Wo morgen der Verkehr in Städten fließt, und wo er ins Stocken gerät, verrät der „Urban Mobility Index“. Dieser bewertet den Reifegrad und die Leistungsfähigkeit der Mobilitätssysteme in Städten weltweit und ist das Ergebnis einer Studie von Arthur D. Little, die erstmals 2011 erschien. Die neue Ausgabe im Januar 2014 brachte zwei Erweiterungen: So erhöhte sich die Zahl der betrachteten Städte von 64 auf 84, und die Anzahl der Einzelkriterien, die in die Bewertung aufgenommen wurden, stieg von 11 auf 19. Darunter finden sich Aspekte wie der Anteil des ÖPNV im Modalsplit, der Anteil von Null-Emissions-Modi im Modalsplit, Straßen-/Fahrradwegenetzdichte, finanzielle Attraktivität vom ÖPNV, Fahrzeugdichte, Penetrationsniveau der Mobilitäts-Chipkarte, Bike-/Carsharing-Performance, Fahrtenfrequenz des ÖPNV, CO2-Emissionen und Verkehrstote. Die betrachteten Stichproben setzen sich dabei aus drei Städtegruppen zusammen:
die größten 50 Agglomerationen der Welt nach Bevölkerung und regionalem Bruttoinlandsprodukt wie beispielsweise Shanghai, Beijing, Kalkutta, Manila, Osaka
alle 40 Städte des C40 Megacity-Clusters (Climate Leadership Group) wie etwa Berlin, Athen, Rom, Warschau, Melbourne
eine Gruppe von kleineren Städten, welche bewährte Praktiken im Hinblick auf urbane Mobilität demonstrieren (zum Beispiel Amsterdam, München, Kopenhagen, Stockholm, Portland)
Städte insgesamt schlecht gewappnet
Eines der zentralen Ergebnisse der Studie ist die Tatsache, dass die meisten Städte nur schlecht aufgestellt sind, um die Herausforderungen der Mobilität von morgen zu meistern. Der globale Durchschnitt beläuft sich auf 43,9 von 100 Punkten. Das bedeutet, dass im Durchschnitt nicht einmal die Hälfte des Potenzials urbaner Mobilitätssysteme weltweit ausgeschöpft wird. Nur 11 Städte bekamen mehr als 52 Punkte. Gesamtsieger ist Hong Kong, gefolgt von Stockholm und Amsterdam. Die deutschen Städte liegen insgesamt im vorderen Mittelfeld mit München auf Platz 11, gefolgt von Stuttgart (12), Berlin (13), Hannover (16) und Frankfurt (22). Gewisse Unterschiede in der Punktezahl sind auch zwischen diversen Regionen der Welt festzustellen (Abbildung S. 35):
So erreicht Europa die höchste durchschnittliche Punktezahl von 49,8 von allen Regionen (51,5 Punkte für Westeuropa und 45,2 für (Süd)-Osteuropa). Die 9 von 26 analysierten europäischen Städten erzielten mehr als 52 Punkte. Europäische urbane Mobilitätssysteme weisen den höchsten Reifegrad und die beste Leistungsfähigkeit auf. Insbesondere in den Kategorien Radwegenetz, Bikesharing und Carsharing ist Europa weltweit führend. Das beste europäische urbane Mobilitätssystem befindet sich in Stockholm (57,4 Punkte). Das System mit größtem Verbesserungspotenzial hat Athen (40 Punkte).
Städte in Lateinamerika und im Asien-Pazifik-Raum schneiden etwas bescheidener ab. Die durchschnittliche Punktezahl in Lateinamerika liegt bei 43,9, in Asien-Pazifik bei 42,8. Diese Regionen liegen jedoch in Bezug auf finanzielle Attraktivität des ÖPNV, Anteil des ÖPNV im Modalsplit, sowie Mobilitätskarten in Führung. Die lateinamerikanischen Städte liegen im engen Bereich von 40,1 (Caracas) bis 47,1 Punkte (Santiago de Chile), während asiatische Städte die breiteste Punktepalette von allen Regionen aufweisen – vom Studiensieger Hongkong (58,2) bis Hanoi (30,9).
Die Region USA/Kanada erzielte 39,5 Punkte im Durchschnitt. Aufgrund der autoorientierten Mobilität schneidet sie am schlechtesten ab in Bezug auf den Reifegrad. Die Leistungsfähigkeit der Mobilitätssysteme ist zwar überdurchschnittlich, jedoch in Bereichen „transportrelevante CO2-Emissionen“ und „Anzahl privater Fahrzeuge je Einwohner“ soll gehandelt werden. Zum Beispiel soll an der Angebotsseite gearbeitet werden, das bedeutet eine Erweiterung des Angebots vom ÖPNV und anderen umweltfreundlichen Modi. Wenn die Bürger merken, dass es auch ohne Auto möglich ist, mit gleichem Komfort mobil zu sein, würden manche auf das eigene Auto verzichten.
Afrika und Mittlerer Osten haben im Durchschnitt die kleinste Anzahl an Punkten erzielt (36). Während urbane Mobilitätssysteme in Afrika aufgrund der geringeren Anzahl von Pkw eine gute Leistung nach einer Reihe von Kriterien zeigen, sind sie immer noch in einer Entstehungsphase und haben noch keinen ausreichenden Reifegrad. Die Städte im Mittleren Osten zeigen ein hohes Niveau an privaten Fahrzeugen je Einwohner und sollten in die Entwicklung vom Umweltverbund (ÖPNV, Fuß, Rad) kräftig investieren. In diesen Städten fehlen oft Gehwege (Beispiel: Dubai), Radwege (Beispiele: Dubai, Bagdad), ÖPNV-Infrastruktur (Beispiele: Teheran, Bagdad). Um diese Infrastruktur aufzubauen, sollten finanzielle Mittel bereitgestellt werden, hauptsächlich von öffentlichem Sektor.
Die umfassende Analyse von Technologien und Geschäftsmodellen urbaner Mobilität [1] zeigt, dass es genug Lösungen gibt, um die aktuellen Herausforderungen der Mobilität zu adressieren. In der Studie werden drei langfristige Geschäftsmodell-Archetypen für Industrieakteure ausführlich diskutiert: „Dell“ (einmodaler Spezialist), „Apple“ (Integrator von eigenen Dienstleistungen) und „Amazon“ urbaner Mobilität (Aggregator der Dienste von Dritten).
Trend zur „geteilten“ Mobilität setzt sich fort
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist der sich verstärkende Trend in Richtung „geteilter“ Mobilität: Jedes Jahr werden mehr und mehr Autos und Fahrräder in Städten geteilt. In der ersten Ausgabe der Studie im Jahr 2011 kam man zu dem Ergebnis, dass es in 66 analysierten Städten im Durchschnitt etwa 89 geteilte Autos pro Million Einwohner gibt (im B2C-Carsharing). Zwei Jahre später erhöhte sich diese Zahl auf 115 geteilte Autos pro Million Einwohner für 84 Städte. Das ist eine durchschnittliche Wachstumsrate von 14 % pro Jahr. Im Einzelvergleich der gleichen 66 Städten aus dem ersten Ranking ergibt dies eine Wachstumsrate von 13 % pro Jahr. Ähnliches ist beim Bikesharing festzustellen: 2011 wurden in 66 Städten im Durchschnitt rund 344 Fahrräder pro Million Einwohner geteilt, 2013 in 84 Städten bereits 383 (+ 6 % p. J.). Beim Blick auf die gleiche Untersuchungsbasis von 66 Städten ist die Wachstumsrate sogar höher: 12 % pro Jahr.
Die Studie unterstreicht auch die Tatsache, dass trotz der großen Anstrengungen, die unternommen werden, um Attraktivität, Kapazität und Effizienz urbaner Mobilitätssysteme zu steigern, mehr Innovationen auf Systemebene notwendig sind. Das Management der Systeme agiert in einem zu fragmentierten und innovationsfeindlichen Umfeld. So erlauben die existierenden Systeme oft den Marktteilnehmern nicht, miteinander zu konkurrieren oder innovative Geschäftsmodelle zu etablieren, welche Angebot und Nachfrage in eine natürliche Balance bringen würden. Dies ist eine der schwierigsten Herausforderungen mit der sich Marktteilnehmer auseinandersetzen müssen. Eine der Richtungen zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit des Mobilitätssektors ist eine enge Kooperation diverser Akteure zum Aufbau breiter multimodaler Mobilitätsökosysteme und die Realisierung integrierter Geschäftsmodelle.
Städten fehlen Visionen und Strategien
Was die Städte selbst angeht, so haben sie oft keine klare Vision und Strategie, wie ihre Mobilitätssysteme in der Zukunft aussehen müssen. Fehlende Synergien zwischen isolierten Initiativen führen zu suboptimalen Ergebnissen in Bezug auf Leistungsfähigkeit. Auch dies ist ein weiterer Hinweis auf die Notwendigkeit eines holistischen Ansatzes.
In Zusammenarbeit mit der International Association of Public Transport (UITP) entwickelte das Team von Arthur D. Little vier strategische Richtungen sowie 25 Empfehlungen, mit denen die Städte die Zukunft ihrer Mobilitätssysteme sichern können. Dafür sind insbesondere Innovationen auf Systemebene nötig, um die wachsende Nachfrage nach innerstädtischen Reisen mit neuen Mobilitätskonzepten zu befriedigen, da die bestehenden an ihre Grenzen gelangen [2].
Weitere Informationen
[1] Vgl. dazu die 1.0 Version der Studie „Future of Urban Mobility. Towards Networked, Multimodal Cities of 2050”, 2011.
[2] Die gesamte Studie kann unter www.adl.com/FUM2.0 abgerufen werden.