Leittechnik APC für die Entwicklung


Begeistert vom direkt einsatzbereiten MPC-Regler: Mitarbeiter im Refining and Manufacturing Research Institute.

14.06.2013

Noch scheuen sich viele Anwender in der chemischen Industrie, fortschrittliche Regelungstechnologien wie Advanced Process Control auch bei kleinen Anlagen und Regelkreisen einzusetzen. Dabei ist der Aufwand gering, wenn die Funktionen im Leitsystem integriert sind. Dies hat auch die Prozessentwickler eines taiwanesischen Petrochemie-Unternehmens überzeugt.

Gleichmäßige Fahrweise erhöht die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit eines Prozesses sowie die Qualität der Endprodukte. Mit innovativen Regelungsstrategien lässt sich das in nahezu idealer Weise verwirklichen. In der Praxis scheuen Anwender jedoch häufig die Einbindung solcher Tools und versuchen, ihren Prozess durch viele manuelle Eingriffe zu optimieren. Diese Erfahrung teilte auch das Team um Dr. Jeng-Fan Leu, leitender Chemieingenieur, und Dr. Shiann-Horng Chen, Projektleiter im taiwanesischen Refining and Manufacturing Research Institute (RMRI) der Chinese Petroleum Corporation (CPC) in Chia-Yi. Das RMRI entwickelt Verfahren für die petrochemische Industrie mit den Schwerpunkten Entschwefelung sowie Katalysatorsysteme und deren Automatisierungstechnik. Bei der Entwicklung eines neuen Entschwefelungsverfahrens stellte vor allem die exakte Temperierung des Reaktors das Forschungsteam vor große Herausforderungen. Jeder Röhrenreaktor wird von Mehrzonen-Heizelementen beheizt, die einzeln angesteuert werden, um die Katalysatoren im Innern in einem isothermen Zustand zu halten. Dafür werden die Temperaturen des Katalysatorbetts über Thermoelemente gemessen. Die Ansteuerung ist extrem kompliziert, da die Temperatur von vielen Faktoren beeinflusst wird: etwa von Stoffströmen, Wärmetransport, der Reaktionswärme des exothermen Prozesses und den Interaktionen zwischen den benachbarten Heizelementen. Um eine isotherme Steuerung der Katalysatortemperatur zu erreichen, benötigte man vor allem viel Fingerspitzengefühl - im wörtlichen Sinne, wie Dr. Leu erklärt: „Bisher wurde dies über ein Multi-input-multi-output-System gelöst, das zwar seit zwanzig Jahren funktionierte, aber viele manuelle Eingriffe erforderte.“ Gleichzeitig waren die Energiekosten für die gleichmäßige Temperierung hoch. Zwar spielen in einem Forschungsreaktor diese Kosten noch keine wesentliche Rolle. Doch spätestens bei der Übertragung des Verfahrens auf große Anlagen wird das Thema relevant.

Schlanke MPC halten Rechenaufwand gering

RMRI wollte das bestehende, in die Jahre gekommene Leitsystem ablösen und beschäftigte sich daher intensiv mit der Auswahl. Simatic PCS 7 wird seit langem in Taiwan geschätzt, vor allem wegen der dortigen großen Anzahl an installierten Systemen in der Halbleiterindustrie. Zudem hat dessen Anbieter Siemens eine schlagkräftige Mannschaft direkt vor Ort, die RMRI bereits mit zahlreichen Engineering- und Notfall-Einsätzen unterstützt hatte. Einen gewichtigen Anteil an der Auftragsvergabe hatte aber das innovative Advanced-Process-Control (APC)-Modul, das vollständig im Prozessleitsystem integriert ist. Beim diesem handelt es sich um eine Regelung, die auf einfachen prädiktiven Algorithmen basiert. Selbst komplexe Zusammenhänge von Prozessparametern bzw. -variablen lassen sich damit mathematisch beschreiben - und für einen automatischen und flexiblen Anlagenbetrieb nutzen. Diese sogenannten schlanken Prädiktivregler „Model Predictive Control“ (MPC) benötigen zur Online-Berechnung der Stellgröße nur noch wenige Matrix-Multiplikationen und daher einen sehr geringen Rechenaufwand. Damit lässt sich nicht nur eine optimierte Prozessführung, sondern auch eine konstantere Fahrweise erzielen. Der Einsatz von Energie und Rohstoffen kann sich ebenfalls deutlich verringern. Zwar waren Dr. Leu die Möglichkeiten, die APC bietet, bekannt. Sein Team hatte bereits versucht, eine vergleichbare Funktion in den Prozess zu implementieren, war aber mangels geeigneter Werkzeuge gescheitert. „Wir hatten unsere Zweifel“, gibt er zu: „Wäre ein solches System nicht zu teuer oder zu mächtig für unsere Forschungslandschaft? Wären zusätzliche Server und Know-how nötig? Wie akzeptiert das Bedienpersonal diese Technologie?“ Trotz einiger Skepsis fragte man während der Angebotsphase zur Migration des Leitsystems bei Siemens nach und wurde positiv überrascht. Das APC-Modul schien leicht zu implementieren und sich perfekt für die komplizierte Temperaturregelung zu eignen. In die Standardbibliothek von PCS 7 sind bereits zahlreiche höherwertige Regelungen für APC-Funktionen integriert, die einen Großteil der gehobenen Regelungsaufgaben in der Prozessindustrie abdecken. Daher schwanden beim APC-Experten Dr. Leu die Bedenken, nachdem er das Modul von Siemens entdeckt hatte. Das Gesamtprojekt, die Migration auf PCS 7 mit den integrierten APC-Regelungen, startete im Mai 2009 und wurde im Juni 2010 erfolgreich abgeschlossen. Dazu wurde das System heruntergefahren und in vier Monaten die alte Hardware entfernt, die neuen Feldgeräte sowie das System inklusive Programmierung installiert und in Betrieb genommen. Die Installation umfasste ein Engineering-System, zwei OS-Server (OS = Operator System), darunter einer für die Redundanz, vier OS-Clients inklusive einem DataMonitor-Server und vier Simatic PCS 7 AS414H Controller mit 1.200 I/Os. Hinzu kamen Trainings für PCS 7, ein APC-Workshop sowie Unterstützung bei Implementierung und Inbetriebnahme. In Zukunft soll zudem das Wiegesystem durch Siemens-Produkte ersetzt werden.

Treffsichere Temperaturregelung

Während Today�??s Instruments, ein langjähriger Partner von Siemens in Taiwan, für die Integration der Instrumentierung und des Leitsystems, inklusive der Verkabelung und der Projektprogrammierung, zuständig war, leistete Siemens Taiwan Engineering Hilfestellung bei der Einrichtung der PCS-7-Workstations und veranstaltete die Trainings für das Bedienpersonal. „Darüber hinaus unterstützten sie uns immer kurzfristig, wenn wir Hilfe benötigten“, berichtet Leu. Inzwischen läuft das System perfekt. Vor allem die Temperaturregelung der Katalysatorbetten überzeugt Dr. Leu: „Mit dem Siemens-Leitsystem sind wir in der Lage, die sechs Temperaturzonen im gleichen Sollwert zu steuern. Das war im vorherigen System nicht möglich.“ Die manuellen Eingriffe konnten um 80 Prozent gesenkt werden, die Temperaturschwankungen liegen nun bei +/- 0,2°C. Vorher waren Schwankungen um 2°C an der Tagesordnung. Der Energieverbrauch reduzierte sich ebenfalls. Besonders beeindruckt zeigte sich Dr. Leu von dem dazugehörigen Modul ModPreCon (MPC). Dieser schlanke Prädiktivregler ist direkt einsatzbereit, da er keine Extra-Server benötigt. Dadurch ist er vor allem für Pilotanlagen wirtschaftlich interessant. „Die Bedienoberfläche, der MPC-Configurator, ist so komfortabel ausgelegt, dass wir das Modul ohne Schwierigkeiten in Betrieb nehmen konnten“, erinnert sich Dr. Leu. „ModPreCon hat viele Vorteile durch die Integration, die vor allem von Anwendern geschätzt werden, die keine Experten auf diesem Gebiet sind“, ergänzt Dr. Chen. Ein wichtiger Nebeneffekt: Die genaue Steuerung der Temperatur erhöht die Genauigkeit der Versuche in der Pilotanlage und erleichtert die Vergleichbarkeit der Katalysatoren. Inzwischen haben die Forscher nicht nur das APC-Modul zu schätzen gelernt, sondern auch die aufeinander abgestimmte Siemens-Ausrüstung. Ein Highlight ist die CFC-Library. Sie enthält Built-in-Function-Blocks, damit schnell die benötigten Steuerungs-Schemata erstellt werden konnten. „Die Vielseitigkeit der Function-Blocks ist für Programmierer außergewöhnlich. Sie ist nicht nur für Industrieapplikationen in der Industrie interessant, sondern auch für Forscher, die an den Grundlagen der Regelungstechnik arbeiten“, urteilt Dr. Leu. Zudem profitiert RMRI von Erleichterungen im Datenhandling: So werden automatische Reports beispielsweise via E-Mail versandt. „Meine Kollegen können sich nun auf die Forschung konzentrieren, da sie sich über das Thema Leitsysteme keine Gedanken mehr machen müssen“, freut sich Dr. Chen.

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