Die Fahrzeug-Aerodynamik ist facettenreicher geworden. Nicht nur der OEM, sondern beispielsweise auch der Reifenhersteller muss in Zukunft aerodynamische Kriterien einhalten, um übergeordnete CO2-Vorgaben zu erfüllen. Bei rekuperationsfähigen batterieelektrischen Fahrzeugen führen Luftwiderstandsreduktionen mit weniger Aufwand zur Reichweitenerhöhung beziehungsweise geringeren Batteriekosten als gleich effektive Leichtbaumaßnahmen. Die Zukunft der Fahrzeugaerodynamik wird unter anderem in der Beherrschung instationärer Effekte und ihres Einflusses auf die vom Kunden erlebte Fahrstabilität sein.
Mit den richtigen Reifen sparen
Während die EU seit 2012 für alle Reifen eine Klassifizierung bezüglich Rollwiderstand, Geräusch und Nassbremsverhalten vorschreibt und diese Kriterien damit in den Fokus der Kunden gerückt sind, spielen die aerodynamischen Eigenschaften von Reifen in der Öffentlichkeit bis heute lediglich eine untergeordnete Rolle. Jedoch sind immerhin Reifen und Felgen für bis zu 25 Prozent des Luftwiderstands eines Pkws verantwortlich. Zwar ist ein Teil davon durch die fest vorgegebene Grundform des Reifens und durch den vom Fahrzeug bestimmten Anströmwinkel am Reifen bereits festgelegt, dennoch gibt es abhängig von der gewählten Reifen- und Felgenkombination deutliche Unterschiede in den aerodynamischen Beiwerten eines Fahrzeugs. Diese können - zwischen der besten und schlechtesten Konfiguration - den Luftwiderstand eines Fahrzeugs um bis zu 10 Prozent beeinflussen.
Wie sich die aerodynamische Wirkung eines Reifens gezielt beeinflussen lässt, um einen möglichst fahrzeugunabhängigen Beitrag eines geringeren Luftwiderstands leisten zu können, wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts der Forschungsvereinigung Automobiltechnik (FAT) am Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS) untersucht. Es konnte zunächst gezeigt werden [1], dass sich der Luftwiderstand eines Reifens zu einem großen Teil unabhängig vom Fahrzeug darstellt. Dies ist die Voraussetzung, um mit einem optimierten Reifen den Luftwiderstand und damit den Verbrauch wirklich aller Fahrzeuge zu senken.
Als wichtige Ansatzpunkte zum Optimieren von Reifen konnten deren Schulter und Seitenwand identifiziert werden: Die Luft muss hier möglichst ohne abzulösen um die Schulter des Reifens und dann entlang der Seitenwand strömen können. Dabei sind es vor allem umlaufende Kanten oder hervorstehende Beschriftungen, die trotz geringer Abmessungen dazu beitragen können, den Luftwiderstand deutlich zu erhöhen.
Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde in Zusammenarbeit mit Michelin ein Reifen mit optimierter Geometrie entwickelt, die auf dem besten untersuchten Serienreifen basiert. Im Vergleich zu diesem Serienreifen konnte der Luftwiderstand eines damit ausgerüsteten Pkw um bis zu �??cW= 0,005 gesenkt werden.
Wird ein Fahrzeug mit den optimierten Reifen ausgestattet, so kann im NEFZ (neuer europäischer Fahrzyklus) bis zu 0,03 l/100 km Kraftstoff eingespart werden und bei Konstantfahrt mit 120 km/h sogar bis zu 0,08 l/100 km. Das entspricht einer Reduktion des CO2-Ausstoßes von bis zu 0,8 g CO2/km beziehungsweise 2 g CO2/km.
Batteriekosten senken
Aktuelle Verbrauchszyklen ermitteln den Energiebedarf am Energiespeicher für ein definiertes Geschwindigkeitsprofil v = v(t) bei Geradeausfahrt in der Ebene, konstanten Umgebungsbedingungen sowie abgeschalteten Nebenverbrauchern wie Heizung, Klimaanlage und so weiter. Daher sind für den Energiebedarf die Fahrwiderstände, Beschleunigungs-, Luft- und Rollwiderstand sowie der Triebstrangwirkungsgrad ηT - vom Energiespeicher zum Reifen - entscheidend. Ein rekuperierendes Fahrzeug ermöglicht zusätzlich, mit begrenztem Wirkungsgrad ηREnergie vom Reifen in den Energiespeicher zu überführen; Leerlaufverluste werden in dieser Betrachtung nicht berücksichtigt.
Im Folgenden wird ermittelt, wie sich die Batteriekosten verringern, indem das Fahrzeuggewicht reduziert wird sowie zusätzlich auch der Luftwiderstandsbeiwert und Rollwiderstandsbeiwert eines rekuperierenden Fahrzeugs. Hierbei wird der Berechnung eine fest definierte Auslegungsreichweite zugrunde gelegt. Geringere Fahrwiderstände führen zu einem geringeren Energiebedarf, wodurch die Batterie kleiner ausgelegt werden kann und dadurch weiterhin Kosten und Gewicht reduziert werden.
Ein linearisierter Ansatz zum Ermitteln des erforderlichen Energiebedarfs ermöglicht die direkte Berechnung der Kostenreduktion durch Variation der Widerstandsgrößen [2]. Zunächst wird abhängig vom Fahrzustand - Geschwindigkeit und Beschleunigung - und Fahrzeug die am Reifen erforderliche Leistung ermittelt. Das hier zu Grunde gelegte Fahrzeug entspricht der Golf-Klasse.
Das Vorzeichen dieser Leistung entscheidet darüber, ob das Fahrzeug angetrieben werden muss, oder ob das Fahrzeug rekuperieren kann.
Der Energiebedarf ist in weiten Grenzen nahezu linear von der Fahrzeuggesamtmasse, dem flächenbezogenen Luftwiderstandsbeiwert und dem Rollwiderstandsbeiwert abhängig. Wird nun der Energiebedarf mit dem von der Batterie zur Verfügung gestellten Energieangebot gleichgesetzt, ergibt sich daraus die erforderliche Batteriemasse als Funktion des Fahrzyklus, der Auslegungsreichweite und der Energiedichte der Batterie.
Im nächsten Schritt kann für eine bestimmte Auslegungsreichweite der Energiebedarf reduziert und somit die Batteriekapazität und -masse aufgrund verringerter Fahrwiderstände ermittelt werden. Diese Fahrwiderstandsreduzierung kann durch aerodynamische Verbesserungen ebenso wie durch Leichtbau oder mit rollwiderstandsoptimierten Reifen erfolgen. Wird nun ein konstanter Batterie-Kostengradient �?K/�?E angenommen, zum Beispiel in Euro pro Kilowattstunde, so lässt sich direkt das Einsparpotenzial der Batteriekosten durch eine geringere Fahrzeugmasse, des flächenbezogenen Luftwiderstandsbeiwertes sowie des Rollwiderstandsbeiwertes darstellen.
Die in Abbildung auf Seite 61 dargestellten Diagramme zeigen an Hand von zwei Fahrzyklen, wie sich das Reduzieren von jeweils einem Prozent der Fahrzeugmasse mFZG, des Rollwiderstandsbeiwerts fRsowie der Luftwiderstandsfläche cW*Axauf die Batteriekosten auswirken, falls die Auslegungsreichweite (150 km), Energiedichte des Speichers (200 Wh/kg) und nutzbarer State-of-Charge-Bereich (SOC, Ladezustand) von 0,7 konstant gehalten werden. Ein SOC-Bereich von 0,7 bedeutet beispielsweise, dass die Batterie maximal zu 90 Prozent aufgeladen wird (zum Schutz vor Überladung) und auf höchstens 20 Prozent ihrer Kapazität entladen wird (zum Schutz vor Tief-entladung). Die Fahrzyklen waren: NEFZ und Artemis (Assessment and Reliability of Transport Emission Models and Inventory Systems), bestehend aus den drei Teilzyklen Artemis urban, Artemis road und Artemis highway.
Im NEFZ (Abbildung oben links) ist die scheinbar bekannte Dominanz der Masse zu erkennen. Bei den markierten typischen Batterie-Systemkosten von 500 Euro pro Kilowattstunde führt das betrachtete Reduzieren der Fahrzeugmasse (1 Prozent von 1160 kg) zu einer "Einsparung" der Batteriekosten von etwa 52 Euro pro Fahrzeug. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich ein Leichtbauerfolg von über 11 kg für 52 Euro realisieren lässt. Im selben Bild ist zu erkennen, dass eine ebenfalls 1-Prozent-�?nderung zum Beispiel vom cW, also etwa �?cW= 0,003, zum Einsparen von 39 Euro führt. Diese Ersparnis lässt sich dagegen sehr wohl darstellen. Es würde bereits ausreichen, die Reifenmarke zu wechseln, was praktisch kostenneutral realisierbar wäre.
Wendet man sich gar dem Artemis-Zyklus mit Rekuperation zu (Bild oben rechts), so können mit �?cW= 0,003 bereits 81 Euro Batteriekosten, mit �?m = 11 kg rund 55 Euro und mit �?fR= 10- 4etwa 36 Euro eingespart werden. Das heißt, der Luftwiderstand leistet bei einer inkrementalen �?nderung von ein Prozent damit nicht nur absolut den größten Beitrag zum Reduzieren der Batteriekosten, sondern er ist, wie Fahrzeugentwickler wissen, auch besonders günstig "gegenfinanziert". Aero-maßnahmen lassen sich bis zu einer Größenordnung von ein bis drei Prozent ohne oder zu geringen Mehrkosten realisieren. Beispiele dafür sind Reifen, Felgen, Radspoiler oder Dichtungen im Frontbereich. Auch größere �?nderungen, deren Wirkung im �?cW-Bereich von fünf bis zehn Prozent liegen wie Unterbodenmaßnahmen oder eine Trimmlagenab-senkung kosten weniger, als sie auf der Batterieseite einsparen.
Stabilität unter instationärem Seitenwind
Die Fahrstabilität eines Fahrzeugs wird durch seine aerodynamischen Eigenschaften in zweierlei Hinsicht beeinflusst.
Bei Fahrt unter dem Einfluss von natürlichem Seitenwind oder etwa bei Vorbeifahrt an einem Lkw entstehen Wind-seitenkräfte und -giermomente, die das Fahrzeug von der Sollspur ablenken und korrigierende Lenkeingriffe des Fahrers erfordern. Abhängig von den aerodynamischen und fahrdynamischen Fahrzeugeigenschaften wird dem Fahrer hierdurch eine mehr oder minder große Arbeitsbelastung auferlegt. Dies beeinflusst in entscheidendem Maße das Komfort- und Sicherheitsempfinden des Fahrers, insbesondere bei hohen Fahrgeschwindigkeiten.
Den zweiten wichtigen Einfluss der Aerodynamik auf die Fahrstabilität stellen die Auftriebskräfte an Vorder- und Hinterachse dar. Diese sind bei Pkw in der Regel nicht gänzlich zu vermeiden und entlasten gegebenenfalls die Fahrzeugachsen. Dadurch werden unmittelbar die fahrdynamischen Eigenschaften beeinflusst. Insbesondere bei hohen Geschwindigkeiten ist dieser Effekt im Blick zu behalten.
In beiden Fällen spielt sowohl das stationäre als auch das instationäre aerodynamische Verhalten eine Rolle. Im heutigen Entwicklungsprozess wird die Aerodynamik ausschließlich stationär betrachtet. Das Bestimmen und Beeinflussen instationärer Effekte erfordert speziell ausgerüstete Wind-kanäle. Diese müssen sowohl eine gezielte instationäre aero-dynamische Anregung des Fahrzeugs ermöglichen - zum Beispiel mittels eines Böensimulators - als auch über eine hochdynamische Waage verfügen, die entstehende aerodynamischen Kräfte und Momente zeitlich auflöst. Am Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen (IVK) der Universität Stuttgart wird ab Mitte 2014 ein entsprechend ausgerüsteter 1:1-Fahrzeugwindkanal zur Verfügung stehen.
Am IVK soll jedoch noch ein Schritt weiter gegangen werden. Als Ergebnis von Untersuchungen zum Seitenwindverhalten von Pkw über viele Jahre hinweg wurde ein Bewertungsverfahren entwickelt [3]. Eine der gewonnenen Aussagen ist, dass das Seitenwindverhalten sinnvoll anhand der Reaktion des geschlossenen Regelkreises Fahrer-Fahrzeug beurteilt wird. Nur so kann ermittelt werden, wie stark der Fahrer durch seine Regeltätigkeit beansprucht wird und ob er sein Fahrzeug bei Seitenwind letztlich als subjektiv "gut" oder "schlecht" wahrnimmt. Diesen Ansatz verfolgend, wird die Möglichkeit geschaffen, den Einfluss aerodynamischer Varianten zukünftig im Stuttgarter Fahrsimulator (siehe Bild oben) zu "erfahren" und zu bewerten.
Hierfür werden zunächst geeignete Modelle der instationären Aerodynamik entwickelt und mit dem Fahrzeugmodell gekoppelt. Weiterhin werden Grafik und Bewegungssteuerung des Fahrsimulators so angepasst, dass das Fahren unter natürlichem stochastischem Seitenwind in optimaler Weise nachgestellt werden kann. In einem ersten Schritt können die stationären wie instationären aerodynamischen Eigenschaften im Windkanal vermessener Konfigurationen direkt bewertet werden. Mit einem Lernprozess ermöglicht dies langfristig, objektive Kriterien für die Aerodynamikentwicklung abzuleiten, welche direkt auf wichtige Aspekte der späteren Kundenzufriedenheit abzielen.
Weitere Informationen
[1] Wittmeier, F., Widdecke, N., Wiedemann, J., Lindener, N., Armbruster, R.: Reifenentwicklung unter aerodynamischen Aspekten, in ATZ 2/2013
[2] Wiedemann, J., Wiesebrock, A., Heidorn, H.: Kann man mit dem Luftwiderstandsbeiwert die Batteriekosten senken?; in ATZ 4/2012
[2] Krantz, W: An Advanced Approach for Predicting and Assessing the Driver�??s Response to Natural Crosswind; Dissertation; Universität Stuttgart; 2011