Organoide sind Zellverbände, die sich ähnlich wie ein Organ verhalten. An ihnen lässt sich die menschliche Organentwicklung genau studieren, neurologische Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Schizophrenie gezielt erforschen. Außerdem können mithilfe der Organoide Medikamente direkt am menschlichen Gewebe getestet und Tierversuche somit reduziert werden.
Die Forschungsgruppe rund um Jürgen Knoblich am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat kürzlich ein neues Modellsystem für Hirntumoren entwickelt. Das Novum: Die Technologie ermöglicht es, den Prozess der Krebsentstehung im Gehirn nun in der Petrischale nachzuspielen. Die Forscher können dadurch praktisch dabei zusehen, wie einem Organoid ein Tumor wächst. Das könnte eine treibende Rolle in der Krebsforschung spielen.
Mutationen verstehen
Mutationen sind genetische Defekte, die durch natürliche Fehler beim Kopieren von DNA, durch die Aktivität von Krebsgenen oder andere Ursachen entstehen. Sie lösen bei gesunden Zellen schwerwiegende Veränderungen aus, die dazu führen, dass sie außer Kontrolle geraten und sich erstaunlich schnell teilen. Doch jedes Mal, wenn sich eine solche Zelle teilt, kann sie neue Mutationen erzeugen, was die Wissenschaftler vor ein Rätsel stellt. „Einige dieser Mutationen sind Triebkräfte in Tumoren, sie entscheiden, ob Krebs entstehen wird", sagt Shan Bian, Erstautor der Studie. Andere seien einfach Nebenwirkungen. „Diese unterschiedlichen Mutationen in menschlichem Gewebe gezielt zu erfassen, war bis dato ein Problem."
In einer Veröffentlichung in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature Methods berichtet die Forschungsgruppe über die neoplastischen Gehirn-Organoide, die sie zur Untersuchung von Gehirntumoren entwickelt haben. „Diese kleinen Organoide reproduzieren einzigartige Aspekte des menschlichen Gehirns detailgetreu, wie zum Beispiel seine verschiedenen Zelltypen und Entwicklungsstadien. Sie erlauben uns daher, die Art und Weise, wie Tumoren entstehen, nachzuvollziehen und bieten ein System, um neue Therapien zu erproben,“ so Jürgen Knoblich, Interimistischer Wissenschaftlicher Direktor am IMBA und Letztautor der Studie.
Aus Gendefekten Therapien entwickeln
Durch Genom-Editing-Systeme wie etwa CRISPR/Cas9 und sogenannte Sleeping-Beauty-Transposons werden Mutationen, die häufig bei Krebspatienten gefunden werden, in die Zellen gebracht. So können einzelne Gene oder Genkombinationen geändert werden: Manche Gene werden abgeschaltet, während die Aktivität von anderen Genen erhöht wird, und zwar unabhängig von bekannten Gendefekten. So wollen die Forscher zwischen krebsauslösenden und weniger gravierenden Mutationen unterscheiden.
Sobald sich ein Tumor entwickelt hat, können bestimmte Mutationen genau unter die Lupe genommen werden, um festzustellen, ob der jeweilige Gendefekt auch für das langfristige Überleben des Tumors essentiell ist. Denn jede genetische Veränderung, die dazu führt, dass der Tumor schrumpft oder verschwindet, könnte ein guter Kandidat für zukünftige Therapien sein.
Personalisierte Krebsmedizin
Die Wissenschaftler testeten dieses Prinzip mit einem Medikament namens Afatinib, das derzeit in klinischen Studien zur Behandlung der besonders gefürchteten Glioblastomen eingesetzt wird. Sie fanden heraus, dass nach 40 Tagen Verabreichung des Medikaments die Anzahl der Tumorzellen in jenen zwei Mutationskombinationen signifikant zurückging, in denen ein Molekül namens EGFR überexprimiert wird - denn Afatinib hemmt EGFR. Die ForscherInnen wiederholten das Experiment mit vier zusätzlichen Wirkstoffen, die EGFR hemmen und derzeit in Therapien zum Einsatz kommen. Während ein Medikament namens Erlotinib die Anzahl der Tumorzellen signifikant reduzierte, waren die Effekte anderer Wirkstoffe minimal.
„Diese Ergebnisse zeigen, dass Gehirn-Organoide auch einen erheblichen Nutzen für die Krebsforschung beziehungsweise die öffentliche Gesundheit haben", sagt Jürgen Knoblich. „Vor allem, weil es nun möglich ist, Organoide von Patienten mit Gehirntumoren herzustellen und daran die Wirksamkeit verschiedener Therapie-Kombinationen zu testen." Ein wichtiger Schritt wäre es nun, weitere klinische Partnerschaften zu fördern.