Verfahrenstechnik Biokraftstoff aus Agrarreststoffen

19.09.2013

Die Verknappung des Rohöls und damit steigende Ölpreise fordern Strategien, die die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen verringern. Nachhaltige Kraftstofflösungen auf Basis nachwachsender Rohstoffe sind gesucht. Eine Alternative ist hier Zellulose-Ethanol aus Agrarreststoffen.

Rohöl ist der wichtigste Rohstoff der industrialisierten Gesellschaft. Etwa 50 Prozent verbraucht derzeit der Transportsektor, der somit weltweit für zirka 25 Prozent der CO 2-Emissionen verantwortlich ist. Deshalb haben sich viele Nationen ambitionierte Ziele für eine nachhaltigere Mobilität gesetzt. Biokraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen sind ein essentieller Bestandteil dieser Strategien. In der EU, den USA und vielen weiteren Nationen wurden bereits gesetzliche Grundlagen geschaffen, die den Einsatz von Biokraftstoffen unterstützen, um fossile durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen. Dabei lassen sich nicht nur CO 2-Emissionen reduzieren. Die heimische Produktion von Biokraftstoffen reduziert zudem die Abhängigkeit von Importen, schafft Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum.

Zellulose-Ethanol

Bioethanol ist weltweit der wichtigste Biokraftstoff mit einer Produktion von rund 85 Mrd. l im Jahr 2012. Konventionelles Bioethanol wird ausschließlich aus Zucker oder Stärke gewonnen. Das Treibhausgaseinsparungspotenzial ist dabei eingeschränkt und liegt abhängig von Rohstoff und Technologie zwischen 19 und 78 Prozent. Zudem konkurriert die Produktion von diesen Kraftstoffen mit der Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln und um die benötigten Anbauflächen - eine Konkurrenzsituation, die vor allem für Entwicklungsländer gravierende Auswirkungen haben kann. Zellulose-Ethanol wird aus Agrarreststoffen gewonnen und stellt eine nachhaltige Alternative dar. Die Verwendung von Nebenprodukten aus der Landwirtschaft wie Weizenstroh, Maisstroh oder Zuckerrohr-Bagasse als Rohstoff für die Bioethanol-Produktion stellt bereits seit längerem sowohl für Wissenschaft als auch für die Industrie ein interessantes Gebiet dar. Solche lignozellulosehaltigen Rohstoffe enthalten Zucker, gebunden in Form von Zellulose und Hemizelluose. Von 1 ha Weizenfeld zum Beispiel kann man so 4 bis 4,5 t Zucker in Form von Stärke und 3 bis 3,5 t Zucker in Form von Lignozellulose erhalten. Wird daraus technologisch Zellulose-Ethanol produziert, stehen diese Zucker als alternative Kraftstoffquelle zur Verfügung, ohne Nahrungs-, Futtermittel oder zusätzliche Flächen zu verbrauchen. Der Knackpunkt in der Entwicklung solcher Technologien stellt die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprozesses dar. Um im Kraftstoffmarkt konkurrenzfähig zu sein, müssen die Produktionskosten auf demselben Niveau liegen wie die für konventionelles Bioethanol. Die Herausforderungen in der Prozessentwicklung schließen deshalb neben der Optimierung der Ethanolausbeute auch eine Reduktion der Betriebs- und Investitionskosten ein, zum Beispiel durch eine Reduktion der Enzymkosten und Energieeffizienzsteigerungen.

Marktreife und Kommerzialisierung

Weltweit sind verschiedene Pilot- und Demonstrationsprojekte in Betrieb. Erste kommerzielle Anlagen befinden sich im Bau. In Deutschland ging im Juli die erste Demonstrationsanlage in Betrieb. Dort werden mittels des Sunliquid-Verfahrens des Schweizer Spezialchemieunternehmens Clariant jährlich bis zu 1.000 t Zellulose-Ethanol aus rund 4.500 t Weizenstroh, Maisstroh oder Bagasse erzeugt. Das vollständig integrierte Verfahren erfüllt die Voraussetzungen für die nachhaltige und wirtschaftliche Herstellung von Zellulose-Ethanol. Rohstoff- und prozessspezifische Enzyme garantieren hohe Zuckerausbeuten und die simultane Fermentation von C5- und C6-Zuckern erhöht die Ethanol-Ausbeute um etwa 50 Prozent. Durch die prozessintegrierte Produktion der Enzyme auf einem kleinen Teil des vorbehandelten Rohstoffs werden Enzymkosten minimiert. Zudem fallen keinerlei Energiekosten an, da die gesamte Prozessenergie durch ein effizientes Design und eine innovative, adsorberbasierte Ethanol-Aufreinigung aus den anfallenden Reststoffen (hauptsächlich Lignin) gewonnen werden kann. Das resultierende Zellulose-Ethanol weist Treibhausgaseinsparungen von rund 95 Prozent im Vergleich zu fossilem Benzin auf. Zellulose-Ethanol ist dabei nicht nur für den Kraftstoffmarkt interessant. Auch in der chemischen Industrie dient Ethanol als Grundstoff. Darüber hinaus bieten solche Technologien den Zugang zu fermentierbaren Zuckern, die biotechnologisch oder chemisch weiter zu Basis- oder Spezialchemikalien umgesetzt werden können, welche in breiten Bereichen zum Einsatz kommen, zum Beispiel in der Kunststoff-, Konsumgüter- oder Nahrungsmittelindustrie.

Weltweit hohes Potenzial

Das Potenzial von Agrarreststoffen und damit für Zellulose-Ethanol ist groß. Wichtigster Agrarreststoff in der EU ist Getreidestroh. Davon fallen in den 27 Mitgliedsstaaten der EU jährlich etwa 240 Mio t an. In mehreren Langzeitstudien konnte gezeigt werden, dass abhängig von der Region und den dort vorherrschenden Bedingungen bis zu 60 Prozent des anfallenden Strohs vom Acker gefahren werden können und somit für eine weitere Verwertung zur Verfügung stehen, ohne nachteilige Effekte für die Bodengesundheit befürchten zu müssen. Aus dieser Menge könnte genug Zellulose-Ethanol hergestellt werden, um rund 25 Prozent des für 2020 für die EU vorhergesehenen Benzinbedarfs durch Zellulose-Ethanol zu decken. Eine Studie von Bloomberg New Energy Finance bezieht weitere Reststoffe und verschiedene Szenarien in ihre Kalkulationen mit ein und prognostiziert ein Benzinersatzpotenzial von bis zu 62 Prozent. In den USA fällt in erster Linie Maisstroh an, zweitwichtigster Rohstoff ist Getreidestroh. Die Billion-Ton-Studie des Department of Energy der USA schätzt die Menge an nachhaltig verfügbarem Mais- und Getreidestroh auf 190 bis 290 Mio. t. In Brasilien, wo Zuckerrohr bereits seit Jahren zur Herstellung von Bioethanol verwendet wird, sind für die Ernte 2011 und 2012 etwa 73 Mio. t Bagasse vorhergesagt. Selbst nach Abzug der Menge, die zur Energiegewinnung in existierenden Anlagen eingesetzt wird, könnten zusätzlich noch rund 11 Mio. t Zellulose-Ethanol produziert werden. Das entspricht etwa 50 Prozent der aktuellen Ethanol-Produktion in Brasilien.

Nachhaltige Mobilität mit Zellulose-Ethanol

Nachhaltigkeit und effiziente Nutzung vorhandener Ressourcen spielt heutzutage eine immer wichtigere Rolle. Nebenprodukte aus der Landwirtschaft wie Getreide- oder Maisstroh sind dabei besonders interessant, da sie bereits heute in substantiellen Mengen zur Verfügung stehen und uns so in unserem Bestreben, fossile Rohstoffe durch nachwachsende zu ersetzen, einen neuen und wertvollen Hebel bieten. Flüssige Energieträger werden vor allem im Transportsektor noch lange eine wichtige Rolle spielen. Zellulose-Ethanol besitzt das Potenzial, Mobilität nachhaltiger zu gestalten, Erdölimporte zu reduzieren und Arbeitsplätze sowie wirtschaftliches Wachstum zu schaffen. Die Technologien dafür sind marktreif. Was zu einer erfolgreichen Umsetzung fehlt, sind stabile politische Rahmenbedingungen, die Investoren die benötigte Sicherheit geben, um kommerzielle Anlagen weltweit zu realisieren. Dann kann die Technologie ihr ganzes wirtschaftliches wie ökologisches Potenzial entfalten.

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