Fachbeitrag Weniger Kabel, mehr Leistung

17.04.2012

Hybrid- und Elektrofahrzeuge haben inzwischen einen festen Platz auf den Roadmaps der Automobilhersteller gefunden. Die Standardisierung der Komponenten lässt jedoch auf sich warten. Vor allem bei Hochvolt-Anwendungen sind Standardisierungen der Schnittstellen auf internationaler Ebene gefragt.

Bordnetze in Elektro- und Hybridautos werden technisch bedingt mit Hochvolt-Technik (HV) ausgestattet. Aufgrund der unterschiedlichen Einsatzbedingungen und Verbauräume in den Fahrzeugen ist ein breites Spektrum an unterschiedlichen Leitungen für Hochvolt-Anwendungen notwendig. Spannungsniveau, Stromtragfähigkeit, elektromagnetische Verträglichkeit, Bauraum und Gewicht sind für die Auswahl und Dimensionierung geeigneter Hochvolt-Leitungen besonders relevant. So müssen im Traktionsstrang zwischen Hochvolt-Batterie, Leistungselektronik und Elektromotor hohe elektrische Leistungen übertragen werden. Diese erfordern hohe Stromstärken bis zu 250 Ampere und somit entsprechend große Leiterquerschnitte der HV-Leitungen zwischen 16 und 70 mm 2. Aufgrund der engen Bauräume und der erforderlichen Flexibilität für die Verlegung der Kabel werden hier überwiegend einadrige geschirmte Leitungen verwendet, die parallel zueinander verlegt werden (siehe Abbildung auf Seite 46).

Große Variantenvielfalt

Ist im Fahrzeug eine Hochvolt-Batterie eingebaut, werden üblicherweise auch Nebenaggregate mit hohem Leistungsbedarf, beispielsweise ein elektrisches Klimaaggregat, an das Hochvoltbordnetz angeschlossen. Anders als die Leitungen im Traktionsstrang sind die Versorgungsleitungen der Nebenaggregate jedoch meist mehradrig geschirmt. Diese können mit einem Zwischenmantel über den verseilten Adern ausgeführt sein (siehe Abbildung Seite 44).

Bei Plug-in-Hybriden und Elektrofahrzeugen kommt noch die Verbindung zwischen fahrzeugseitiger Ladedose, Ladegerät und Batterie hinzu. Diese ist für das Laden der Hochvoltbatterie aus dem Stromnetz erforderlich. Die Ladeleitungen sind in der Regel als einadrige geschirmte Leitungen mit Querschnitten von etwa 16 mm 2für das Laden mit Gleichspannung und als mehradrige geschirmte Leitungen mit drei oder mehr Adern bis zu 6 mm 2für das Laden mit Wechselspannung ausgelegt. Im Gegensatz zum 12-V-Kabelsatz gibt es für HV-Komponenten bislang kaum Standards. Die daraus resultierende Variantenvielfalt der Komponenten in Verbindung mit den vergleichsweise geringen Mengen bringt hohe Kosten mit sich. Daher müssen praxisgerechte Standards für Schnittstellen und Komponenten geschaffen werden. Extreme Bauraumanforderungen stellen hier das größte Hindernis für die Standardisierung dar. Darum sind immer wieder projektspezifische Lösungen notwendig, die in gegebene enge Bauräume integriert werden müssen.

Besonders interessant ist die Standardisierung der Schnittstelle zwischen Steckverbinder und Leitung: Hier können beispielsweise Leitungen mit unterschiedlichen Temperaturklassen oder Leitermaterialien in einem Verbindungssystem ohne weitere Anpassungen eingesetzt werden. Heute ist oft noch ein Verbindungssystem auf eine Leitungstype abgestimmt - und eine Austauschbarkeit häufig nicht gewährleistet.

Die Abbildung auf Seite 43 zeigt ein typisches Beispiel eines Hochvolt-Steckverbinders und die Anbindung einer einadrigen geschirmten Hochvoltleitung. Wichtige Schnittstellengeometrien an der Leitung sind der Litzendurchmesser, der Außendurchmesser der Primärisolation der Ader, der Durchmesser unter dem Schirmgeflecht, die Geometrie des Schirms sowie der Außendurchmesser des Mantels.

Erste Entwürfe von Liefervorschriften der Automobilhersteller enthalten einen Geometrie-Vorschlag, der bereits in eine ISO-Normung eingebracht ist. Er basiert auf der bestehenden ISO 6722 und allen dort festgelegten Leiterquerschnitten. Für die eingesetzten Querschnitte spielt das eine große Rolle, da sie regional unterschiedlich sind. Während in Asien und Nordamerika 20 mm 2, 30 mm 2und 40mm 2viel häufiger anzutreffen sind, werden in Europa die 25 mm 2und 35 mm 2benutzt. Hinzu kommt, dass gerade bei großen Querschnitten der Einfluss auf Bauraumbedarf, Gewicht und Kosten durch kleinere Querschnittssprünge positiv zum Tragen kommt.

Weniger Gewicht durch Alu statt Kupfer

Bei ausreichendem Bauraum kann Aluminium als Leitermaterial wegen seiner sehr niedrigen Dichte und der langfristig deutlich geringeren Metallkosten als Ersatz für Kupfer verwendet werden. Im Vergleich zu Kupfer sind für eine vergleichbare Stromtragfähigkeit ein größerer Leiterquerschnitt und somit auch ein vergrößerter Außendurchmesser notwendig.

Der Leiteraufbau erfüllt unabhängig davon, ob der er aus Kupfer oder Aluminium ist, oder ob es sich gar um einen besonders flexiblen Leiteraufbau mit feinsten Einzeldrähten handelt, gleiche geometrische Anforderungen. Dadurch werden die Varianten des Litzendurchmessers reduziert, der das Crimpverhalten zum Kontakt maßgeblich beeinflusst.

Die Wandstärke der Primärisolation und der Aderdurchmesser sind bestimmend für die Isolationsfestigkeit der Ader. Sie orientieren sich für die Spannungslage bis 600 Volt AC oder DC unabhängig vom Isolationsmaterial an den Vorgaben für dünnwandige Leitungen aus der ISO 6722.

Schirmdurchmesser als wichtige Größe

Mit dem Durchmesser unter dem Schirm wird ein Maß definiert, das als Vorgabe für die Schirmanbindung und den Schirmcrimp relevant ist. Abhängig vom Durchmesser unter dem Schirm werden auch die Einzeldrahtdurchmesser der Schirmdrähte definiert, so dass sich unabhängig von der Lage der Schirmanbindung klare Geometrievorgaben für die Schirmübergabe zum Steckverbinder ergeben. Die Durchmesser der Schirmdrähte tragen der Forderung nach Robustheit der Schirmübergabe sowohl unter Vibrationsbelastung als auch nach hoher Stromtragfähigkeit des Schirms bei geringen Übergangswiderständen Rechnung.

Für mehradrige Leitungen mit Zwischenmantel über den verseilten Adern sollte sich der Außendurchmesser des Zwischenmantels an den Außendurchmessern der Adern von einadrig geschirmten Leitungen orientieren, um keine unnötigen Varianten beim Schirmdurchmesser zu erzeugen. Schließlich wird angestrebt, dass sich - wo sinnvoll - möglichst wenig Varianten des Außendurchmessers ergeben. Da zum Schutz vor Feuchtigkeit eine gedichtete Verbindung verwendet werden muss, führt dies zu einer Dichtelementevarianz-Reduktion.

Geometrie-Vorschlag für Hochvoltleitungen

Der vorliegende Geometrie-Vorschlag bildet ein breites Spektrum an Hochvoltleitungen ab:

einadrig geschirmte Leitungen der Querschnitte 1,5 bis 120mm² (600V) mit flexiblem oder hochflexiblem Kupferleiter und mit Aluminiumleiter mehradrig geschirmte Leitungen mit 2 bis 5 Adern der Querschnitte 1,5 bis 6 mm2 (600V) mit und ohne Zwischenmantel mit Kupferleiter einadrig geschirmte Leitungen der Querschnitte von 10 bis 120 mm2(1000V)

Ausblick: Die Spannungsklasse 1000 V

Für den Spannungsbereich bis 600 Volt (DC oder AC) bilden die ISO-Standards 6722 [1] und 14572 [2] die Grundlage. In diesem Spannungsbereich sind dünnwandige Isolationsstärken in Fahrzeuganwendungen zulässig. Für Spannungen bis 1000 Volt gibt es bislang keinen Automobilstandard, der als Referenz dienen kann. Zudem gibt es im automobilen Umfeld wenig praktische Erfahrung mit höheren Spannungen und insbesondere mit Wechselspannungen. Aus anderen Bereichen, etwa der Mittelspannungstechnik, ist bekannt, dass hohe und vor allem wechselnde elektrische Felder zu Corona- und Teilentladungseffekten führen können, welche die Lebensdauer der Isolation drastisch verkürzen können [4].

Ein erster Standardisierungsvorschlag, der in die internationale Normung eingebracht ist, schlägt darum Isolationswandstärken vor, die im Vergleich zur 600-V-Spannungsklasse zu ähnlichen elektrischen Feldstärken in der Isolation führen. Hierdurch kann das erhöhte Risiko von Teilentladungseffekten unabhängig vom eingesetzten Isolationsmaterial minimiert werden, was dem erhöhten Risiko von Teilentladungseffekten Rechnung trägt, obwohl unter dem Aspekt der Isolationsfestigkeit eine dünnwandige Isolation ausreichend wäre.

Fazit: Internationale Normierung notwendig

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs führt zu wesentlichen Veränderungen im Bordnetz und neuen Anforderungen an Leitungen und Verbindungssysteme. Die Standardisierung der Komponenten hat große Bedeutung, wenn Synergien und Skaleneffekte effektiv genutzt werden sollen. Um die heutige Variantenvielfalt maßgeblicheinzuschränken, ist die internationale Normung von Hochvoltleitungen notwendig.

Quelleninformationen finden Sie in der Internet-Version dieses Artikels.

Weitere Informationen

[1] ISO 6722: Road vehicles - 60V and 600V single core cables - Dimension, test methods and requirements. Second edition 2006

[2] ISO 14572: Road vehicles - Round, screened and unscreened 60V and 600V multi-core sheathed cables - Test methods and requirements for basic and high performance cables. Second edition 2006

[3] VDI-Berichte 2098, Baden-Baden Spezial 2010, S.89-95, T. Scherer

[4] VDI-Berichte 2098, Baden-Baden Spezial 2010, S.97-112, J. Engbring et al.

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