Anlagenbau & Betrieb Die Zukunft der Prozessüberwachung

22.03.2013

Viele Prozesse bleiben über Jahrzehnte hinweg unverändert. Doch die Prozessüberwachung wandelt sich im Spiegel der technischen Entwicklung - und mit ihr die Rolle des Bedieners. Immer mehr Werkzeuge und Schnittstellen aus dem Consumer- und Bürobereich bekommt der Operator an die Hand. Aber macht das Sinn?

Wer an die Inhalte und Werkzeuge zur Prozessüberwachung denkt, kommt am Bediener nicht vorbei. Er ist es, der den Prozess letztendlich im stabilen, sicheren, umweltgerechten und wirtschaftlichen Fahrwasser halten muss, sei es mit überwiegend manuellen Aktivitäten oder mit Hilfe bildschirmgestützter Bedienstationen und situationsbezogener Grafiken. Viele seiner traditionellen Aufgaben werden inzwischen in automatisierte Bausteine übertragen - inbesondere reproduzierbare Routinetätigkeiten. Doch ob Bediener oder Automatismus: Der Übergang von der primären Prozessüberwachung zu den notwendigen Maßnahmen der Prozessführung ist fließend. Im Falle des Operators spielen dabei Erfahrungswerte eine wichtige Rolle, auch wenn simulierte und dementsprechend geschulte Zusammenhänge unterstützend wirken. In der überwiegenden Mehrzahl der Realisierungen münden aber auch automatisierte Überwachungs- und Führungsmaßnahmen wieder in die Verantwortung des Operators als letztem Entscheider von Aktionen.

Neue Operator-Generation

Technologische Neuerungen drängen mit Macht aus dem alltäglichen Gebrauch in die Überwachung und Bedienung der Anlagen in der Prozessindustrie. Teilweise wird argumentiert, dass dies schon allein deswegen notwendig ist, um die Tätigkeit des Operators für die Generation der Digital Natives attraktiv zu machen und so den anstehenden altersbedingten Wechsel in den Messwarten zu unterstützen. Flexible Bedienumgebungen mit intuitiven Oberflächen, Apps für spezifische Aufgabenstellungen auf mobilen Geräten, neue Bedienelemente wie Multi-Touch mit Pinch- und Zoom-Gesten oder Erkennung von Bewegung und Sprache - das sind einige der propagierten Möglichkeiten. Weitere Themen beziehen sich auf die erweiterte Nutzung der Videoanwendung oder die virtuelle Darstellung und Begehung der Anlage bis hin zu einer dreidimensionalen Wiedergabe. Vieles wird untersucht - und wohl auch im Prozessbereich übernommen. Die Durchdringung in der Breite allerdings wird aus guten Gründen wesentlich langsamer erfolgen als vom kommerziellen Bereich gewohnt. Viele Vorgänge zur Prozessbedienung lassen sich mit den Mitteln der Leittechnik direkt in flexible Bausteine und automatisierte Abläufe umsetzen. Der Ansatz der Automation besteht darin, die Situation unmittelbar zu erfassen und die notwendigen Vorgänge ohne den Eingriff des Menschen einzubringen. Dabei steht die Entlastung von Routinearbeiten oder gefährlichen bzw. anstrengenden Tätigkeiten sowie die verbesserte Konsistenz und Qualität der Betriebe im Vordergrund. Auch hier sind Überwachung und erforderliche Anpassungen eng verzahnt. Bestes Beispiel dafür ist eine sicherheitsgerichtete Steuerung, die den Anlagenbetrieb überwacht und in kritischen Situationen die vorgeplanten Aktionen unmittelbar umsetzt. Weitere Beispiele zur automatisierten Überwachung und Führung von Prozessen zeigt die Grafik auf dieser Seite. Der Operator wird auch in automatisierten Bedienvorgängen als letztes Glied der Entscheidungskette einbezogen, weil dynamische und komplexe Veränderungen in der Prozessindustrie häufig nur unzureichend vorhersagbar sind und sie gleichzeitig großen Einfluss auf die Prozessführung haben. Der Aufwand für eine umfassende Einplanung aller denkbaren Grenzsituationen mit entsprechenden Aktionen in ein automatisiertes Prozessführungskonzept ist ökonomisch oft nicht zu rechtfertigen, wenn überhaupt machbar. Lediglich Sicherheitsfunktionen und deren vorgeplante Abschaltungen bilden eine Ausnahme.

Der Lerneffekt sinkt

Die Rolle des Bedieners als wesentlicher Baustein im Regelkreis der Prozessüberwachung und -führung erfordert einen genaueren Blick auf sein in den letzten Jahren stark erweitertes Anforderungsprofil. Entsprechend veränderlichen Marktanforderungen werden die Prozesse flexibler betrieben, der Produktionsfluss ist im Verbund mit Vor- und Nachbearbeitung enger verzahnt und dadurch störanfälliger, Betriebsparameter werden weiter Richtung Grenzwert optimiert, Automationsinhalte kommunizieren in einem komplexer werdenden Netzwerk bei zunehmendem Umfang und vermehrter Vielfalt der Bedienfunktionen. Vor diesem Hintergrund wird der Operator zu einem Verwalter der Wirtschaftlichkeit des Betriebs - neben seiner Hauptaufgabe, den stabilen und sicheren Betrieb zu gewährleisten. Eine Routine bei der Behandlung auftretender Probleme, obwohl latent gefordert, ist aufgrund der üblicherweise automatisierten Vorgänge jedoch nur noch bedingt gegeben. Mehr Automation führt zu weniger Eingriffen durch den Bediener, damit zu weniger Lerneffekten durch Erfahrung und folglich zu mehr Fehlern bei auftretenden Grenzsituationen. Die erhöhte Fehlerrate soll dann wieder durch noch mehr und verbesserte Automation abgefangen werden. Diesem Paradoxon der Automatisierung gilt es durch entsprechende Schulung entgegen zu wirken. Um in einem derart kritischen Umfeld die Übersicht behalten zu können, ist die sachgerechte, der jeweiligen Situation angepasste Darstellung der Prozessinformationen von Bedeutung. Inzwischen ist wohl allgemein anerkannt, dass bei richtiger Verwendung der technologischen Möglichkeiten ein Weniger in den Bediengrafiken ein Mehr an relevanten Informationen ermöglicht. Aussagekräftige neue Grafikelemente wie Multiplot und Trendprofile, situationsbezogen eingeblendet oder abrufbar und zusätzlich unterstützt durch Klartexthilfen, sind Beispiele für sinnvolle Erweiterungen mit neuen Möglichkeiten. Umfangreiche, auf praktischer Erfahrung basierende Empfehlungen und Richtlinien zur sachgerechten Gestaltung von Bildschirminhalten stehen inzwischen zur Verfügung (etwa vom ASM-Konsortium, VDI, Namur und EEMUA), die bei konsequenter Anwendung die Prozessführung mittels Anlagenbilder erheblich verbessern.

Operator verdienen unternehmensweite Alarmphilosophie

�?hnliches ist bei dem Problemfeld der Alarmschauer zu erwarten. Auch wenn in den Betrieben noch nicht in der Breite umgesetzt, ist es mehr und mehr allgemeines Gedankengut, dass die Festlegung von Alarmen auf einer nach Möglichkeit firmenweit abgestimmten Alarmphilosophie beruhen sollte - mit einheitlichen Ansätzen zur Vergabe der Alarmprioritäten und mit der detaillierten Dokumentation der Hintergründe für einen Alarm. Die Rationalisierung von Alarmen und deren notwendige Pflege über die Laufzeit werden kaum mehr in Frage gestellt. der Schritt zur Umsetzung scheitert allerdings noch oft an dem erforderlichen Personalbedarf bzw. den hierfür verfügbaren finanziellen Mitteln. Weiter entwickelte Funktionen der Leittechnik wie Alarm Shelving, dynamische Alarmunterdrückung, Anpassung der Alarmparameter je nach Betriebssituation oder die Pflege der betrieblichen Grenzdaten in einer zentralen Datenbank, inklusive detaillierter Bedienerhilfen, sind einige der inzwischen verfügbaren Möglichkeiten zur Verbesserung der Alarmsituation. In Grenzsituationen können zusätzliche Systemansichten mit Alarm-Trends für ausgewählte Teilanlagen einen schnelleren Überblick verschaffen und zu gezielteren Gegenmaßnahmen beitragen.

Beherrschbare Technik gefragt

Ohne Frage: IT treibt PLT. Neue Technologien drängen aus dem Alltag in das Feld der Prozessbedienung und suchen ihren Anwendungsbereich. Hierzu gehören drahtlos integrierte mobile Bedieneinheiten ebenso wie Smartphones und Tablet-PCs, deren vielfältige neue Funktionen flexiblere Prozessabläufe ermöglichen werden. Darüber hinaus erweitern neue Bedientechniken die Einbindung weiterer menschlicher Sinne als zusätzliche Bedienelemente - wie Gestik, Blick und Sprache. Diese Neuerungen bieten sich vor allem auf solchen Bedienstationen an, die über den Prozessbereich hinausgehen und Web-basiert als anlagen- oder gar firmenweite Kommunikationsplattform dienen. Mit solchen Technologien lässt sich bereichsübergreifende Information und Kommunikation zu umfassender Situationsanalyse und Planung auf Basis von Realzeitdaten realisieren. Neue Technologien können in diesem Umfeld vorteilhaft und weniger kritisch anwendbar sein. Anders verhält es sich bei der direkten Prozessüberwachung und -führung durch den Operator. Eine Übernahme ist nur realistisch, wenn Neuerungen sich bewährt haben, stabiles, eindeutig reproduzierbares Verhalten gewährleistet ist und Funktionen auch in Grenzsituationen immer bedienbar bleiben. Für den Prozessbediener steht die einfache, situationsbedingt angepasste Darstellung und stabile Bedienung im Vordergrund. Die Einführung neuer Möglichkeiten primär aus Gründen der technologischen Attraktivität für neue Bedienergenerationen und weniger aus sachlichen Erwägungen kann nicht ernsthaft der Ansatz einer Vorgehensweise sein.

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