Automatisierte, lernende Systeme können Materialeigenschaften und Molekülstrukturen bereits sehr genau vorhersagen. Eine automatisierte Suche nach neuen, besseren Katalysatoren für die Synthese war damit bislang jedoch noch nicht möglich.
Das liege unter anderem an den Übergangszuständen, wie Jan Halborg Jensen, Professor für Chemie an der Universität von Kopenhagen und Korrespondenzautor der Studie, erklärt. Denn Katalysatoren beeinflussen den Übergangszustand, den Moment in einer Reaktion, an dem es sich entscheidet, ob bei einer Reaktion ein Produkt entsteht oder nicht. Hier mache die Kurzlebigkeit und Komplexität dieses Moments mit mehreren beteiligten Molekülen die Entwicklung von Modellen sehr schwierig.
Von Chihuahuas und Wölfen
Um dennoch neue Katalysatoren zu finden, wandten Jensen und sein Team ein von der Evolution inspiriertes Selektionsverfahren an. Hierbei prüft ein sogenannter genetischer Algorithmus einen Satz von Ausgangsmolekülen auf die Eignung für die Reaktion. „Dann paart man die geeignetsten Moleküle, indem man immer zwei Elternmoleküle willkürlich zerschneidet und die Fragmente rekombiniert“, erklärt Jensen. „Wenn man das oft genug macht, kann die finale Population sehr unterschiedlich von der Ausgangspopulation aussehen – ungefähr so, wie sich ein Chihuahua von seinen wölfischen Vorfahren unterscheidet.“
So besaßen die vom Computer vorgeschlagenen Endmoleküle als neues Strukturmotiv einen viergliedrigen Azetidinring, der in der Ausgangspopulation nicht zu finden war. Eine dieser Azetidinverbindungen wurde synthetisiert und auf ihre Leistungsfähigkeit als Katalysator in der Morita-Baylis-Hillmann-Reaktion getestet. Wie die Forschenden feststellten, schnitt es deutlich besser ab als der zuvor verwendete klassische Katalysator DABCO (1,4-Diazabicyclo[2.2.2]octan). Azetidine wurden bislang noch nicht als Katalysatoren für diese Reaktion vorgeschlagen. „Der Algorithmus entdeckte also etwas vollständig Neues“, sagt Jensen.
Voraussetzung für die Entdeckung neuer Katalysatoren auf diese Weise sei das Wissen um den entscheidenden Übergangszustand bei der in Frage stehenden Reaktion. Sei dieser genau bekannt, so ließen sich prinzipiell durch genetische Algorithmen neue und bessere Organokatalysatoren identifizieren, wie Jensen in Aussicht stellt.