Das wahre Infektionsgeschehen der Corona-Pandemie bleibt oft im Dunkeln: Durch lange Meldeketten sind offizielle Statistiken nicht aktuell, zudem verlaufen viele Infektionen asymptomatisch, sodass neue Hotspots oder Gefahren durch Virusvarianten lange unentdeckt bleiben. Abhilfe schaffen könnte ein Blick in Kläranlagen.
„Infizierte scheiden Viruspartikel aus, die sich mit der PCR-Technologie immer noch nachweisen lassen, aber im Abwasser nicht mehr infektiös sind“, erklärt Dr. Robert Möller, Projektmanager beim Endress+Hauser-Tochterunternehmen Analytik Jena. „Systematische Abwasseruntersuchungen können somit Daten liefern, die indirekten Massentests gleichkommen und damit als Ergänzung zu nationalen Teststrategien ein genaueres Bild des tatsächlichen Infektionsgeschehens ergeben.“
Abwasseranalysen von EU empfohlen
Dass Abwasseranalysen zur Sars-CoV-2-Detektion funktionieren, haben Forschungen bereits gezeigt. So wiesen im März 2020 Mikrobiologen im niederländischen Amersfoort Virenpartikel im Abwasser fast eine Woche vor der ersten offiziellen Corona-Fallmeldung nach. In der Schweiz steckte das mutierte Coronavirus aus Großbritannien zwei Wochen vor dem ersten Patientennachweis in einer Abwasserprobe.
Auch wegen dieser Erfahrungen empfiehlt die Europäische Union seit Ende März ihren Mitgliedsstaaten, Sars-CoV-2 und seine Varianten systematisch im Abwasser zu überwachen. „Allerdings braucht es für die Etablierung eines Frühwarnsystems ausreichende Analysekapazitäten, und bislang war die Analyse wegen der aufwendigen Schritte nur spezialisierten Laboren vorbehalten“, sagt Möller.
Daher haben Endress+Hauser und Analytik Jena nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die Virenlast im Abwasser einfach bestimmen lässt: direkt auf den Kläranlagen und innerhalb von drei Stunden. Es soll somit abwasserbasierte Epidemiologie und eine Echtzeit-Überwachung der öffentlichen Gesundheit bieten.
Hürden beim Abwasser-Screening
Das Verfahren beruht auf der Real-Time-Polymerase-Kettenreaktion (Real-Time-PCR). Diese Labormethode hat sich als Goldstandard für den direkten und hochsensitiven Nachweis von Sars-CoV-2 in der Forschung und im klinischen Umfeld bewährt. Mit ihr lässt sich auch die in der RNA (Ribonukleinsäure) enthaltene Erbinformation des neuartigen Coronavirus im Abwasser nachweisen. Auf dem Weg zur Detektion gibt es jedoch noch einige Hürden.
„Es braucht zuerst eine repräsentative Abwasserprobe“, sagt Dr. Achim Gahr, Business Development Manager bei Endress+Hauser Liquid Analysis. „Diese bewegt sich allerdings im Literbereich und ist sehr komplex zusammengesetzt. Für die Real-Time-PCR muss sie speziell aufbereitet und ihr Volumen massiv verkleinert werden.“
Damit all diese Schritte auch auf Kläranlagen machbar sind, haben Endress+Hauser und Analytik Jena fast die gesamte notwendige Prozesskette von der Probennahme über die Probenanreicherung und Nukleinsäureextraktion bis hin zum Real-Time-PCR-Nachweis teilautomatisiert. Verschiedene Geräte beider Unternehmen kommen dabei zum Einsatz.
„Natürlich“, sagt Möller, „muss nun nicht jede Kläranlage in den kompletten Gerätefuhrpark investieren. Es genügt, wenn die Expertise und die Ausstattung in regional gut erreichbaren Auftragslaboren zur Verfügung steht.“
Prozessablauf und beteiligte Geräte
Den Anfang macht der automatische Probennehmer Liquistation CSF48. Er entnimmt dem Kläranlagen-Zustrom im Tagesverlauf immer wieder Abwasser. Denn die ankommende Menge schwankt je nach Wetter und Uhrzeit, was sich jeweils auf die Konzentration der Virenreste auswirkt. Letztlich entsteht eine 24-Stunden-Mischprobe.
Aufgrund der Automatisierung werden repräsentative Proben dabei über einen längeren Zeitraum in großer Menge und unter stets gleichen Bedingungen gesammelt. Das kommt der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse zugute. Der Probenehmer ist konform zu weltweiten Wasserrichtlinien sowie laut Endress+Hauser einfach zu programmieren und zu warten.
Die stark verdünnte Probe wird im nächsten Schritt aufbereitet. Dazu werden 100 ml Wasser entnommen und gefiltert. Die Virenreste werden dabei an den Filter gebunden und hinterher mit 1 ml Wasser wieder von ihm gelöst. Durch diesen Schritt ist die Konzentration der Virenfragmente in der Probe erhöht.
Die Homogenisierung der Filtermembran erfolgt mit der SpeedMill Plus von Analytik Jena. Es soll sich dabei um eines der wenigen Geräte am Markt handeln, die eine vollständige und reproduzierbare Probenhomogenisierung bei geringem Platzbedarf ermöglichen. Die erzeugte partikelfreie Probe wird dann in den InnuPure C16 touch gegeben. Er kann bis zu 16 Proben gleichzeitig bearbeiten und in Kombination mit dem InnuPrep AniPath DNA/RNA Kit – IPC16 aus den Viren automatisiert deren Erbinformation gewinnen.
Die extrahierte RNA findet sich nun in einer Probe von 100 μl und kann somit mittels Real-Time-PCR analysiert werden. In einem Gerät der qTower3-Familie werden dazu die RNA-Sequenzen in einem thermisch geregelten Prozess mithilfe eines Enzyms vervielfältigt. Schon während der Laufzeit zeigt sich, ob die Probe die gesuchte RNA enthält. Je früher sie detektiert wird, desto höher ist die Virenlast.
Anwendung über Corona hinaus
Endress+Hauser und Analytik Jena haben das Verfahren gemeinsam mit der Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) entwickelt, dem größten Abwasserentsorger Deutschlands. Es wurde auf einer der Kläranlagen des Verbandes erprobt. Mit dem EGLV arbeitet Endress+Hauser seit vielen Jahren zusammen.
„Auf dieser Basis und weil wir in der Firmengruppe über alle nötigen Technologien verfügen, konnten wir das Verfahren schnell auf die Beine stellen“, berichtet Gahr. Die Technologie soll zudem über die Bekämpfung der Corona-Pandemie hinausweisen: „Wir arbeiten an Verfahren, um dem Abwasser weitere gesundheitsrelevante Daten abzugewinnen, beispielsweise zu antibiotikaresistenten Keimen.“