Die Deutsche Werkzeugmaschinenindustrie verfügt über eine sehr gute Auftragslage aus dem Inland ebenso wie aus dem Ausland, wie der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) berichtet. Ungewöhnlich ist allerdings das hohe Gewicht des Systemgeschäfts: „So ausgeprägt habe ich den Anteil an Großprojekten in der Branche noch nicht erlebt“, beschreibt VDW-Chefvolkswirt Gerhard Hein die außergewöhnliche Situation in diesem Jahr, die wenig mit normaler Reaktion auf konjunkturelle Einflüsse zu tun habe.
Trotz guter Auftragslage aus dem Inland wie dem Ausland muss die Branche mit abnehmender Intensität der Nachfrage aus etablierten Märkten zurechtkommen. Potenzial für Kompensation bieten neue Märkte, die sich vielversprechend entwickeln. Hinzu kommt, dass qualitativ hochwertige Maschinen ohne Digitalisierung kaum mehr zu verkaufen sind – ein heißes Thema nach wie vor. Zudem muss Additive Manufacturing (generative Fertigungsverfahren) stärker in den Fokus der Werkzeugmaschinenbauer rücken.
In den ersten neun Monaten 2016 sind die Inlandsbestellungen von hohem absolutem Niveau ausgehend um zwei Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen. Vor allem Umform- oder Pressentechnik, in erster Linie Großpressen, waren stark gefragt. „Das ist strategischer Invest deutscher Automobilhersteller“, erklärt Hein die Auftragslage im Inland. Auch im Ausland zeigt sich das Systemgeschäft, Hein zufolge, als Treiber für die gestiegene Nachfrage, besonders in China und Mexiko. Im Gegensatz zum Inland bezieht sich der Auftragseingang aus diesen Ländern auf spanende Projekte in der Automobilindustrie – die global der größte Abnehmer für Werkzeugmaschinen ist. Insgesamt stieg die Auslandsnachfrage in den ersten neun Monaten 2016 um 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Weiterhin stellt der VDW heraus, dass vor allem Bearbeitungszentren (BAZ) von Großaufträgen aus dem Ausland profitieren, was weniger mit aktuellen technologischen Trends zu tun habe – abgesehen von der klassisch hohen Flexibilität und Produktivität derartiger Anlagen in der Großserienfertigung. „Die jüngste Entwicklung ist eher durch die ganz besonders ausgeprägte Automobilaffinität der Nachfrage begründet“, erklärt Hein. Wobei er auf den Nachholbedarf der US-amerikanischen Automobilindustrie aufmerksam macht, die Werkzeugmaschinen in Deutschland für den Einsatz in China und dem „Shooting Star“ Mexiko beschafft. In den ersten drei Quartalen 2016 hat sich das Auftragsvolumen aus dem mexikanischen Markt nahezu verdoppelt. Das hängt auch damit zusammen, da in der Statistik des VDW der Endverbleib der Maschinen zählt. Für das gesamte Jahr 2016 erwartet der Prognose-Partner Oxford Economics des Vereins nochmals eine Verbrauchssteigerung in Mexiko um ein Drittel, gemessen in lokaler Währung.
Wandel zu neuen Märkten
Wie Anfangs erwähnt, nimmt in vielen etablierten Märkten das Wachstum ab. Das zwingt Werkzeugmaschinenbauer dazu, neue Märkte genauer anzuschauen. „Mexiko gehört derzeit zu den Interessantesten“, sagt Hein. Weiterhin biete Skandinavien – exemplarisch Schweden und Dänemark – neuerdings vermehrt Potenzial. „Nicht allein der Automotivsektor treibt, sondern auch die Schmiedetechnik sorgt für Schub“, hebt der VDW-Experte hervor. Aus Indien habe die Nachfrage während der ersten Jahreshälfte um Faktor 2,5 zugelegt, wobei die Vorhersagen für den Markt weiterhin aufwärts gerichtet bleiben. Zunehmend interessant seien auch die osteuropäischen Automobilstandorte Slowakei und Polen. Sie zeigten hohe zweistellige Zuwächse in der ersten Jahreshälfte 2016.
Etwas schwierigere aber auf lange Sicht aussichtsreiche Märkte für qualitativ hochwertige Werkzeugmaschinen sind Russland und Iran. „In Russland gibt es wieder Zuwachs aus der Talsohle heraus“, erwähnt Hein. Die iranischen Bestellungen sind von sehr niedrigem Niveau um Faktor 6 angewachsen und gelten dem Chefvolkswirt zufolge als Hoffnungswert. Auch Indonesien, Vietnam oder Thailand könnten ab 2017 laut VDW interessant werden, obwohl die Märkte japanisch dominiert sind. „Die Aufnahmefähigkeit dieser Länder wird wieder zulegen nachdem sie 2016 eingebrochen war“, ist sich Hein sicher.
Technologien im Trend
Nicht nur mit neuen Märkten sondern auch mit Technologien wie der Digitalisierung oder Additiv Manufacturing sollten sich Werkzeugmaschinenbauer auseinandersetzen. So müssen heutige Maschinen etwa kleinere Losgrößen und mehr Varianten produzieren können. „Das macht die Prozesse komplexer“, sagt Klaus Kärcher, Mitglied der Geschäftsleitung von Bihler. Früher hatten mechanische Maschinen eine begrenzte Anzahl an Stationen, heute sind es mit NC-Technik und Digitalisierung bis zu 40 und mehr. Wird da an der ersten etwas geändert, kann sich das an einer oder mehreren darauf folgenden Stationen auswirken. „Eine solche Komplexität ist nur mit Vernetzung, Software und einer durchgängigen Kommunikation mit offenen Schnittstellen in den Griff zu bekommen“, sagt Kärcher. Bihler hat seine Stanz- und Biege-Maschinen mit NC-Technik auf Basis der Steuerungs- und Servotechnik von B&R entwickelt. Kraft/Weg-Fahrprofile werden nur einmal festgelegt und auf der Steuerung gespeichert. Das Umrüsten der Maschine für einen Produktwechsel dauert nur noch einen Bruchteil der bei mechanisch gesteuerten Anlagen üblichen Zeit. Ein aufwändiges Feinjustieren, wozu gut ausgebildete Fachkräfte benötigt werden, fällt weg. „Eine moderne, flexible Produktion kommt heute ohne Digitalisierung nicht mehr aus“, ist sich Kärcher sicher.
Mit Blick auf die EMO 2017 in Hannover ist es im Werkzeugmaschinenbau angesagt sich auch mit Additive Manufacturing zu beschäftigen. Das sind Fertigungsverfahren, mit denen schnell und kostengünstig Modelle, Muster, Prototypen, Werkzeuge oder auch Endprodukte herstellt werden können. Die derzeit am meisten beachtete Technologie darunter ist der 3D-Druck. In der Produktion führt er heute zwar noch ein Nischendasein, wie eine aktuelle Studie des VDW zeigt. Doch die Branche soll exponentiell wachsen und das in den kommenden Jahren auch fortsetzen.
Vor kurzem kündigte etwa Schuler an, mit Hilfe des 3D-Drucks Prototypwerkzeuge zu fertigen. „Der Bau von Formhärte-Werkzeugen ist geradezu prädestiniert als neues Einsatzgebiet für den 3D-Druck“, sagt Udo Binder, Leiter der Division „Intelligent Tooling Solutions“ bei Schuler. EMO-Generalsektretär Carl Martin Welcker rät: „Man ist gut beraten, sich auch im Maschinenbau mit der neuen Fertigungstechnologie zu befassen und die Fortschritte branchenspezifisch zu beobachten.“ Da das Verfahren für industrielle Anwendungen in den Anfängen steckt, haben Maschinenbauer laut Welcker gute Möglichkeiten, „sich auf die Technologie und Veränderungen in der Nachfrage einzustellen“.