P&A: Herr Festge, vor gut einem Jahr haben Sie zusammen mit Ihrem Bruder die Geschäftsleitung bei Haver & Boecker übernommen Welche Akzente haben Sie seitdem gesetzt?
Florian Festge:
Von zentraler Bedeutung für unsere gesamte Unternehmensgruppe ist die stärkere Vernetzung unserer Technologien zum Nutzen des Kunden. Unter dem Motto Time to Chain haben wir das im vergangenen Jahr deutlich forciert. Die Wirkung war toll, sowohl intern wie auch extern. Gemeinsam können wir viel höhere Potenziale beim Kunden heben. Das kommt richtig gut an. Technisch gab es einige Höhepunkte: etwa den Roto-Packer Adams Mini, der im Oktober auf der Powtech Weltpremiere hatte. Mit ihm kann man pulverförmige Produkte in kleine Polyethylen-Beutel abfüllen. Das reduziert Kosten und erhöht den Produktschutz. Ein Kunde, zum Beispiel einer aus der Bauchemie, kann sie im Freien lagern und so am Ende seine Produktion besser auslasten. So wie er das bei großen Gebinden gewohnt ist.
Wie passen diese kleine Verpackungsmaschine und Ihr Slogan Time to Chain zusammen? Der zielt ja auf die Abdeckung der gesamten Prozesskette ab. Aber das wollen viele.
Festge: Richtig. Das Besondere bei uns ist tatsächlich die Verpackung – es ist zwar ein kleiner Punkt, aber einer der wichtigsten in der Prozesskette. Die Verpackung ist für unsere Kunden die Visitenkarte ihrer Produkte. Wir wollen die anderen Prozessschritte nicht abwerten, aber ähnlich dem Zusammenfügen der Karosserie und dem Motor im Automobilbau bildet der Verpackungsprozess die „Hochzeit“ zwischen Produkt und Packmittel. Erst durch die Verpackung wird das Produkt verkaufsfähig. Deshalb wird bei Haver & Boecker die Verpackung immer der zentrale Bestandteil sein, der uns vom Wettbewerb differenziert, auch im Zuge der Bildung neuer Wertschöpfungsketten.
Welche Erwartungen haben Sie an den Markterfolg des Roto-Packers Adams Mini?
Festge: Der Adams bietet uns neue Chancen, auch in Industrien, in denen wir in der Vergangenheit überhaupt nicht unterwegs waren. Roto-Packer ist ein bedeutender Name im Großgebindemarkt. Die neue Maschine wird nun eine Ikone in der Befüllung von Kleingebinden mit Pulver werden.
Neben der Bauchemie dürfte auch die Lebensmittelindustrie interessiert sein. Gilt das auch umgekehrt? Wird die Branche nun wichtiger für Sie?
Festge: Die Lebensmittelindustrie ist für uns zwar kein Neuland. Eine unserer Marken, nämlich Behn+Bates, ist sogar ausschließlich darauf fokussiert, allerdings bisher auf das B2B-Geschäft. Tatsächlich öffnet uns die neue Technologie auch Türen im Consumer-Geschäft. Denken Sie an Mehl. Wenn Sie das auch nur in den Einkaufswagen stellen, haben Sie es bereits an den Händen und später in der Einkaufstüte oder im Auto – ein Produkt, das jemand essen möchte. Mit unserer Technik kann es der Hersteller total hermetisch dicht und sauber in Plastik verpacken.
Ihr Unternehmen ist 125 Jahre alt. Und Ihr Firmen-Logo wirkt richtig schön historisch und riecht nach Handwerk und Tradition. Setzen Sie weiterhin darauf?
Festge: Wir sind stolz auf unser Logo. Es ist das Ehrenabzeichen der ersten vier Generationen. Wir wollen und dürfen unsere Geschichte nicht vergessen. Sie ist die Grundlage für das, was wir heute sind. Aber bei uns hat auch die Innovation Tradition. Wir wollen die Fackel weitertragen und zugleich den Generationswechsel nutzen. Das, was die vierte Generation gebaut hat – diese ganzen unterschiedlichen Technologien, die zahlreichen Unternehmen in unserer Gruppe – die gilt es nun, miteinander zu vernetzen. Früher haben wir Maschinen hergestellt, jetzt sind es komplette Prozessketten. Wir wollen künftig neue Dienstleistungen bieten und dem Kunden helfen, seinen Prozess kontinuierlich zu verbessern, eventuell sogar seine Systeme zu betreiben, wenn er einen Nutzen darin sieht.
Time to change also – neben Time to chain?
Genau. Dieses Motto hat natürlich auch einen enormen Effekt nach innen. Es wird sich einiges positiv ändern – dafür wollen wir unsere Mitarbeiter sensibilisieren. Andererseits sind wir immer gut damit gefahren, jeder Tochtergesellschaft einen gewissen Grad an Unabhängigkeit zu lassen. Das soll auch so bleiben. Gleichzeitig sollen sie künftig das ganze System betrachten und deutlich stärker als früher zusammenarbeiten. Ein schmaler Grat …
… weil jede Firma außer dem Verständnis der eigenen Technologien auch die für die Schnittstelle zur nächsten entwickeln muss …
Das ist ein Aspekt. Zugleich haben diese Firmen unterschiedliche Schwerpunkte und Kompetenzen für verschiedene Branchen: teils für Zement und Baustoffe/Mineralien, für Chemie, Nahrungsmittel oder Bergbau. Wenn wir Experten darin sind, all unsere Technologien für Kunden aus all diesen Branchen optimal anzuwenden, entsteht daraus für uns ein großes Potenzial. Ein Geschäftsbereich, der seine Expertise in einer Branche hat, kann auch die Technologien der anderen hineinziehen. Das ist sehr spannend, und es werden viele neue Ideen entstehen. Durch kleinere Änderungen unserer Technologie können wir eventuell ihre Einsatzmöglichkeiten in anderen Anwendungen deutlich ausbauen.
Die Orientierung an den Kundenprozessen kommt ja nicht von ungefähr. Die Erwartungen der Anwender wachsen stetig. Gibt es auch Anforderungen, die Sie nicht erfüllen können?
Festge: Das wäre schlimm, wenn Haver & Boecker sagen würde: Wir sehen Anforderungen, können sie aber nicht erfüllen. Aber wir können es natürlich nicht über Nacht.