Das WKC hat schon mit dem digitalen Zwilling gearbeitet, als es den Begriff noch gar nicht gab, richtig?
Löffler:
Das stimmt. Wir haben in der Tat frühzeitig erkannt, dass unser Werk nach außen und nach innen aus jeder Menge Schnittstellen besteht und begonnen, diese zu identifizieren und bestmöglich mit intelligenten Daten zu unterstützen. Wir haben damals vom „virtuellen Prototypen“ gesprochen, mit Industrie 4.0 sind dann die Namen und auch die Aufgaben nochmals geschärft worden.
Wie lautet die Aufgabe aus Ihrer Sicht?
Kasparick:
Die Vorteile eines digitalen Zwillings sind schon oft beschrieben. Für produzierende Unternehmen ergibt sich daraus die Aufgabe, das Produktdesign und die Werksprozesse in ein Datenmodell zu überführen und dieses entlang der Wertschöpfungskette mit realen Produktionsdaten abzugleichen und zu erweitern. Der Weg ist nicht einfach. Wir haben schon 2005 begonnen, ihn zu gehen und können heute sagen: Es lohnt sich.
Was ist für Sie der Leitgedanke bei diesem Weg der Digitalisierung?
Kasparick:
Medienbrüche bedingt durch die unterschiedlichen Engineering- bzw. Automatisierungssysteme sind im Schaltschrankbau auch heute noch weit verbreitet. So werden technische Information überwiegend per „Papier (PDF-Dokument)“ ausgetauscht. Jeder Medienbruch bedeutet manueller Aufwand und bindet Fachkräfte, die an anderer Stelle im Unternehmen dringend benötigt werden. Wir müssen anders arbeiten, digitaler.
Wie arbeiten Sie heute und wie haben Sie diese Idee umgesetzt?
Löffler:
Wir haben im Grundsatz ein System verteilter Datenbanken geschaffen, die natürlich miteinander interagieren. Aber in den Datenbanken liegen ausschließlich format- und systemneutrale Roh-Informationen vor. Das ist unser digitaler Zwilling.
Das heißt: Sie müssen erst einmal alles neutralisieren, was der Kunde Ihnen liefert?
Löffler:
So ist es. So arbeiten wir – immer noch größtenteils in Hand- und Kopfarbeit. Das geht noch nicht anders, auch wenn wir uns hier natürlich mehr Durchgängigkeit wünschen, mit der wir die Daten „nur“ noch in unsere Fabrik transformieren müssten und unseren Kunden auch in intelligenter Form zurückspielen könnten.
Sehen Sie die Chance dazu?
Kasparick:
Wir sind optimistisch. Die Standardisierungsbestrebungen des ZVEI gehen in diese Richtung, auch durch die gesetzliche Notwendigkeit, zukünftig den eigenen CO2-Fußabdruck zu dokumentieren. Wenn wir in der Lage sind, CO2-Werte über die gesamte Lieferkette zu transportieren, können wir auch andere Daten wie Abmessungen und Funktionen systemübergreifend austauschen.
Wie sieht Ihr Datenmodell aktuell aus?
Löffler:
Wir haben ein eigenes Datenmodell entwickelt, welches auf Basis der Daten von Eplan Pro Panel weitere Informationen aufnehmen, weiterverarbeiten und angepasst auf unsere Produktion ausgeben kann. Als systemübergreifende Standards treiben wir den Identification Link, die Verwaltungsschale und ECLASS Advanced als zugrunde liegende Semantik voran.
Wenn wir einen Schritt weiter, in die Produktion, gehen: Wie sind Ihre Fertigungsanlagen an den digitalen Zwilling angebunden?
Löffler:
Durch unser Datenmodell sind wir an den Schnittstellen flexibel und können Arbeitsplätze je nach Ausstattung mit Maschinen- oder Roboterdaten bzw. mit menschenlesbaren Informationen ausstatten. Die Produktionsdaten zum Beispiel für die Bohr- und Fräszentren, die Laserbearbeitung oder die Kabelkofektionierung generieren sich automatisch im Moment der Verwendung in der Fertigung. Hier sind also die digitale und die reale Welt direkt verbunden.
Wie nimmt Ihr Kunde die Digitalisierung in Ihrem Hause wahr – welche Vorteile hat er?
Löffler:
Er profitiert von schnellen Durchlaufzeiten, hoher Qualität und marktgerechten Preisen, erhält noch Mehrwerte im Engineering und in der Produktion. Mit unserem „funktionalen Engineering“ sind wir in der Lage, modular Stromlaufpläne normgerecht zu generieren. Diese Unterstützung nutzen unsere Kunden, gerade weil viele Anlagenbauer nur über geringe Kapazität in der Elektroplanung verfügen. Erhalten wir die Engineering-Daten digital von unseren Kunden, sind wir in der Lage, diese ohne Medienbrüche in unseren digitalen Zwilling zu überführen. Während des Werksdurchlaufes wird dieser digitale Zwilling dann weiter mit Produktionsdaten, PCF-Werten, Exportdaten etc. vervollständigt und mit dem realen Produkt nach Bedarf digital an den Kunden geliefert. Damit lassen sich sämtliche Mehraufwände an den Schnittstellen in den Kunden-Lieferanten-Beziehungen eliminieren.
Theoretisch können Ihre Kunden – und auch die Lieferanten – ja ebenfalls Nutzen aus dem digitalen Zwilling ziehen, den Sie kundenspezifisch erstellen. Wird dieses Angebot genutzt?
Kasparick:
Bei unseren Lieferanten gibt es gute Ansätze im Bereitstellen von CAx-Daten. Unsere Kunden nutzen das Angebot noch verhalten. Wir sind aber zuversichtlich, dass sich das ändern wird – spätestens mit der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle für eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit.
Was die Nutzung des digitalen Zwillings und die Automatisierung des Schaltschrankbaus betrifft, sind Sie vielen Wettbewerbern weit voraus. Mit wem tauschen Sie sich aus, wo finden Sie Partner, um weitere Automatisierungs- und Digitalisierungsschritte zu planen?
Kasparick:
Wir sind heute mit unterschiedlichen Lösungsanbietern im Gespräch. Rittal und Eplan sind für uns wesentliche Partner, da sie Lösungen für den Schaltanlagenbau intensiv vorantreiben, auf der Software-Seite und bei den Schaltschrankprodukten sowie bei Automatisierungslösungen und Maschinen. Deshalb sind sie für uns Vorzugslieferanten und Innovationspartner. Wir nehmen Ideen auf, die sie zur Marktreife entwickeln. Wir lernen voneinander, ergänzen uns und tauschen uns aus.
Löffler:
Natürlich diskutieren wir auch intensiv und regelmäßig mit unseren Kunden, unter denen es sehr innovative Maschinenbauer gibt. Hier geben und erhalten wir Impulse, die beide Seiten weiterbringen.
Wenn Sie uns einen Blick in die nahe Zukunft erlauben: An welchen Projekten arbeiten Sie? Wo sehen Sie Handlungsfelder für sich und Ihre Partner?
Kasparick:
Der Fachkräftemangel ist evident – das spüren wir deutlich. Neben dem frühzeitigen Werben für die Elektrotechnik in regionalen Schulen und durch Aus-bildungskooperationen benötigen wir auch robuste Automatisierungslösun-gen, um die internen Prozesse weiter zu optimieren. Ein Beispiel wäre das automatisierte Verdrahten von biegeschlaffen Drähten.
Löffler:
Auf der Datenebene heißt das: Der digitale Zwilling muss unabhängig davon sein, ob ein Mensch oder ein Roboter die Arbeit macht oder welche Maschine angesteuert werden muss. Wir haben nicht nur Rohdaten, die wir ziemlich gut verwalten können, sondern auch Schnittstellen zu allen möglichen Standards und Maschinen. So bleiben wir flexibel. Das hilft uns auch bei der Vereinzelung von Wertschöpfungsschritten, wie an unserem digitalen Aufbauplatz mit integrierter 3D-Lasernavigation realisiert.
Spielt das Thema Nachhaltigkeit auch eine Rolle?
Kasparick:
Klimaneutrale Energiewirtschaft und CO2-reduzierte Mobilität eröffnen neue Kundengruppen. Überall muss Energie verteilt, Sensorik und Aktorik verbunden werden und das gelingt am besten an einer zentralen Stelle, dem Schaltschrank. Diese Herausforderung bietet Chancen für eine effiziente unternehmensübergreifende Zusammenarbeit von der Design-Phase bis zur Produktion. Dabei gilt es, gemeinsam zu standardisieren und den digitalen Informationsaustausch zu entwickeln. Hier müssen und wollen wir Überzeugungsarbeit leisten – als WKC, aber auch im ZVEI, in anderen Gremien und mit unseren mehr als 200 aktiven Kunden.