Herr Lau, welche Anforderungen stellen Anwender heutzutage an Prozessleitsysteme?
In der Prozessindustrie wird der Ruf nach mehr Flexibilität und modular aufgebauten Anlagen immer lauter. Dies hat zur Folge, dass auch ein Prozessleitsystem die Anforderung an flexible, modulare Prozessanlagen vollumfänglich unterstützen muss – ohne die hohen Anforderungen an Verfügbarkeit und Datenkonsistenz zu verlieren. Auf der einen Seite steigen also die Anforderungen an Verfügbarkeit und Transparenz, auf der anderen Seite ist die Flexibilität und Leistungsfähigkeit aus dem Maschinenbau nötig.
Welche Strategie verfolgen Sie, um diese Anforderungen zu erfüllen?
In unserem Prozessleitsystem Aprol sind Funktionen integriert, die eine höhere Skalierbarkeit des Systems ermöglichen – ohne Funktionsumfänge zu verlieren. Außerdem bieten wir mit Aprol ein System, das sowohl auf kleinen als auch großen Anlagen läuft. Dies liegt an den Funktionspaketen und der erweiterten Prozessführung, die in der Grundsoftware verankert sind. Das gibt es so auf dem Markt noch nicht.
Neben Flexibilität fordern Anwender aber auch eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit sowie das schnellere Erkennen von Störungen. Unterstützt B&R die Anwender hierbei?
Im System selbst haben wir die Möglichkeit über einzelne Set-Abfragen auf unserem Runtime-System und den Controllern den Zustand abzufragen. So ist zu erkennen, ob beispielsweise die Ressourcen der Festplattenspeicher erreicht sind oder ob das System an seiner Auslastungsgrenze fährt. Wir haben Funktionen integriert, die die Laufzeit und Wartungsintervalle überwachen. Mit der Integration von FDI- und DTM-Technologie bietet Aprol auch die Möglichkeit, sämtliche Wartungsinformationen von Feldgeräten direkt im System auszulesen und zu verarbeiten.
B&R ist kürzlich mit dem Release 4.0 von Aprol auf den Markt gekommen. Sie setzen dabei auf Advanced Process Control, kurz APC. Warum?
Nur durch permanente Optimierung des Produktionsprozesses kann ein Unternehmen heute im globalen Wettbewerb bestehen. Dazu sind innovative Strategien für die Prozessführungen notwendig, die über die normalen PID-Regelungen hinausgehen. Durch den Einsatz von Advanced Process Control kann der Anwender Durchsatz, Wirkungsgrad, Produktqualität sowie Energie- und Rohstoffkosten optimieren.
Nun heißt es aber, Advanced Process Control sei teuer und kompliziert.
In der Vergangenheit war diese Aussage richtig. Seit der Einführung von Aprol APC ist der Einsatz von Advanced Process Control aber auch jenseits großer und komplexer Anlagen rentabel. Wir haben Control-Module für gehobene Regelungsfunktionen bereits in die Standardbibliothek integriert. Dazu gehören unter anderem die modellprädiktiven Regelungen (MPC). Mit der Erweiterung der Bibliothek auf das komplette APC-Paket bieten wir die gesamte Bandbreite an Advanced-Process-Control-Regelungen und -Funktionen an. Die modellbasierte Regelung, die ein Muss für eine effiziente Steuerung eines Prozesses ist, steht so auch Betreibern kleiner und mittlere Anlagen zur Verfügung. Das geht natürlich nur, wenn solche Regelungsmodelle auf der Standard-SPS laufen können, wie das bei uns der Fall ist. Bei einem MPC-Controller reicht eine Parametrierung mit Grenzwerten allein nicht aus. Daher bieten wir Schulungen an, bei denen die Teilnehmer lernen, Regelmodelle zu entwickeln, um modellprädiktive Regler optimal einzusetzen. Nur so lassen sich komplexe Prozesse effizient steuern. Bei der Abwägung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses sollte bedacht werden, dass auch das richtige Einstellen von PID-Reglnern anspruchsvoll ist. Erhebungen haben ergeben, dass nur ein Drittel aller eingesetzten PID-Regelungen sauber und ordentlich ausregelt ist. Zwei Drittel sind fehlerhaft oder werden zum Großteil von Hand gefahren.
Was hat sich mit dem Release 4.0 von Aprol neben der voll verfügbaren Controller-Redundanz noch verbessert?
Wir haben Erweiterungen im Engineering und der Process-Automation-Bibliothek vorgenommen. Zudem haben wir die Möglichkeit der Standardisierung von Anlagenteilen mittels objektorientierten Projektierens weiter ausgebaut. Auch die neuesten Anforderungen der Annex-11-EU-Richtlinie zur erweiterten Nachvollziehbarkeit haben wir in unsere Bibliothek bereits integriert. Ein besonderes Augenmerk bei Release 4.0 liegt auf den Reporting-Funktionen. Durch die Integration der Business Intelligent Suite von Jaspersoft und die Erweiterung unserer Datenimport-Schnittstellen kann jede Art von Fertigungs- und Prozessreport schnell erstellt werden. Mit dem Multi-Runtime-Server-Konzept sind wir in der Lage, große Projekte in unabhängige Teilprojekte aufzuteilen und auf unabhängige Runtime-Server zu verteilen – ohne den Zusammenhang der Teilprojekte im Gesamtprojekt zu verlieren. Der Anwender kann auch in komplexen Prozessen eine modulare Verteilung des Projekts vornehmen.
Mit welchen Verbesserungen können Anwender beim nächsten Hauptrelease rechnen? Können Sie das jetzt schon sagen?
In der Regel liegen zwischen zwei Hauptreleases drei Jahre. Es gibt natürlich schon jetzt eine erste Entwicklungs-Roadmap für die neue Version. Es ist aber noch zu früh, über Einzelheiten zu sprechen. Sie können davon ausgehen, dass wir den Funktionsumfang unserer Bibliotheken deutlich ausbauen und das Engineering in Verbindung mit modernen Planungstools noch verbessern werden. Und natürlich wird da auch das Thema Industrie 4.0 eine wichtige Rolle spielen.
Stichwort Industrie 4.0 – unterstützt Aprol den Anwender schon jetzt auf dem Weg zur Smart Factory?
Eine moderne Fertigung muss künftig auf alle Kundenwünsche individuell eingehen können. Dabei sollten die Fertigungsschritte optimal aufeinander abgestimmt werden. Wir sprechen auch von der vertikalen und horizontalen Integration der richtigen Automatisierungslösung. Mit den Aprol-Solution-Paketen wird die notwendige Maschinen- und Produktionstransparenz realisiert. Damit bieten wir bereits heute das Rüstzeug für Industrie 4.0. Die Aprol-Lösungskonzepte Energy Monitoring, Condition Monitoring und Process Data Acquisition basieren allesamt auf dem Prozessleitsystem Aprol und sind als Stand-alone-Lösung oder in Kombination einsetzbar. Das gibt dem Anwender die Möglichkeit, auch bestehende Anlagen schrittweise für die Zukunft anzupassen und das System zu erweitern. Außerdem hat Aprol bereits wichtige MES-Funktionalitäten integriert und bietet die Datenbankschnittstellen zur Kopplung an übergeordnete ERP-Systeme. Über Aprol können Daten in Management-Systeme eingespeist, aber auch Aufträge und Parameter empfangen werden. Die nicht vorhandene Schnittstelle zwischen Maschine und Prozessdaten – ein großes Problem in der heutigen Zeit – lösen wir damit auf.