Der Weg zum intelligenten Fahrwerk Hightech-Fahrwerk für den Zug der Zukunft

Das DLR arbeitet an einem neuartigen, zukunftsweisenden Fahrwerkskonzept: Jedes Rad wird dabei separat angetrieben und intelligent gesteuert.

Bild: DLR
14.09.2022

Weniger Gewicht, weniger Energieverbrauch und mehr Zuladung: Diese Attribute soll das Fahrwerk des zukünftigen Zugs am besten mit sich bringen. An genau so einem Fahrwerk entwickelt aktuell das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Einen positiven Nebeneffekt bringt das neue Fahrwerk auch im Bereich der Wartung mit sich.

Das Fahrwerk eines Zuges spielt eine wichtige Rolle für einen schnellen, zuverlässigen, sicheren und komfortablen Bahnverkehr. Deshalb arbeitet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Rahmen des Leitkonzepts Next Generation Train (NGT) an einem neuartigen, zukunftsweisenden Fahrwerksdesign: Es verzichtet auf durchgehende Radachsen, jedes Rad wird separat angetrieben und intelligent gesteuert.

Die Vorteile dieses Ansatzes sind groß und vielfältig, schildert Projektleiter Dr. Andreas Heckmann vom DLR-Institut für Systemdynamik und Regelungstechnik: „Züge könnten so effizienter und leiser unterwegs sein, Rad und Schiene dabei weniger verschleißen. Die Struktur und die eingesetzten Materialien sind bei diesem Hightech-Fahrwerk auch in den Antriebsmotoren so optimiert, dass sie möglichst leicht sind. Hier brachte das DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte sein Know-how ein. Weniger Gewicht senkt den Energieverbrauch und ermöglicht mehr Zuladung. Auch bei der Konstruktion und Gestaltung des Wageninnenraums entstehen neue Freiheitsgrade, weil die räumlichen Einschränkungen durch Radachsen entfallen.“

Drehgestelle – die Fahrwerke eines Zugs: DLR geht neue technologische Wege

Im Bahnbereich werden traditionell unter dem Wagenkasten Drehgestelle mit meist zwei Radsätzen als Fahrwerke eingesetzt: Das Drehgestell kann sich gegenüber dem Wagenkasten bewegen und sich so entlang von Kurven und Gleisbögen ausrichten. Die Radsätze mit ihren profilierten Radscheiben und der Radachse halten die Spur, weil sie sich automatisch zur Gleismitte hin orientieren. Auch wenn Fahrwerke stetig weiterentwickelt und verbessert wurden, so blieb dieses Prinzip doch seit langem unverändert.

Aber: Drehgestelle sind groß und schwer und damit ein entscheidender Effizienz- und Sicherheitsfaktor, wenn es um die Konstruktion eines Zuges geht. Vor allem bei doppelstöckigen Zugwagen stellt das klassische Drehgestell eine Herausforderung dar: Denn auf der unteren Ebene muss man per Treppen über das Fahrwerk beziehungsweise über dessen Radachsen steigen – hat also keine durchgehend ebene Fläche. Mit einem ebenen Wagenkastenboden vollständig oberhalb der Radsätze wären die doppelstöckigen Züge zu hoch. Sie könnten nicht auf der bestehenden Schienen-Infrastruktur fahren und würden beispielsweise nicht durch heutige Tunnel passen. Doch der Vorteil von doppelstöckigen Wagen liegt auf der Hand: Die bestehende Infrastruktur und die vorhandenen Gleiskapazitäten ließen sich effizienter und kostengünstiger nutzen. Gleichzeitig ließen sich so mehr Menschen und Güter transportieren.

Auf dem Weg zum intelligenten Fahrwerk

Doch bevor sich die Vorteile des NGT-Fahrwerkskonzepts in der Praxis nutzen lassen, muss die Technologie noch einige Hürden meistern. Zu den größten gehört die Regelungstechnik. „Wenn wir den NGT-Hochgeschwindigkeitszug des DLR als Beispiel nehmen, bedeutet das: Wir haben einen 200 m langen Zug mit zehn Wagen. Die beiden Endwagen haben jeweils acht Räder, die acht Mittelwagen jeweils vier Räder. Insgesamt sind wir dann bei 48 Rädern, die alle einzeln gesteuert und geregelt werden müssen“, beschreibt DLR-Wissenschaftler Heckmann. Dazu verfügt jedes Radpaar bestehend aus linkem und rechtem Rad über einen eigenen Steuerungscomputer im Wagenkasten und eine eigene Sensorik – ist also „intelligent“. So muss beispielsweise konstant die Position des Radpaares im Spurkanal gemessen und gesteuert werden – also wie weit links oder rechts die beiden zusammengehörenden Räder auf den Schienen fahren.

„Das ist einerseits eine technologische Herausforderung, andererseits auch eine neue Möglichkeit. Denn wir können so erstmals genau festlegen, wo das Rad auf der Schiene laufen soll und damit, wo es verschleißen soll oder darf“, sagt Heckmann und nennt eine Genauigkeit zwischen einem zehntel und einem halben Millimeter. „So könnten Radpaare in Zukunft länger fahren, verschleißen gezielter und Wartungen lassen sich besser planen.“ Zudem besteht durch die ständig mitfahrende Sensorik auch die Möglichkeit, Daten über den Zustand der Strecken zu gewinnen. Diese Infos ließen sich zum Überwachen und zur Instandhaltung des Streckennetzes nutzen.

In der Simulation und bei Experimenten mit einem Modell des NGT-Fahrwerks im Maßstab eins zu fünf hat sich das Konzept bereits als vielversprechend erwiesen. Deshalb haben die DLR-Forschenden nun in einem nächsten großen Schritt ein Funktionsmodell sowie einen Prüfstand im Originalmaßstab aufgebaut. So wollen sie das Fahrwerk zum ersten Mal zum Laufen bringen, die Position und Funktion von Sensoren sowie die Steuerungsgeräte testen. Mit Hilfe dieser Forschungsinfrastruktur namens NGT FuN soll die Technologie in den nächsten Jahren weiterentwickelt und demonstriert werden. Danach soll das DLR-Hightech-Fahrwerk auf speziellen Prüfständen bei externen Schienendienstleistern getestet werden, mit dem Ziel dann möglichst bald einen Test in der Praxis auf der richtigen Schiene zu absolvieren.

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