Das Ende von Moore‘s Law wird nun schon seit einer Weile prognostiziert - und der maßgebliche Faktor dafür sind die endlichen Möglichkeiten von Silizium. Denn trotz der Erforschung zahlreicher Substitute ist Silizium nach wie vor erste Wahl, wenn es um Halbleiter geht. Seit geraumer Zeit wird nun aber Graphen als neues Allheilmittel für Halbleiter propagiert. Nahezu täglich präsentieren Wissenschaftler weltweit neue, beeindruckende Forschungsergebnisse. Aber wie viel davon ist Wunschtraum und was ist wirklich realisierbar? Ist Graphen tatsächlich ein Wundermittel oder handelt es sich wieder einmal nur um einen Hype?
Vom Kohlenstoff zum Halbleiter
Bei Graphen handelt es sich um eine Modifikation des Kohlenstoffs mit zweidimensionaler Struktur, in der jedes Kohlenstoffatom von drei weiteren umgeben ist, so dass sich ein bienenwabenförmiges Muster ausbildet. Da Kohlenstoff vierwertig ist, müssen dabei pro Wabe drei Doppelbindungen auftreten, die allerdings nicht lokalisiert sind. Am Rand einer Wabe müssen andere Atomgruppen angedockt sein, die aber kaum Einfluss auf die Eigenschaften des Graphens haben. Graphen verfügt über einige außergewöhnliche Eigenschaften, zum Beispiel sind die Kristalle extrem steif und fest. Die Zugfestigkeit ist höher als die von Stahl, es ist das stärkste derzeit bekannte Material der Welt. Mit 72 Milligram pro Quadratmeter ist es aber gleichzeitig auch extrem leicht. Richtig interessant wird es dann bei Zweilagensystemen aus Graphen, die ein halbleitendes Verhalten ähnliche wie Silizium zeigen. Sie verfügen allerdings über eine Bandlücke, die man durch elektrische Felder systematisch verändern kann. Auch gerolltes Graphen, die so genannten Kohlenstoffnanoröhren (carbon nanotubes) sind für die Elektronik extrem interessant.
Nanoröhren ordnen
Diese kleinen Nanoröhren sind etwa 1.000-mal leitfähiger als Kupfer - also der ideale Kandidat für den Silizium-Nachfolger. Eine große Herausforderung besteht darin, die Nanoröhren in einem Muster anzuordnen, wie man es für einen integrierten Schaltkreis benötigt. Im klassischen Herstellungsverfahren werden Silizium-Wafer zwischen Lagen aus nicht-leitendem Material gelegt, dann werden mit Hilfe von Chemikalien oder Laser Pfade und Transistoren in das Silizium geätzt. So einfach machen es die Nanoröhren den Forschern nicht. Daher hat man bei IBM einen anderen Lösungsweg gewählt: Auf einem traditionellen Wafer deponierten sie eine Lage Hafnium auf dem Silizium. Die Nanoröhren wurden in eine Chemikalie getaucht, die sie wasserlöslich machte. Nun wurde der Hafnium-Wafer zunächst in die Nanoröhren-Lösung und dann in eine zweite Chemikalie getaucht, die am Hafnium haftete und die Nanoröhren binden sollte. Nun richteten sich die Nanoröhren sozusagen selbständig an den in den Wafer geätzten Pfaden aus und ließen sich zu Speicher und Prozessoren mit mehr als 10.000 Prozessoren verarbeiten - bei einem Abstand von etwa 150 bis 200 Nanometern. Das ist nicht nur angesichts der derzeit üblichen 22 Nanometer alles andere als beeindruckend - für die Forschung aber ein dramatischer Schritt nach vorne. Und davon abgesehen verfügten die ersten ICs auch nicht über die 1,4 Milliarden Transistoren, mit denen ein handelsüblicher Prozessor heute bestückt ist. Theoretisch können sich also die künftigen ICs durch chemische Reaktionen selber herstellen. Aber die Nanoröhren haben noch weitere entscheidende Vorteile. Sie ermögliche deutlich kleinere Schaltkreise, was gleichzeitig eine geringere Leistungsaufnahme, eine geringere Wärmeentwicklung und - bei mobilen Geräten - eine längere Batterielaufzeit mit sich bringt. Zudem soll Graphen theoretisch Taktraten von bis zu 1.000GHz ermöglichen - ein Vielfaches von dem, was heutige ICs können. Praktisch halten Forscher 8 bis 9 GHz für realistisch - bei etwa einem Drittel der Leistungsaufnahme aktueller Chips.Was in der Theorie schon sehr überzeugend klingt, wird in der Praxis noch eine Weile auf sich warten lassen.
Praxisprobleme
So gibt es derzeit beispielsweise noch keine Fertigungsprozesse für die Massenproduktion. Zudem müssten die Halbleiter-Fabs auf die neuen Prozesse umgerüstet werden - soweit dies möglich ist. Im schlimmsten Falle würde das neue Material auch komplett neue Fabs erfordern. Und die sind bekanntermaßen so exorbitant teuer, dass sie sich außer Intel, Samsung und Auftragsfertigern wie TSMC niemand leisten kann.Ein weiteres Problem besteht laut den Marktforschern von IDTech darin, dass es zahlreiche unterschiedliche Graphen-Typen gibt, die unterschiedliche Eigenschaften aufweisen und damit auch für unterschiedliche Anwendungen relevant sind. Auch der Herstellungsprozess des Materials kann unterschiedlich sein. Was einerseits einen Vorteil durch die größere Flexbilität bietet, führt auf der anderen Seite zu einer gewissen Unsicherheit, wofür man sich denn nun letztlich entscheiden soll. Zudem gibt es bisher keine spezifischen Anwendungen für Graphen, es ist primär als Ersatz für Materialien in existierenden Anwendungen gedacht - wie beispielsweise den ICs. Hier stehen die Vorteile, die das Material bietet, sicher noch auf längere Sicht erheblich höhere Kosten gegenüber. Bis die neue Wunderwaffe sich also behaupten kann, wird noch einige Zeit vergehen - in der das Silizium seine noch vorhandene Reserven ausreizen kann.