Was ist eine eingespielte Partnerschaft? Bei manchen Unternehmen bedeutet das, dass sie schon eine Hand voll Projekte gemeinsam erfolgreich umgesetzt haben. Bei Siemens und Merck ist es mehr: Die beiden Traditionsunternehmen blicken auf über 100 Jahre Kooperation zurück. Seit vergangenem September haben sie die Zusammenarbeit noch einmal intensiviert und sich in einem Memorandum of Understanding zu „strategischen Partnern“ erklärt. Konkret bedeutet das: Siemens ist der Partner für die neue Automatisierungsstufe SMARTfacturing bei Merck.
Wettbewerbsvorteil SMARTfacturing
„Mit dem gezielten Einsatz innovativer Technologien schaffen wir die Grundlage, um Produkte noch bedarfsgerechter und schneller auf den Markt zu bringen“, sagt Michelangelo Canzoneri, Head of Group Smart Manufacturing bei Merck. „Gleichzeitig stellen wir sicher, dass unsere Fertigungs- und Lieferketten nicht nur resilient, sondern auch agil, effizient und nachhaltig sind.“ Merck verfolgt dabei eine klare Vision: Die Patientenversorgung, das Leben und die Gesundheit kontinuierlich zu verbessern und gleichzeitig Innovationen voranzutreiben. „SMARTfacturing ist dabei ein zentraler Baustein, um diese Ziele zu erreichen“, so Canzoneri weiter.
Auf diese Weise will Merck, eines der führenden Wissenschafts- und Technologieunternehmen, die Patientenversorgung verbessern und Innovationen in der Halbleiterindustrie schaffen – und setzt dafür auf einen neuen Ansatz der intelligenten Fertigung: SMARTfacturing. In enger Zusammenarbeit mit Siemens hat Merck das Modular Type Package (MTP) als wegweisende Automatisierungstechnologie für die regulierte Produktion etabliert und in die Praxis umgesetzt. Der modulare Ansatz des Plug & Produce-Prinzips ist dabei revolutionär: „Mit MTP können wir nicht nur einzelne Module flexibel hinzufügen oder neu anordnen, sondern auch die Time-to-Market signifikant reduzieren und gleichzeitig Investitionskosten senken“, erklärt Christoph Mürmann, Head of Process Development, Merck Electronics. „Das Besondere daran: Prozesse müssen nicht neu programmiert werden – die benötigten Herstellrezepturen, Daten und Informationen werden übergeben und stehen direkt zur Verfügung.“ „Diese neue Automatisierungstechnologie trägt dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der Prozessindustrie in Deutschland zu stärken und signifikante CO2-Einsparungen zu erzielen. Unser Ziel ist klar: Eine innovationsstarke, nachhaltige Prozesslandschaft zu schaffen, die Maßstäbe setzt“, erklärt Canzoneri.
Dezentrale Intelligenz dank MTP
Damit das Plug & Produce-Prinzip in einer modernen und hochgradig automatisierten Produktion funktioniert, bedarf es zwei Dinge: perfekt vorbreitete Maschinen und ein Automatisierungsskript, das direkt in das Prozessleitsystem eingebunden werden kann. Einzelne Module – so genannte Process Equipment Assembly (PEA) – sind deshalb vorgetestet, vorvalidiert und vorautomatisiert. Das Grundgerüst für die Vernetzung bilden jedoch die zugehörigen Softwarekomponenten, die sogenannten Module Type Packages (MTP). „Diese Art Treiberdatei beschreibt das Modul aus Automatisierungssicht und identifiziert es gegenüber dem übergeordneten Leitsystem, sodass dieses mit dem Modul automatisch kommunizieren kann. Auf dieser Ebene (Process Orchestration Layer, POL) werden die einzelnen Module zusammengeschaltet, eben orchestriert“, erklärt Maria Grahm, Head of Pharmaceutical Segment bei Siemens. Bei Merck übernimmt diese Aufgabe unter anderem das vollständig webbasierte Prozessleitsystem Simatic PCS neo von Siemens. Es ermöglicht globales, intuitives Arbeiten, setzt neue Effizienz-Maßstäbe für weltweite Engineering-Projekte und unterstützt den Trend zu modularen Anlagen. Intelligente Prozessmodule können so ohne zusätzlichen Engineering-Aufwand per Plug & Produce in das Leitsystem integriert werden – es bedarf lediglich einer Anlage mit Basisinfrastruktur.
Bei Merck wird die neue Automatisierungstechnologie derzeit in der Pharma- und Chemikalienproduktion eingesetzt. Sie lässt sich aber auch in vielen anderen Produktionsprozessen und Zweigen der Fertigungsindustrie einsetzen.
Sahnehäubchen: eine schnelle GMP-Validierung
GMP steht für „Good Manufacturing Practice" – gute Herstellungspraxis. Dahinter stehen nationale und internationale Vorschriften sowie Leitlinien, die Qualitätsstandards bei der Arzneimittelherstellung festlegen. Sie betreffen nicht nur die Endprodukte selbst, sondern auch den gesamten Produktionsprozess. Es soll sichergestellt werden, dass Ergebnisse reproduzierbar sind, und den gestellten Erwartungen und Anforderungen entsprechen. Deshalb werden Prozesse validiert. Diese Validierungsverfahren sind wichtig – aber aufwändig und zeitintensiv. Auch hier bietet die modulare Produktion mit MTP Vorteile: Die einzelnen Module sind bereits vorqualifiziert. Mit einer Investition in die modulare Produktionslinie am Standort Darmstadt hat Merck nicht nur einen Prototyp für den neuen Automatisierungsstandard geschaffen, sondern auch den Grundstein für die nächste Generation der Produktionstechnologie gelegt. „Der Grundstein für die nächsten 100 Jahre Zusammenarbeit zwischen Siemens und Merck ist damit gelegt“, betont Grahm.