Woher kommt die Mär, dass die Prozessindustrie der Digitalisierung und Vernetzung hinterherhängt?
Hennecke:
Das ist in der Tat ein Märchen, denn von der Unternehmensführung bis zur Prozesssteuerung findet die Digitalisierung statt. Was der Prozessindustrie fehlt, ist eine durchgängige Physik, die das Netzwerk in das Feld der Prozessanlage erweitert, um an die in den Feldgeräten schlummernden Datenschätze heranzukommen. Möglichen Umbauten und Modernisierungen steht das hohe Sicherheitsbewusstsein gepaart mit hohen Anforderungen an die Anlagenverfügbarkeit entgegen. Das sind echte Herausforderungen für die Betreiber.
Ethernet-APL ist also die Chance für die Prozessindustrie sich diese Mehrwerte zu erschließen?
Hennecke:
Auf jeden Fall! Und nicht nur die Messwerte, die mit höherer Genauigkeit übertragen werden. Vom Controller oder Edge-Device bis hin zum Feldgerät – mit Ethernet sprechen alle Geräte die gleiche Sprache. Der Switch als Übertragungstechnologie und das vermittelnde Medium tätigen nur noch die Media-Konvertierung.
Die Mehrwerte liegen klar auf der Hand.
Hennecke:
Mit diesen Informationen entsteht ein Mehrwert bei der Arbeit mit den Feldgeräten. Ethernet-APL bietet die Bandbreite, mehrere Protokolle zeitgleich zu übertragen. Im laufenden Betrieb können dann auf Anforderung zum Beispiel Backups der Gerätekonfiguration erzeugt oder in ein Austauschgerät eingespielt werden. Ohne ein Netzwerk im Feld sind das manuelle Prozesse, die ein entsprechendes Können der Mannschaft und arbeitsintensive Betriebsverfahren benötigen. Diese Einfachheit ist sehr überzeugend.
Welche Bedenken sprechen denn von Seiten der Anwender gegen APL?
Hennecke:
Entgegen meiner eigenen Erwartung finde ich eine hohe Akzeptanz in meinen Gesprächen mit Kunden. Ethernet als Netzwerkinfrastrukturstandard, mit der wir beruflich und privat täglich umgehen, ist allgemein akzeptiert. Insofern sehe ich, dass Ethernet-APL bei Neuanlagen und Erweiterungen schnell Einzug halten wird. Etwas anders verhält es sich mit Brownfield-Projekten.
In Brownfield-Projekten der Prozessindustrie ist 4…20 mA noch ein sehr vorherrschender Standard …
Hennecke:
Hier bleibt die Gerätetechnologie mit 4…20 mA, die durchgängig das HART-Protokoll unterstützen, im Einsatz. Remote I/O bilden hierfür die Brücke und konvertieren die HART-Daten in ein Ethernet-basiertes Protokoll wie beispielsweise HART IP oder OPC UA. Diese Technologie ermöglicht den Zugriff auf Diagnose-, Wartungs- und Alarminformationen, die unabhängig von der Steuerung erfolgt.
Rauscher:
Genaugenommen setzt OPC UA die Ethernet-Technologie voraus, um Datenplattformen anzubinden. Mit Ethernet ist man hier also auf einem gemeinsamen Nenner.
Gibt es mit Ethernet-APL noch technische oder sicherheitskritische Einschränkungen gegenüber 4…20 mA?
Hennecke:
In den Verkaufsgesprächen werden generell keine Fragen zu der Technologie selbst gestellt. Die Anwender möchten nicht wissen, welche elektrischen Signale wir nutzen. Die Kunden vertrauen den Lieferanten der Prozessindustrie und uns bezüglich der Zertifizierung. Der Anwender stellt hingegen Rückfragen, wenn es darum geht, wie die Technologie hilft, Probleme zu lösen. Hier werden konkrete Aufgabenstellungen, wie sie im Prozess vorkommen, besprochen – beispielsweise zu Geräteerkennung und -tausch. Das PA-Profil ist der einfachste Weg, um einen Gerätetausch zu realisieren. Und genau dies ist die Einfachheit, die die Anwender suchen und die sie mit Ethernet-APL als Übertragungsgrundlage auch erhalten.
Das Spannende daran ist, dass im Prinzip mit zwei Lösungssträngen parallel gearbeitet wird: Remote I/O bindet die alte Welt ein, gleichzeitig wird mit Ethernet-APL die Prozessindustrie auf ein neues Level gehievt.
Rauscher:
Richtig – und dies ist auch nötig, da man Anlagen im Brownfield nicht von heute auf morgen auf Ethernet-APL umstellen kann. Die Kosten dafür wären einfach zu hoch.
Hennecke:
Die Medienkonvertierung des APL Rail Field Switch bindet darüber hinaus auch Profibus PA ein. So sind alle Kommunikationstechnologien in einem Feldverteiler abbildbar. Genau nach dieser Einfachheit haben unsere Anwender gesucht – nach einer konsistenten Oberfläche, die Daten sammelt und übersetzt.
Welcher Schritt ist für eine erfolgreiche Datenkonsolidierung entscheidend?
Rauscher:
Wie in der Fabrikautomation geht es darum, die Daten nutzbar zu machen. Hierfür werden Datenmodelle benötigt, die in Datensilos die Daten mit einer Semantik aufbereiten. Und genau dieser Schritt ist entscheidend, damit aus der Vielzahl von Daten Informationen gewonnen werden können.
Aber beginnt dieser Schritt nicht schon eine Ebene tiefer? Der Sensor liefert dem Anwender im Idealfall doch schon die Daten strukturiert…
Hennecke:
Die Lebensdauer der Anlagen von 20 oder 40 Jahren erfordert, die Daten aus verschiedenen Anlagen, die wiederum mit verschiedenen Generationen von Kommunikationstechnologien arbeiten, zu konsolidieren. Um den hier gewonnen Daten eine Bedeutung zu geben, muss die Übersetzung für ältere Technologien wie 4…20 mA an einer anderen Stelle etwa in einem Remote I/O oder einem Edge-Gateway geschehen. Bei den neueren Protokollen haben Sie Recht: In einem Feldgerät mit schneller Kommunikation kann die Umrechnung bereits im Gerät erfolgen.
Ist der Kunde denn überhaupt an Semantik und Datenmodellen interessiert? Will er nicht einfach nur seine Messwerte bekommen?
Rauscher:
Nur Messwerte alleine sind den Anwendern von heute zu wenig. Sie brauchen gesamtheitlich aussagekräftige Sichten auf ihre Anlagen, in denen Komponenten von verschiedenen Herstellern verbaut sind. So etwas können nur Unternehmen leisten, die alle gebräuchlichen Technologien beherrschen und mittels standardisierter Beschreibungsmodelle Interoperabilität bieten können.
Wie geht es für den Kunden weiter, wenn er die Daten gewonnen hat?
Rauscher:
Wir unterstützen die Kunden auf vielfache Weise. Beispielsweise bieten wir einen einfachen Weg zu FDT/FDI-Gerätebeschreibungsdateien, um aus Feldgeräten IIoT-Devices zu machen. Wir unterstützen aber auch klassische Mehrwert-Anwendungen wie Asset Management, Condition Monitoring bis hin zu Predictive Maintenance.
Wie verhält es sich neben der Kommunikationstechnologie mit der Analyse der gewonnen Rohdaten?
Rauscher:
Die Kunden möchten natürlich Mehrwerte aus den gewonnenen Daten generieren, sonst würden sie den Aufwand ja nicht betreiben. Systeme für solche Anwendungen werden von einer ganzen Reihe namhafter und erfahrener Unternehmen angeboten. Für die bei der Umsetzung häufig auftretenden Lücken – beispielsweise beim Anbinden von SAP-Systemen – hat unser Tochterunternehmen Neoception dann die Lösungen.
Warum sollte sich ein Anwender für
Pepperl+Fuchs entscheiden?
Hennecke:
Menschen wenden sich an
Pepperl+Fuchs, weil wir uns mit der Prozessanlage und ihrer Infrastruktur seit Jahrzehnten beschäftigen und uns mit Explosionsschutz sehr gut auskennen. Bei allen Aufgabenstellung helfen wir den Anwendern mit unserer Lösungskompetenz und dem breiten Portfolio. Deswegen genießen wir als Lieferant bei unseren Kunden ein großes Vertrauen.