Im Zeitalter von Amazon und Co. verursachen Transporte „auf der letzten Meile“ mehr Emissionen denn je. Gleichzeitig werden die Lieferbedingungen in Großstädten immer schwieriger: Verstopfte Straßen, Feinstaubbelastung, Parkplatzmangel und Zugangsbeschränkungen kennzeichnen den städtischen Verkehr. Linderung könnten Lastenräder mit elektrischem Antrieb bringen. Denn innerstädtisch haben sie trotz ihrer maximalen Geschwindigkeit von 25 km/h viele Vorteile:
Über Distanzen bis zu etwa fünf Kilometer sind sie dank der Vielfalt an benutzbaren Wegen schneller als Autos: Außer Straßen und Fahrradwegen verkehren sie oft auch auf Busspuren oder dürfen manchmal sogar Einbahnstraßen in Gegenrichtung nutzen; Staus lassen sich umfahren. Sie brauchen keinen Parkplatz und haben Zugang zu allen Bezirken. Die Anschaffungskosten sind mit rund 2500 bis 4500 Euro günstiger als die eines Elektroautos. Ihr niedriger Verbrauch (ca. 10 Cent pro 100 Kilometer) schlägt den Energiebedarf eines Autos um Längen.
Post und Paketdienste gehen voran
Bisherige Einsatzerfahrungen stammen vorwiegend von Post-, Paket- und Expressdiensten mit einer Fahrzeug-Nutzlast von 50 bis 180 Kilo. Frank Müller und Christian Hahne, Inhaber des Lastenrad-Herstellers Urban-e, sind davon überzeugt, dass es noch viel mehr Einsatzfelder gibt: Handwerker, der Einzelhandel, Baumärkte, Stadtwerke, Kurierdienste und regionale Anbieter mit Online-Geschäft. Sauberer Transport verbunden mit „on-time delivery“ erschließe ganz neue Geschäftsfelder. Den ersten Vernetzungsschritt habe man bereits durch die Kooperation mit dem Münchner Startup Tiramizoo.com gemacht, einer neuen überregionalen Buchungsplattform für emissionsfreie Transporte.
Liefern - aber bitte ohne Emissionen!
Ins Leben gerufen hat das emissionsfreie Lieferkonzept im Jahr 2011 der Franzose Gilles Manuelle. Der Unternehmer ist davon überzeugt, dass bisherige Transportsysteme in Innenstädten uneffizient und umweltbelastend sind. Als Alternative gründete er La Petite Reine („die kleine Königin“, der französischer Spitzname für Fahrräder) und bietet ausgehend von zentralen Micro-Consolidation-Zentren (Paket-Sammelstellen, die von Lkws beliefert werden) die Endlieferung in die Innenstadt an. Elektro-Vans ergänzen die Flotte.
Das erfolgreiche Geschäftsmodell begann mit 60 elektrischen Lastenrädern und expandierte landesweit. Inzwischen liefert Manuelle in Paris, Bordeaux, Rouen und Dijon und kooperiert mit DHL Express France. Pro Jahr transportiert das Unternehmen eine Million Pakete und spart rund 90 Tonnen Benzin. Die erste Franchise-Filiale im Ausland startete 2008 in Genf mit TNT als Hauptkunden.
Sämtliche Filialen verwenden elektrische Dreiräder von Levolo (vorwiegend Cargocycle V2), die in der Regel ein Ladevolumen von 180 Kilo (1400 Liter) mit wetterfestem Ladeaufsatz und 30 km Reichweite haben (siehe Abbildung 5).
In London arbeitet GnewtCargo seit 2009 nach gleichem Prinzip und ist ebenfalls auf Expansionskurs. Ein Hauptkunde ist TNT. Derzeit fahren sechs E-CargoBikes und fünf E-Vans. Nach den Erfahrungen der Briten transportiert ein elektrisches Lastenrad täglich etwa eine halbe Tonne und ist - trotz seiner maximalen Geschwindigkeit von 12 km/h (vollbeladen) - eines der schnellsten Fahrzeuge in London.
In den letzten zwei Jahren habe er lediglich einen Motor austauschen müssen, so Inhaber Matthew Linnecar. „Wir arbeiten für einen der größten Paket-Verteiler, und sie sind sehr zufrieden”. Die Universität Westminster wies in einer Studie die Wirtschaftlichkeit und Effizienz dieses Lieferkonzepts nach und bescheinigt, dass in Gebieten mit hoher Kundendichte und einem Micro-Consolidation-Center die CO 2-Belastung pro Paket um 62 % reduziert werde, bei einer durchschnittlichen Streckenreduzierung pro Paket von 54 %.
Elektrische Lastenräder in Deutschland
Auch in Deutschland liefern einige Großstadtkuriere emissionsfrei. Ein Beispiel ist der Berliner Kurierdienst Messenger, der 2009 ein iBullitt von Urban-e (Abb. 1) mit einer Nutzlast von 70 kg und 100 km Reichweite für die speziellen Anforderungen fertigen ließ. „Wir wollten damals ein Fahrzeug, das kein herkömmliches Fahrrad und kein Kleinauto ist und ein größeres Gewicht an Lasten wetterfest und umweltfreundlich transportieren kann“, kommentiert Dirk Brauer, Projektleiter CargoBikes. Der Prototyp fährt bereits seit 20 Monaten im täglichen Einsatz und feierte kürzlich den 25.000sten Kilometer bei 11 Tonnen transportierter Ladung. Mit dem iBullitt werden Touren effizienter. 30 iBullitts könnten 20 Kleinautos in der Flotte ersetzen, meint Brauer - das sei eine Frage des Geldes, denn Kuriere seien meist selbständige Subunternehmer.
Postdienste sind elektrisiert
Briefe und Päckchen werden vom „Briefträger“ in Ladungen von meist 50 Kilo auf rund 15 bis 25 km langen Touren mit vielen Stopps an die Empfänger geliefert. Die Deutsche Post verwendet seit 2002 E-Lastenräder und hat bereits eine Flotte von 6000 Pedelecs verschiedener Generationen. Die Räder haben eine Reichweite von rund 15 km und ersetzen Kleinautos in der Postlieferung. „Die Tatsache, dass wir weiterhin in diese Form des Transports investieren, zeigt, dass sie unsere Anforderungen unter anderem an Effizienz und Verlässlichkeit erfüllen”, sagt Daniel McGrath, Sprecher der Deutsche Post DHL. In Frankreich verfügt Le Groupe La Poste mit 10.000 elektrischen Lastenrädern (Cycleeurope/Gitane) über die größte derartige Flotte und erweitert sie kontinuierlich.
Zu Wettbewerbern der E-Lastenräder entwickeln sich E-Scooter dank der Adaption an die Nutzlastinteressen der Branche. So hat die Schweizerische Post jahrelang Erfahrung im Einsatz mit Scootern, die täglich 50 bis 100 kg Post und Pakete in Städte und das Umland liefern (Abb. 2). Sie rüstet diese Flotte seit 2006 kontinuierlich mit zwei- und dreirädrigen E-Scootern auf. Derzeit sind das bereits rund 2000 elektrische Fahrzeuge. Damit verfügt der „Serviceprovider of the year 2011“ über die größte E-Scooter-Flotte Europas. Die 1400 Zweiräder der Marke Oxycen und rund 500 Dreiräder der Marke Kyburz DXP sollen bis 2016 die gesamte Flotte ersetzen.
„Die Reichweite von rund 25 Kilometern - vollbeladen und mit Anhänger - reicht aus“, betont Unternehmenssprecher Mario Masserini. „Wir konnten bereits einige Zwischendepots abbauen“. Optional mit Anhänger bewältigen die neuen E-Scooter eine ansehnliche Nutzlast von 270 kg. DXP-Roller werden in den Berggebieten eingesetzt, weil sie am Berg sicherer und effizienter seien: Die Feststellbremsen halten auch am Berg, ersparen dem Auslieferer das Aufständern und damit körperliche Belastung.
Alle Mitarbeiter absolvieren eine Eco-Drive-Schulung für energieeffizientes Fahren, die auch die langjährige Funktionsfähigkeit der E-Scooter fördern soll. Und die Energierechnung kann sich sehen lassen: Während die Zweitakter mit Ladung rund 6 bis 7 Liter Benzin auf 100 km verbrauchen, sind das beim Modell Kyburz DXP über die gleiche Distanz nur rund 10kWh oder 1 Liter Benzinäquivalent. Seit 2008 bezieht das Unternehmen Strom aus erneuerbaren Quellen (Wind- sowie Wasserkraft) und produziert seit 2011 selbst Solarstrom.
Paket-und Expressdienste in den Innenstädten
Aufgrund der Paketvolumina benötigen Paket-Auslieferer primär Großfahrzeuge, auch wenn wegen der innerstädtischen Lieferbedingungen für sie ebenfalls Räder mit Elektrounterstützung interessant werden. UPS (United Parcel Service, Abb. 4) und DPD (Dynamic Parcel Distribution, Abb. 3) testen Lastenräder für „spezifische Lieferorte“. TNT liefert bereits in Genf und London emissionsfrei, DHL Express wie erwähnt in sechs französischen Städten. 2010 bewegte DHL Express France auf diese Art und Weise rund 63.000 Schiffsladungen Pakete auf rund 62.000 Kilometern und sparte dabei etwa 6000 Liter Diesel.
Nathalie Marinic von DHL-Communications International betont, „dass trotz der sehr positiven Erfahrungen mit den Rädern aufgrund des hohen Lieferaufkommens nicht alle Städte komplett mit Elektro-Lastenrädern beliefert werden könnten.“ Eine gemischte Fahrzeugflotte aus E-Lastenrädern, E-Vans und großen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor sei aus DHL-Sicht sinnvoll. Limitierend erlebt das Unternehmen bergige Gebiete und die Distanz zwischen seinen Terminals und den Adressaten.
Branchenspezifische Anforderungen im Fokus
Die vielfältigen Modelle elektrounterstützter Lastenräder werden immer besser an branchenspezifische Anforderungen angepasst. Entsprechend steigen Akzeptanz, Einsatzfelder und Einsatzhäufigkeit. Das wichtigste aus Sicht der Branchen sind Ladefläche und Nutzlastvolumen. Für die Paket-Logistik gilt: je mehr desto besser. Ein optionaler Anhänger erhöht die Nutzlast. Ob die Ladefläche beziehungsweise Ladebox sich vor oder hinter dem Fahrer befinden, ist Ansichtssache. Der Brite Linnecar meint „pulling is easier than pushing“. Andere Kuriere möchten die Ladung vor sich im Blick haben und nehmen geringere Ladevolumina in Kauf.
Die Ansprüche an das Handling der Transportboxen sind vielfältig: einhändiges Öffnen des Deckels, manuell oder mit Chipkarte, nach vorne öffnend, so dass die Box von beiden Seiten zugänglich ist, wetterfestes Material und so weiter. Die Nutzlast reicht von 50 bis 180 kg, zum Teil sind sogar 300 kg gefordert. Das Bremssystem der Räder muss das Gewicht dann auch am Berg sichern. Leichtes Handling, ein gutes Fahrgefühl, die Langlebigkeit der elektrischen Komponenten sowie ein guter Servicepartner für technische Störungen sind Qualitätsmerkmale, die die Akzeptanz und Zufriedenheit der Nutzer steigern. Praktisches Zubehör wie iPhone- und Scanner-Halter, USB- und 12-Volt-Anschluss werden angeboten.
Weitere Informationen
[1] J. Leonardi et al: Cargocycle trial evaluation. University of Westminster, London (2010). http://gnewtcargo.co.uk/wp-content/uploads/2010/08/uow_cargocycle_trialevaluation.pdf