Fahren kann ja jeder. Der Innotruck ist aber nicht nur ein Fahrzeug, sondern funktioniert auch als Smart Grid, genauer: als „Minigrid“. Er kann selbst elektrische Energie erzeugen und sie wieder abgeben. Zum Beispiel an Elektroautos, die an ihn angeschlossen werden. Die Idee hinter dem Innotruck, der im Rahmen des Projekts „Diesel Reloaded“ entstand und von Professor Dr. Gernot Spiegelberg ins Leben gerufen wurde, war es, zu zeigen, wie ein solcher Truck die Anforderungen eines Smart Grids erfüllen kann. Erzeugende und anwendende Industrie sowie eine Hochschule sollten an einem Strang ziehen. Daraus entstand ein Roadshow-Fahrzeug - der Innotruck. Gemeinsam mit den Doktoranden der TU München Claudia Buitkamp, Hauke Stähle sowie Ljubo Mercep und Partnern aus Industrie und Forschung wird er ständig weiterentwickelt.
Lkw als Null-Energie-Haus
Primär stellt der Innotruck ein fahrbares, smartes Gebäude dar, bei dem sich mehrere Energieproduzenten und -konsumenten gegenüberstehen. „Man kann ihn auch als Smart Home bezeichnen“, so Claudia Buitkamp. Der Innotruck hat verschiedene Stellen, an denen elektrische Energie erzeugt werden kann. Zum Beispiel mit Solarzellen und einer Windanlage auf dem Dach. „Aber er kann auch Energie abgeben - an angeschlossene Pkw etwa oder er speist direkt ins Netz ein.“ Im Fahrzeug selbst kann der eingebaute Dieselmotor über einen Generator ebenfalls elektrische Energie erzeugen, die in der Batterie gespeichert wird. „Dabei können die Batterien der Elektroautos als Speicher und Netzstabilisator dienen.“
Der elektrische Antriebsmotor des Trucks wird durch die Batterie versorgt. „Das Konzept sieht vor, dass ungefähr 100Kilometer rein elektrische Fortbewegung möglich sind, ganz ohne Emissionen“, sagt Buitkamp. Zudem kann für längere Strecken ein Range Extender zugeschaltet werden. Dieser hält durch Computerberechnungen den Verbrennungsmotor stets im Zentrum der optimalen Verbrauchskurve. Überschüssige und fehlende Energie wird über die Batterie als Energiespeicher kurzzeitig ausgeglichen. Die Software bestimmt dabei die Leistungsflüsse - welche Energie wann wohin transportiert und gewandelt wird. Somit auch wann der Verbrennungsmotor eingeschaltet wird oder im Stillstand verbleiben kann.
Um optimale Energieeffizienz zu erreichen, wurde das Fahrzeug nach Vorgaben und mit Unterstützung des Designers und Aerodynamikers Prof. Luigi Colani optimiert - der cw-Wert (Strömungswiderstandskoeffizient) liegt bei zirka 0,3. Zusätzlich wurden Michelin-Leichtlaufreifen an allen Achsen sowie sehr steife Aluminium-Felgen von Alcoa verbaut. Damit reduzieren sich Luft- und Rollwiderstand auf rund die Hälfte eines durchschnittlichen Lkw.
Systemarchitektur und M2M-Schnittstelle
Auch der Fahrerarbeitsplatz des Innotrucks wurde ganz neu gestaltet und erinnert eher an das Cockpit eines Flugzeugs. Zur Steuerung bedient der Fahrer nicht mehr Lenkrad, Brems- und Gaspedal, sondern - wie bei einem Airbus - zwei Sidesticks und einen Touchscreen. Das ermöglicht eine intuitive Kommunikation zwischen Fahrzeug und Fahrer. Außerdem sind im zentralen Display zusätzlich zwei kleine Bildschirme integriert, die den Rückspiegel ersetzen. Die Bilder von mehreren Kameras können auf dem Touchscreen erscheinen, wodurch der Fahrer einen Überblick über die unmittelbare Umgebung erhält.
Die Mensch-Maschine-Schnittstelle passt sich sowohl an die Umgebung als auch an den Zustand des Fahrers an, indem sie dem Fahrer nur die aktuell notwendigen Informationen präsentiert, was einer Ermüdung entgegenwirkt. Der Schlüssel, um dieses Ziel zu erreichen liegt in der Erweiterung von Verfahren aus der Informations- und Kommunikationstechnik zur Sensor- und Datenfusion zusammen mit dem adaptiven Aufbau eines Datenmodells über den Fahrer.
Die neue E/E-Systemarchitektur (elektrisch, elektronisch) umfasst die Verwaltung des Antriebsstrangs und die Koordination der Komponenten im Antriebsstrang, um eine vorgegebene Fahrzeugbewegung umzusetzen. Mit Hilfe von übergeordneter „Intelligenz“ in Form von Software-Integration lassen sich unterstützende Funktionen integrieren. Zum Beispiel müssen beim Rückwärtsfahren mehrere Teile bewegt werden: Unterfahrgestell, Aufliegerkonstruktion und Anhänger. „Das ist nicht gerade trivial, da müssen Sie zweimal um die Ecke denken“, weiß Spiegelberg. Aber mit den richtigen Assistenzsystemen gelingt das. „Die Datenflüsse in einem Fahrzeug sowie die Funktionsverwaltung mit Software kann man auf jedes x-beliebige zukünftige Fahrzeug übertragen.“
Per Plug&Play können zudem Funktionen hinzugefügt werden, ohne ins System einzugreifen. „Wir wollen das Ganze vereinfachen, indem wir einen modular aufgebauten und damit skalierbaren Zentralrechner einbauen, einen Punkt, an dem die ganze Logik vorhanden ist. Beim Hinzufügen eines neuen Sensors wird dieser an das Netzwerk angeschlossen, ein Treiber geladen und schon läuft das System“, ergänzt Hauke Stähle.
Die Verarbeitung der Daten in zentralen Steuergeräten ermöglicht die Implementierung und Evaluierung neuer Konzepte für Fahrassistenz- und Komfortsysteme und Energiemanagement. Es ist möglich, auf den gesamten Fahrzeugzustand und die Sensorinformationen gebündelt zuzugreifen, was eine lückenlose Umfeldbewertung ermöglicht. Die modulare Systemarchitektur soll den optimalen Informationsfluss zwischen den verarbeitenden Einheiten gewährleisten, während die Anzahl der physikalischen Verbindungen minimiert wird.
Urbanisierung und demographischer Wandel
Auch Urbanisierung und demographischer Wandel spielen eine Rolle. So können in der eingebauten Systemarchitektur weitere Funktionen wie die Car-to-Car- und Car-to-Infrastructure-Kommunikation eingebunden werden. Das Fahrzeug kann damit Teil eines Traffic-Managements in Städten werden, mit dem man Autos als koordinierbare Elemente einbinden und verwalten kann.
Hinsichtlich unserer alternden Gesellschaft müssen besonders die Bedürfnisse der �?lteren berücksichtigt werden, die körperlich und geistig gebrechlicher sind, dennoch mobil sein möchten, sich aber zum Beispiel beim Ein- und Aussteigen schwertun. „Dafür braucht man erstens neue ergonomische Konzepte, bei denen das Auto die Menschen von der Straße hereinholt und sie dann wieder auf die Straße zurückbringt“, so Spiegelberg. „Zum anderen braucht man Fahrzeuge mit künstlicher Intelligenz, die in der Lage sind, Fehlentscheidungen des Fahrers kompensieren zu können, ohne den Fahrer dabei überflüssig zu machen.“
Die Systemarchitektur ermöglicht die einfache Integration weiterer Assistenzsysteme, um in der fortscheitenden Entwicklung den Innotruck immer intelligenter zu machen. „In Zukunft kann er Informationen zusammenfassen und die Umgebung zunehmend verstehen“, ist die Vision von Spiegelberg. „Auf dieser Basis errechnet er dann eine Strategie, wie er sich am besten bewegt und eingreift, wenn er merkt, dass die Situation es erfordert. Dies ist ein entscheidender Beitrag in Richtung des Ziels �??Zero Accidents‘.“