Bei einigen Bauelementen ist es etwas einfacher, Ersatz zu finden, aber Produkte wie Halbleiter und integrierte Schaltkreise sind in der Regel komplexer und tief in einem Design verwurzelt. In diesem Beitrag stellen wir Ihnen einige wichtige Überlegungen vor, die Entwickler anstellen sollten, bevor sie ein Projekt zur Neuentwicklung eines Produkts starten.
Lieferengpässe bei Bauelementen – was nun?
Als vor zwei Jahren die Covid-Pandemie begann, kam es weltweit regelmäßig zu Lockdowns. Die Weltwirtschaft geriet innerhalb kürzester Zeit in große Schwierigkeiten und Unternehmen blickten einer ungewissen Zukunft entgegen. Fertigungsunternehmen korrigierten ihr Produktionsvolumen nach unten und stornierten Bestellungen von Bauelementen. Niemand konnte vorhersehen, welche Turbulenzen sich da anbahnten. Die Verbraucher hielten sich beim Konsum jedoch nicht zurück, sondern begannen, ihre Ausgaben online zu tätigen. Viele Online-Händler verzeichneten einen nahezu explodierenden Anstieg des Auftragsvolumens.
Als die Büroangestellten zur Arbeit im Homeoffice übergingen und die Bildungseinrichtungen auf Online-Unterricht umstellten, stieg die Nachfrage nach technischen Geräten für den täglichen Bedarf schlagartig an. Gleichzeitig ging die Umweltverschmutzung durch Kraftfahrzeuge deutlich zurück und die Menschen verbrachten mehr Zeit in ihrer näheren Umgebung. In der Folge suchten viele Verbraucher nach umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Transportmöglichkeiten für die Zukunft. Als die pandemiebedingten Beschränkungen gelockert wurden, verzeichnete die Automobilindustrie einen rapiden Anstieg der Nachfrage nach Elektrofahrzeugen. Das sorgte für eine zusätzliche Belastung der Lieferkette im Bereich der Fahrzeugelektronik.
Im Jahr 2021 war die Elektronikindustrie mit einer enormen Bauelementeknappheit konfrontiert, von passiven Komponenten bis hin zu integrierten Schaltkreisen und Displays. Laut dem Marktforschungsunternehmen Gartner verbesserten sich die Aussichten im 4. Quartal 2021. Die Mitarbeiter in der Komponentenfertigung kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück und die Produktionszahlen gingen wieder nach oben. Zwar übersteigt die Nachfrage immer noch die Produktion, aber Gartner sagt voraus, dass sich die Situation weiter verbessern wird.
Die Hersteller von Endprodukten sind immer noch mit erheblichen Risiken und Unsicherheiten in ihren Komponentenlieferketten konfrontiert. Daher müssen viele Entwicklerteams ihre aktuellen Produktdesigns überdenken.
Risiken und kollaborative Ansätze
Störungen in der Lieferkette sind keine Besonderheit aufgrund von Covid. Auch Naturkatastrophen, wie etwa Überschwemmungen oder Erdbeben, die wichtige Produktionsregionen betreffen, kommen immer wieder vor, sodass die Fachleute in der Elektroniklieferkette damit umgehen können. In den meisten Produktdesigns sind zahlreiche passive Komponenten vorhanden, hinzu kommen ICs und Module wie Mikrocontroller, Stromversorgungsbausteine (PMICs), Sensoren und drahtlose Transceiver. Passive Bauelemente sind in der Regel Massenware, es sei denn, sie haben individuelle Werte oder Eigenschaften.
Im Idealfall wurden im Rahmen einer Design-for-Manufacturing-Strategie (DFM) bereits alternative Lieferanten identifiziert. Doch Spezial-Kondensatoren, wie zum Beispiel mehrschichtige Keramikkondensatoren (MLCCs), werden regelmäßig „zugeteilt“.
Angesichts der Bauelementeknappheit in der Elektronikindustrie war die Zusammenarbeit zwischen Entwickler- und Lieferkettenteams zweifellos von entscheidender Bedeutung. Bei der kontinuierlichen Prüfung von Second-Source- oder Third-Source-Kandidaten müssen Komponentenwerte, physikalische Abmessungen, Formfaktoren und formale Zertifizierungen sorgfältig analysiert werden.
Im Rahmen einer DFM-Strategie sollten darüber hinaus auch Komponenten identifiziert werden, die sich nicht so leicht über Second-Sourcing beschaffen lassen. Die Suche nach Alternativen für Spezial-ICs wie etwa Mikrocontroller ist weitaus komplexer. Diese Bauelemente und viele andere ICs sind häufig so tief in einem Design integriert, dass die Suche nach einem alternativen Mikrocontroller wahrscheinlich grundlegende Änderungen am Design des Produkts nach sich zieht. Das Entwicklerteam muss hierzu die Produktarchitektur prüfen und analysieren, ob es sinnvoll ist, bei demselben Mikrocontroller-Anbieter zu bleiben und sich für ein leichter verfügbares Bauteil zu entscheiden oder den Anbieter zu wechseln. Diese Entscheidungen haben weitreichende Folgen und verlangen einen gut durchdachten Ansatz.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, mit den Komponentenlieferanten und deren Vertragshändlern in Kontakt zu bleiben. Es kann sein, dass der Lieferant bereits mit Hochdruck daran arbeitet, die Produktion innerhalb des von Ihnen vorgegebenen Zeitrahmens zu erhöhen, und dass Lagerbestände verfügbar werden. Möglicherweise werden die Teile zunächst über Zuteilungen geliefert, aber die Engpässe werden wahrscheinlich nur von kurzer Dauer sein.
Prüfung eines Mikrocontroller-Designs
Mikrocontroller sind wahrscheinlich das Bauelement, das bei der Beurteilung der Änderungsmöglichkeiten am meisten berücksichtigt wird. Sie stehen auch für andere ICs und Module, wie zum Beispiel drahtlose und spezielle analoge ICs. Im Rahmen dieser Prüfung muss das Lieferkettenteam auch die Verfügbarkeit von Ersatzkomponenten analysieren, die das Entwicklerteam in Erwägung ziehen könnte. So sind bei der Migration der Mikrocontroller-Plattform unter anderem folgende Faktoren zu prüfen:
Code-Portabilität: Kann der Code problemlos auf ein anderes Gerät migriert werden? Ist er in einer portablen Hochsprache wie C oder in einer niedrigeren oder stärker hardwareabhängigen Sprache geschrieben? Werden im Code anbieterspezifische Hardware-Abstraktionsroutinen für die Kommunikation mit Peripherieanschlüssen verwendet? Bei der Entwicklung von Embedded-Systemen erfolgt eine starke Interaktion mit der realen Welt über MCU-Ports und -Kanäle, sodass diese Herausforderungen in der Praxis immer vorhanden sein werden. Ein gut strukturierter Software-Code mit entsprechenden globalen Port-Zuweisungen und -Deklarationen macht größere Code-Änderungen in einer Anwendung wesentlich einfacher.
Bibliotheken, Gerätetreiber und andere Firmware: Vom Hersteller bereitgestellte Gerätetreiber und Bibliotheken beschleunigen die Entwicklung jeder MCU-Anwendung. Durch die Verwendung einer Bibliotheksfunktion, zum Beispiel zur Steuerung eines MEMS-Beschleunigungssensors, kann sich der Entwickler auf die gewünschte Applikation konzentrieren und muss sich nicht mit den Feinheiten der internen Funktionsweise des Sensors befassen. Allerdings ist diese Funktion möglicherweise nicht für alle Sprachen verfügbar oder sie greift auf Funktionen auf der Host-MCU zurück.
Plattformübergreifende RTOS/Betriebssysteme: Komplexere Embedded-Systeme verwenden möglicherweise ein Echtzeitbetriebssystem (Real Time Operating System, RTOS), um Aufgaben zu planen und zeitabhängige Aktivitäten zu priorisieren. Verwendet Ihr aktuelles System-Design ein RTOS? Welche anderen womöglich alternativen Mikrocontroller-Plattformen werden unterstützt und welche dedizierten Hardware-Spezifikationen sind für die MCU erforderlich?
Die Wahl der Mikrocontroller-Plattform: Es lassen sich hier grob drei wichtige Auswahlkriterien unterscheiden.
MCU-Architektur: Welche Architektur hat das derzeit von Ihnen verwendete Gerät? 8-Bit, 32-Bit? Auch die Befehlssatzarchitektur ist eine wichtige Information. Handelt es sich um Arm, 8051, AVR, RISC-V? Vielleicht bietet Ihr derzeitiger Anbieter ein ähnliches Bauelement mit der gleichen internen Architektur an, das weithin verfügbar ist. Bei der Umstellung auf einen anderen Gehäuse-Formfaktor kommt es zu Problemen mit dem Board-Layout, die erhebliche Nacharbeiten und nicht amortisierbare Entwicklungskosten nach sich ziehen würden. Es wäre zwar immer wünschenswert, eine Pin- und Software-kompatible Alternative zur aktuellen MCU zu finden, doch die Chancen dafür sind in der Praxis äußerst gering.
MCU-Funktionalität: Moderne Mikrocontroller verfügen über zahlreiche Zusatz- und Grundfunktionen. Beispiele dafür sind Analog-Digital-Wandler, Timer, Zähler und Pulsweitenmodulatoren. Hinzu kommen Sicherheitselemente, kryptografische Beschleuniger und Gleitkommaeinheiten. Die Konnektivitätsoptionen sind vielfältig und reichen von einfachen GPIOs bis hin zu komplexeren protokollbasierten Kommunikationsmöglichkeiten wie USB, CAN und Ethernet. Welche Funktionen werden in Ihrem aktuellen Design verwendet? Die Pin-Anordnung eines potenziellen Bauelements hat außerdem erhebliche Auswirkungen auf das Board-Layout und kann ein teures komplettes Redesign des Boards nach sich ziehen.
Ein Wechsel des Mikrocontrollers bedeutet auch, dass das Stromverbrauchsprofil eines neuen ICs überprüft werden muss. Es kann zu Komplikationen mit den Sleep-Modes und -Methoden eines alternativen Mikrocontrollers kommen. Daher muss auch dieser Aspekt sorgfältig geprüft werden. Zudem ist die Akkulaufzeit ein wesentliches Kriterium für viele tragbare und Handheld-Geräte und muss deshalb sorgfältig analysiert werden.
Toolchain-Unterstützung: Bei der Programmierung und beim Debugging von Mikrocontrollern sind Embedded-Entwickler in der Regel oft auf eine integrierte Entwicklungsumgebung (IDE) angewiesen. Welche IDE wird in Ihrem Unternehmen verwendet? Die gängigen kommerziellen IDEs beinhalten Softwarelizenzen, die für eine andere MCU-Serie möglicherweise geändert werden müssen. Hinzu kommt, dass viele Entwicklerteams eine Vielzahl von Endprodukten entwickeln und unterstützen und dabei einen Plattformansatz für ihr gesamtes Portfolio verwenden. Ein Wechsel der MCU und der IDE hat weitreichende Auswirkungen auf die laufende Produktentwicklung und die Supportaktivitäten, die dem Design nachgelagert sind.
Weitere Aspekte zur Mikrocontroller-Migration
Neben der Entscheidung für einen bestimmten Mikrocontroller müssen Entwickler mehrere damit verbundene Faktoren berücksichtigen, bevor sie ein Migrationsprojekt in Angriff nehmen. Im Folgenden stellen wir einige der wichtigsten Aspekte vor. Das Entwicklerteam sollte darüber hinaus jedoch auch alle weiteren Aspekte des Produktdesigns prüfen, die eine Rolle spielen.
PCB-Überarbeitung und Redesign: Dieser Punkt wurde zwar bereits angesprochen, seine Auswirkungen sollten jedoch nicht unterschätzt werden. Die Überarbeitung des Boards, die durch den Austausch eines so komplexen Bauelements erforderlich wird, ist je nach Produktfunktionen mit einem erheblichen technischen Aufwand und hohen Kosten verbunden. Für den längerfristigen Support des Produkts kommt noch die Komplikation einer Produktvariante hinzu. Dies kann eine Gelegenheit sein, die Spezifikationen des Produkts zu aktualisieren und neue SYstemfunktionen zu integrieren, die bereits im Vorfeld als realisierbar eingeschätzt wurden.
Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und Sicherheitszertifizierungen: Die Produktkonformität umfasst die Typgenehmigung für Wireless-Geräte, die länderspezifische und regionale Produktsicherheit sowie die funktionale und elektrische Sicherheit. Selbst kleinste Änderungen an Komponenten und Betriebssoftware können die Produktkonformität beeinträchtigen, was langwierige Produkttests erforderlich macht. Vor Beginn eines Migrationsprojekts sollte das Entwicklungsteam daher eine Analyse der Produktänderungen, der Kosten und des voraussichtlichen Zeitrahmens für die Unternehmensleitung erstellen.
Cloud und drahtlose Konnektivität: Viele Produktdesigns sind auf eine drahtlose Verbindung zu einem Cloud-basierten System oder einer Smartphone-App angewiesen. Haben die vorgeschlagenen Hardwareänderungen Auswirkungen auf die Konnektivität und den Funktionsumfang des Produkts? Hierzu könnten Änderungen an den Softwarebibliotheken oder den Treibern für drahtlose Module erforderlich sein, die ausreichend Zeit für vollständige Tests erfordern.
Schnittstellen zu Ökosystemen von Drittanbietern: Bei Ihrem Produkt können neben Änderungen bei der Konnektivität auch Interaktionen mit anderen Systemen betroffen sein, die nicht in den Aufgabenbereich Ihres Unternehmens fallen. Dies ist oft bei IoT/IIoT oder Smart-Home-Applikationen der Fall. Deshalb sollte geprüft werden, ob Änderungen eine erneute Zertifizierung der Drittanbieteranwendung erforderlich machen.
Fazit
Die Lieferengpässe bei Bauelementen werden die Elektronikindustrie noch eine Weile beschäftigen. Daher prüfen die Produkthersteller ständig die Auswirkungen auf ihre Produktionspläne. Die Entwicklerteams sollten weiterhin eng mit ihren Kollegen in der Lieferkette zusammenarbeiten und die Tools, Prognosen und Ratschläge, die von den Komponentenhändlern und -lieferanten zur Verfügung stehen, umfassend nutzen. Zudem haben wir einige der Herausforderungen aufgezeigt, die sich möglicherweise für den Wechsel zu einer anderen Mikrocontroller-Plattform ergeben.