Auf synthetischen, mit grünem Wasserstoff hergestellten Brenn- und Kraftstoffen ruhen große Hoffnungen: Sie sollen fossile Energien in Industrie, Verkehr und anderen Bereichen ersetzen. Wie viele andere Länder auch misst Deutschland diesen PtX-Energieträgern in seiner Klimapolitik einen hohen Stellenwert bei.
Standorte außerhalb Europas
Doch wo könnten die CO2-neutralen Brenn- und Kraftstoffe zu welchen Kosten in welcher Menge auf nachhaltige Weise produziert werden – und welche Kosten verursacht deren Export? Das stellt jetzt der weltweit erste PtX-Atlas des Fraunhofer IEE im Detail dar.
In ihrer Untersuchung haben sich die Experten auf die Standorte außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes konzentriert. Der PtX-Atlas ist im Rahmen des vom Bundesumweltministerium geförderten Projekts DeVKopSys entstanden. Ziel des Projekts ist es, mit den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung verträgliche Entwicklungspfade im Verkehrssektor in Rückkopplung mit anderen Sektoren des Energiesystems wissenschaftlich zu untersuchen.
„Unser Atlas zeigt, dass in vielen Regionen der Welt langfristig große Mengen an PtX-Energieträgern regenerativ produziert und exportiert werden können – wobei es von Standort zu Standort durchaus erhebliche Unterschiede gibt“, sagt Norman Gerhardt, Leiter Energiewirtschaft und Systemanalyse beim Fraunhofer IEE. Er schränkt jedoch ein: „Trotz des großen Potenzials können grüner Wasserstoff und grüne synthetische Brenn- und Kraftstoffe immer nur Ergänzung sein. Die Steigerung der Energieeffizienz und der direkte Einsatz erneuerbaren Stroms muss stets Priorität haben.“
„Mit dem Atlas können Interessenten unter anderem die für PtX in Frage kommenden Flächen, die dort erreichbaren Volllaststunden und möglichen Erzeugungsmengen, die jeweiligen Gestehungskosten für die verschiedenen PtX-Energieträger sowie die Kosten für deren Transport nach Europa abrufen“, erläutert Maximilian Pfennig vom Fraunhofer IEE, der den PtX-Atlas entwickelt hat.
Ausreichende Mengen für den verbleibenden Bedarf
Die Forscher kommen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich außerhalb Europas langfristig insgesamt etwa 109.000 Terawattstunden flüssigen grünen Wasserstoff beziehungsweise 87.000 Terawattstunden synthetische Kraft- und Brennstoffe (Power to Liquids, kurz PtL) herstellen ließen. Dieses Gesamtpotenzial kann realistischerweise jedoch nur zum Teil erschlossen werden, unter anderem, weil mancherorts keine ausreichende Investitionssicherheit gegeben ist, oder weil es an nötiger Infrastruktur fehlt.
Berücksichtigt man diese Faktoren, liegt das umsetzbare Potenzial aber immer noch bei 69.100 Terawattstunden Wasserstoff beziehungsweise 57.000 Terawattstunden PtL. Zum Vergleich: Für die globale Luftfahrt werden 2050 insgesamt mindestens 6.700 Terawattstunden, für den weltweiten Schiffsverkehr 4.500 Terawattstunden PtL benötigt.
Rechnet man die zur Verfügung stehenden Mengen nach dem heutigen Anteil an der Weltbevölkerung auf Deutschland herunter, stehen 770 Terawattstunden Wasserstoff beziehungsweise 640 Terawattstunden PtL zur Verfügung. „Das genügt, um den verbleibenden Brenn- und Kraftstoffbedarf zu decken; vorausgesetzt, Energieeffizienz und direkte Stromnutzung haben jederzeit absoluten Vorrang“, sagt Gerhardt.
Transport ist wichtiger Kostenfaktor
Bei der Berechnung der ökonomischen Potenziale der einzelnen Standorte haben die Forscher neben den Stromgestehungskosten der erneuerbaren Energien und den Wirkungsgraden der PtX-Prozesse unter anderem auch Peripherie-, Speicher-, und Transportkosten berücksichtigt.
Dabei kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Standorte mit guten Bedingungen für die Windenergie und wenn möglich auch in Verbindung mit Photovoltaik die niedrigsten Erzeugungskosten aufweisen. An Standorten mit geringeren Windenergie-Ressourcen sind die Photovoltaik-basierten PtX-Erzeugungskosten dagegen höher. Gerade bei Wasserstoff sind aber je nach Standort die Kosten für den Transport nach Deutschland ein entscheidender Faktor und überkompensieren teilweise die Standortunterschiede.
Der Atlas zeigt auch, dass es oft kostengünstiger ist, Brenn- und Kraftstoffe wie PtL für den europäischen Markt ebenfalls direkt dort zu produzieren, wo auch der grüne Wasserstoff erzeugt wird statt in Europa auf Basis importierten Wasserstoffs.
Diese Syntheseprodukte sind deutlich kostengünstiger zu transportieren und mittels Luftabscheidung kann an diesen Standorten CO2 für die Weiterverarbeitung gewonnen werden. Denn um Wasserstoff über lange Distanzen zu transportieren, muss dieser verflüssigt werden, was viel Energie verschlingt und damit Kosten verursacht. Hinzu kommen Verdampfungsverluste der Flüssiggase während des Transportes.
Nordafrikanische Länder könnten Wasserstoff liefern
Welche Länder und Regionen als Exportpartner für Europa in Frage kommen, muss im Einzelfall betrachtet werden. Länder mit hohem Erzeugungspotenzial und günstigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen wie die USA und Australien könnten große Mengen an PtX-Energieträgern liefern.
Allerdings dürfte insbesondere in den USA die inländische Nachfrage groß sein, was das Ausfuhrpotenzial mindert. Wegen der großen Transportdistanzen wäre es auch wirtschaftlich nicht sinnvoll, aus diesen Ländern grünen Wasserstoff nach Europa zu exportieren.
Auch näher an Europa gelegene Staaten wie Ägypten oder Libyen wären prinzipiell in der Lage, große PtX-Volumina zu liefern – und auch grünen gasförmigen Wasserstoff, da die Transportstrecken vergleichsweise kurz sind. In diesen Ländern sind die sozioökonomischen Bedingungen jedoch schlechter. Die Investitionsrisiken sind daher höher, was auch die Finanzierungskosten steigen lässt. Das verringert die Wahrscheinlichkeit, dass dort PtX-Projekte in großem Umfang realisiert werden.
Der PtX-Atlas ist seit dem 1. Juni 2021 in der Projektwebseite für alle freigeschaltet.