Mobility 2.0: Herr Maus, mehr als ein Vierteljahrhundert haben Sie sich mit Abgasreinigung beschäftigt. Was motiviert Sie, sich jetzt neuen Kraftstoffen zu widmen?
Wolfgang Maus: Als wir mit der Entwicklung von Abgaskatalysatoren begannen, war unsere Vision, Autos zu bauen, mit denen man die Luft reinigt. Für die klassischen Abgasschadstoffe ist das heute nahezu erreicht. Aber für CO2 gilt das natürlich nicht.
Deswegen treibt die Automobilindustrie ja intensiv die Entwicklung von Elektroautos voran.
Leider ist das kein alleiniger Lösungsweg. Denn auf absehbare Zeit wird weltweit ein guter Teil des Stroms in Kohlekraftwerken erzeugt. Dabei entsteht als „Abfallprodukt“ immer CO2. Außerdem werden mindestens in den nächsten 15 Jahren elektrische Energiespeicher nicht annähernd die Energiedichten erreichen, die wir von flüssigen Kohlenwasserstoffen kennen. Für viele Mobilitätsanwendungen reicht das nicht.
Aber der Anteil von Wind- und Sonnenstrom steigt beständig...
...und damit das Problem, dass wir auch hier immer mehr „Abfall“ erzeugen, Strom nämlich, für den es keine Nachfrage gibt. Da liegt es doch nahe, darüber nachzudenken, wie man die überschüssigen Stoff- und Energieströme nutzen kann, um wieder etwas Nützliches zu produzieren. Mit unserem CWtL-Verfahren tun wir genau dies: Wir nutzen überschüssigen Strom aus „Erneuerbaren“, um aus CO2 wieder Benzin- oder Dieselkraftstoffe zu produzieren.
Aber funktioniert das denn?
Wir nutzen drei Verfahrensschritte, die alle bereits großtechnisch erprobt sind: Zunächst produzieren wir mit dem überschüssigen Strom per Elektrolyse reinen Wasserstoff. Den nutzen wir im zweiten Schritt, um aus dem CO2 Methanol zu produzieren. Methanol ist wiederum ein guter Ausgangsstoff, um andere flüssige Kohlenwasserstoffe wie Benzin oder Diesel zu produzieren.
Und woher stammt das CO2 für diesen Prozess?
Das gewinnen wir per Abscheidung im Kohle- oder Gaskraftwerk selbst. Das Besondere dabei: Normalerweise senken solche Sequestrierungsverfahren den Wirkungsgrad des Kraftwerks deutlich. Nicht so, wenn wir ein Oxyfuel-Kraftwerk bauen: Dabei nutzen wir den Reinsauerstoff, den wir wiederum als Abfallprodukt aus der Elektrolyse übrig haben. Ein völlig geschlossener Kreislauf! Im übrigen entsteht bei der Stahl- und der Zementproduktion eine Menge CO2, selbst in einer Welt, die ausschließlich auf Wind- und Sonnenstrom bestünde. Auch dieses CO2 kann man abscheiden und rezyklieren.
Wo sehen Sie denn technisch die größte Unwägbarkeit?
Wie gesagt, handelt es sich um grundsätzlich erprobte Einzelverfahren, die wir hier verketten. Ein noch nicht gelöster Punkt ist ein Elektrolyseverfahren, bei dem Wasserstoff in stark und schnell schwankenden Mengen produziert werden kann. Das benötigen wir, wenn wir für die Wasserstoffproduktion tatsächlich nur regenerativen Strom einsetzen wollen.
Der Wirkungsgrad dürfte angesichts der langen Prozesskette bescheiden ausfallen.
Er ist viel besser, als man denkt. Ersten Abschätzungen zufolge können wir auf der Kette vom Strom bis zum Kraftstoff rund 50 Prozent der Energie erhalten, sofern wir die direkte Methanolsynthese nutzen und keinen Zwischenschritt über Methan gehen.
Und als Endprodukte können dann sowohl Benzin- als auch Dieselkraftstoffe entstehen?
Wenn man Methanol erzeugt hat, steht jeder Weg offen, wobei verschiedene Technologien miteinander konkurrieren. Sicher ist: Wir können synthetisches Benzin und dieselähnlichen OME – Oxymethylenether – herstellen.
Können diese synthetischen Kraftstoffe in heutigen Motoren verbrannt werden?
Grundsätzlich sind solche Kraftstoffe beimischungsfähig, man würde also anfangs 10 oder 20 Prozent zumischen. Dann kommen die Eigenschaften synthetischer Kraftstoffe der Verbrennung sogar sehr entgegen. Nehmen wir OME: Es hat einen deutlich höheren Sauerstoffgehalt, besteht aus nur einer Molekülart und verbrennt daher besonders sauber. Dadurch dass weniger Stickoxide und Partikel entstehen, können wir vielleicht sogar weniger aufwendige Abgasreinigungstechnik einsetzen. Hierzu bedarf es allerdings noch weiterer Forschung.
Führt nicht der höhere Sauerstoffgehalt auch dazu, dass der volumetrische Verbrauch steigt?
Ja, aber das ist ja nur der Verbrauch auf dem Papier! Die CO2-Emissionen wären nahezu null, und zwar über die gesamte Kette von der Erzeugung bis zur Nutzung im Fahrzeug. Das unterscheidet das CWtL-Verfahren ja auch von der Elektromobilität.
Was spricht eigentlich dagegen, Methanol direkt als Kraftstoff zu verwenden?
Methanol ist toxisch, auch bei Hautkontakt, verdunstet gut und ist sehr leicht entflammbar. Aus meiner Sicht ist es daher nur für hochprofessionellen Gebrauch geeignet, nicht aber für den Einsatz auf öffentlichen Straßen.
Reden wir über Geld: Was kostet ein Liter CWtL-Kraftstoff?
Die Herstellkosten sind vor allem vom Strompreis abhängig – und der schwankt natürlich stark. Wir rechnen aber bei einer großtechnischen Umsetzung mit Erzeugungskosten von etwa einem Euro pro Liter. Das ist zwar deutlich mehr als heutige mineralölbasierte Kraftstoffe kosten, aber deren Preise werden mittel- bis langfristig durch steigenden Bedarf und aufwendigere Fördermethoden weiter steigen. Sollte das Interesse steigen, regenerativ erzeugte überschüssige Strommengen mit dem CWtL-Verfahren zu speichern, können Kraftstoffpreise von 70 bis 80 Cent pro Liter erwartet werden. Im übrigen: Die Produktion von nachhaltigen Biokraftstoffen der zweiten Generation ist weitaus teurer.
Wie schnell kann denn Ihre Vision Wirklichkeit werden?
Ich bemerke mittlerweile sehr ernsthaftes Interesse der Politik – insbesondere im Energieland Nordrhein-Westfalen – daran, die weitere Erforschung einer stofflichen Kohlendioxid-Wiederverwertung zu unterstützen. Deutlich wird dies anhand eines vom ThyssenKrupp initiierten Projektes, bei dem Kohlendioxid aus Hüttenabgasen einer Verwertung in der chemischen Industrie zugeführt werden soll. Die Produktion von Methanol wird dabei explizit als eine Möglichkeit genannt.
Und was folgt jetzt konkret?
Der nächste Schritt wäre, eine Pilotanlage zu errichten, die die grundsätzliche technische Realisierbarkeit beweist. Ich bin zuversichtlich, dass dies noch in diesem Jahrzehnt passieren wird.
Das Gespräch führte Johannes Winterhagen für Mobility 2.0