry-Linking zur Verknüpfung der Design­variablen (DV) für gespiegelte Komponenten bereitgestellt. Dies stellt sicher, dass die linke und rechte Seite die gleichen Eigenschaften erhalten. Die Verbindungen werden aus dem Interface heraus gesteuert. Das automatische Verbinden lässt sich auf Wunsch überschreiben.

Verknüpfbare Designvariable

Designvariablen werden im Darstellungsbereich des Interfaces erzeugt und können verknüpft werden, um in mehreren Modellen Verwendung zu finden. Sie können jedoch auch auf ein Modell beschränkt werden. Daher können Frontal- und Heckcrash-Lastfälle viele separate Designvariablen aufweisen.

Bei Torsions-NVH-Untersuchungen wird erfahrungsgemäß jedoch eine große Anzahl der Designvariablen sowohl von den Frontal- als auch den Heckcrash-Modellen übernommen werden. Systemantworten und dazu gehörige Einschränkungen und Grenzen können von standardisierten firmenspezifischen Templates ausgelesen, händisch definiert oder in einer Kombination aus Template und händischer Vorgehensweise definiert werden.

Optimierungsstrategie

Die Optimierungsstrategie ermöglicht eine industrialisierte, pragmatische Lösung für MDO, die Ausgabeinformationen in der benötigten Qualität und Geschwindigkeit liefert, um den Konstruktionsprozess zu beeinflussen. Die Lösung umfasst unter anderem die folgenden Lösungsstrategien:

  • Optimierung auf Basis der „Design of Experiments“-Methodik (DOE) unter Verwendung eines Nested Uniform Latin HyperCube Sampling (N-ULH)

  • Einpassung der System-Antwortflächen in den Versuchsplan per Moving Least Square Methods (MLSM)

  • Verwendung von lokalen Antwortflächen (Subspaces).

Die Erstellung des Versuchsplans für die DOE ist für die Effizienz der Methode von grundlegender Bedeutung. Bei Verwendung der „Nested Uniform Latin HyperCube“-Methode kann die Genauigkeit über die „DOE-Zahl“ (1N, 2N, 4N, 8N) gesteuert werden. Abhängig von ihr und der Anzahl der gewählten Extrapunkte „np“ lässt sich die Anzahl von Proben direkt berechnen. N bezeichnet hier die Anzahl Designvariabeln. Um die Berechnungsläufe für die MDO signifikant zu reduzieren, können lokale Antwortflächen („local subspace response surfaces“) verwendet werden.

Die Lösung von Altair umfasst Evaluierungswerkzeuge, mit denen die bestmögliche Information aus der MDO-Studie gezogen werden können. Die meisten der Werkzeuge sind bereits in HyperView verfügbar, dem Standard-HyperWorks-Werkzeug für Postprocessing. HyperView wird aus der MDO-Oberfläche zur Ergebnisevaluierung gestartet und ermöglicht beispielsweise die Erstellung von Snake Plots und Korrelationsdiagrammen.

Praxisnah

Eine Demonstration der MDO-Lösung wurde unter Verwendung realer Fahrzeugdaten durchgeführt. Dabei wurden sechs Lastfälle für die Untersuchung definiert. Diese decken die wesentlichen Crash-Lastfälle sowie grundlegende NVH-Anforderungen ab.

Die Herausforderung lag im Setup mit den vorher genannten „local subspaces“. Daher wurden einige Designvariablen global und einige nur für einen oder mehrere Lastfälle definiert. Alle Designvariablen bezogen sich auf die Komponentendicke. Die Dicken wurde so ausgewählt, dass der Designbereich +/-15 Prozent der Originaldicke beträgt. Unter Verwendung der gleichen Argumente wurde die Anzahl der Antwortvariablen klein gehalten. Sie sind aber dennoch für das zu lösende Problem repräsentativ.

Das Ziel der Optimierung war die Minimierung der Masse. Mit einem Nested Uniform Latin HyperCube Sampling wurden die Proben für die DOE ausgewählt. So wurde den Proben entsprechend 8N Stützstellen generiert, auch wenn in der ursprünglichen Ausführung oder Aufgabenstellung nur 2N enthalten waren. Da jeder Unterbereich (1N, 2N, 4N und 8N) einen optimierten Teilprobenbereich darstellt, kann die Studie später im Hinblick auf eine höhere Genauigkeit erweitert werden, ohne den Proben-Algorithmus erneut durchlaufen lassen oder die ersten 2N-Simulationen erneut durchführen zu müssen.

Das Beispiel hat gezeigt, dass es mit der von Altair entwickelten Lösung sehr gut möglich ist, reale MDO-Probleme aus der Industrie zu lösen. Vor allem die Vorbereitung der Simulation wird erheblich erleichtert. Der gewählte Ansatz, um das mathematische Problem zu definieren und zu lösen, ist vielversprechend und Altair arbeitet weiter daran, diesen Ansatz zu verfeinern und zu verbessern. Mit der MDO-Lösung von Altair ist es möglich, diese Methode, auch für große Systeme wie eine Rohkarosserie, in den Entwicklungsprozess zu integrieren und so schneller zu besseren Lösungen zu kommen. Der Paradigmenwechsel in der Entwicklung hin zu optimierungsgetriebener Konstruktion wird möglich.

Weitere Informationen

[1] Bjelkengren, C.; et al.: The Impact of Mass Decompounding on Assessing the Value of Vehicle Lightweighting. Master of Science Thesis, MIT/USA, 2006

[2] Center of Automotive Research (Hrsg.): Greener Products, Changing Skills : Lightweight Materials & Forming Report. May 2011.

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