Seit Jahrzehnten leistet die Prozessindustrie in zahlreichen Ländern weltweit einen wichtigen wirtschaftlichen Beitrag. Ausgehend von den ersten prozessindustriellen Anwendungen bis zu den Anlagen der Gegenwart hat sich Vieles in der Branche geändert. Zu den Einflussfaktoren des Wandels zählen die Digitalisierung, Energieeffizienz und Standardisierung, die aktuell teilweise immer noch wirken. Darüber hinaus kommt sowohl derzeit als auch in Zukunft weiteren Themen eine große Bedeutung zu, beispielsweise dem Trend zu ständig mehr Flexibilität und Skalierbarkeit in den industriellen Fertigungsprozessen, zur wachsenden Offenheit im Hinblick auf die Integration verschiedener Automatisierungshersteller sowie zu stetigem Kostendruck.
Autarke Ausführung von Teilprozessen
Bei der Produktion von Stückgütern wird häufig von „Losgröße 1“ gesprochen. In Batchprozessen verringert sich die Fertigungsmenge je Stück ebenso, wobei die absolute Anzahl der hergestellten Produkte steigt, weshalb die Anlagen die Möglichkeit einer Skalierung bieten sollten. Wird also heute Produkt A auf der Anlage hergestellt, kann es sich am nächsten Tag schon um Produkt B handeln. Der Wunsch nach Flexibilität spiegelt sich zunehmend in den Anforderungen der Kunden der Prozessindustrie wider, sodass sich diese kurz- oder langfristig anpassen muss.
Eine weitere Notwendigkeit, welche die Branche vor Herausforderungen stellt, resultiert aus der Offenheit der Anlagen und Systeme. Sowohl die Hardware als auch die Software sollen weniger proprietär sein. Stattdessen werden zukünftig herstellerübergreifende Standards eine immer größere Rolle spielen. Ziel ist es, die gesamte Prozessanlage auf Basis von standardisierten Modulen unterschiedlicher Hersteller zu errichten, wobei jedes Modul einen Teil der Prozesskette autark übernimmt. Alle Teilprozesse werden dann übergeordnet orchestriert.
Während sich die Flexibilität, Skalierbarkeit und Offenheit den neuen Herausforderungen zuordnen lassen, erweist sich der Kostendruck als so alt wie die Prozessindustrie selbst. Die Relevanz, kostenoptimierte Anlagen zu bauen und zu betreiben, hat sich sogar verstärkt. Das liegt unter anderem daran, weil die Erfassung und Verarbeitung zahlreicher Anlagendaten im Rahmen der Digitalisierung eine Kostentransparenz schaffen. Auf diese Weise lassen sich Einsparpotenziale aufzeigen. Entscheidende Einsparungen werden beispielsweise erzielt, indem sich einerseits die Bauzeit der Anlage etwa durch Aufwandsreduzierungen verkürzt und folglich die Zeit bis zum Markteintritt der dazugehörigen Produkte zeitlich früher erfolgen kann. Auf der anderen Seite tragen die kurzen, aufwandsoptimierten Wartungs- und Umbauarbeiten zu einer hohen Anlagenverfügbarkeit bei. Diesen sowie weiteren Herausforderungen der Prozessindustrie begegnet der modulare Anlagenbau, der insbesondere durch die MTP-Technologie ermöglicht wird.
Zweijährig veröffentlichte Normblätter
Im Jahr 2023 wurde ein bedeutender Schritt in Richtung der Internationalisierung der MTP-Norm unternommen, da deren Verwaltung an die weltweit agierende Profibus-Nutzerorganisation (PNO) übertragen worden ist. Die PNO verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Bereich Training und Zertifizierung, was der Entwicklung, Verbreitung und Anerkennung von MTP einen neuen Impuls gibt. In enger Zusammenarbeit mit den Verbänden NAMUR und ZVEI hat die Nutzerorganisation Arbeitsgruppen gebildet, welche die Veröffentlichung der Norm vorantreiben. Im Gegensatz zu früheren Versionen wird die Norm nun ausschließlich in englischer Sprache publiziert, um ihre internationale Akzeptanz zu erhöhen. Ferner wurde beschlossen, die Normblätter als Pakete zu veröffentlichen, sodass sich die Variantenvielfalt verringert. Die Normpakete sollen in einem Zweijahres-Rhythmus erscheinen. Die von den Anlagenbetreibern gewünschte Umsetzung der Alarm-Normblätter ist bereits im ersten Paket geplant und wird voraussichtlich Ende 2024 vorliegen. Als aktives Mitglied dieser Arbeitsgruppe leistet Phoenix Contact einen Beitrag zur Erarbeitung der Norm.
Parallele Erstellung während der Automatisierung
Für Unternehmen, welche die MTP-Technologie einsetzen wollen, ergeben sich grundsätzlich zwei Schwierigkeiten: Erstens sollen die in der Norm beschriebenen Schnittstellen als Funktionsbibliothek realisiert sein. Zweitens muss eine Methode entwickelt werden, die nach dieser Norm spezifizierte MTP-Datei zu generieren. Die MTP-Datei lässt sich mit einer Treiberdatei vergleichen, die für die Integration einer PEA (Process Equipment Assembly) in einen POL (Process Orchestration Layer) sorgt. Zur Erzeugung der MTP-Datei bieten sich zwei Vorgehensweisen an. Bei der ersten Option wird die MTP-Datei zu einem fertigen Automatisierungsprojekt erstellt, nachdem die Modulautomatisierung abgeschlossen ist. Mit dem MTP Designer hat sich Phoenix Contact für die zweite Option entschieden: Die MTP-Datei und der Projektrumpf des Automatisierungsprojekts werden parallel generiert. So kann der Entwickler an der Schrittkette im POL arbeiten, während die PEA fertig automatisiert wird.
Der SPS-Projektgenerator instanziiert alle notwendigen Funktionsblöcke und OPC UA-Variablen, was zu einer erheblichen Zeitersparnis und Fehlerreduzierung führt. Nach der manuellen I/O-Anbindung und Logikprogrammierung der Dienste wird das SPS-Programm fertiggestellt. Die Erweiterung der Funktionalität ist ein stetiger Prozess, weshalb immer weniger manuelle Eingriffe gefordert sind. Das entspricht auch dem Trend „Konfigurieren statt Programmieren“. Grundsätzlich kann eine Modul-Engineering-Software – wie der MTP Designer von Phoenix Contact – ohne Programmiervorkenntnisse bedient werden, wobei Know-how in der MTP-Anlagenplanung von Vorteil ist. Eine gute Unterstützung leistet die vom VDI veröffentlichte Handlungsempfehlung „Modulare Anlagen“.
Einfacher Import der R&Is in entsprechende Tools
Obwohl einige Modul-Engineering-Lösungen – zum Beispiel der MTP Designer – die R&Is (Rohrleitungs- und Instrumentenfließschema) nachbilden, dient die Software nicht als Ersatz für die klassischen R&I-Tools. Durch die Verwendung des MTP Designer müssen die R&Is nicht nachgezeichnet werden, denn über eine Funktion lassen sie sich einfach importieren. Neben dem DEXPI-Format hat sich dazu das datentechnisch reduzierte Requirement-MTP (rMTP) etabliert. Die rMTP-Datei liefert die HMI-Aspekte, die vom R&I leicht abgeleitet werden können. Anschließend werden diese durch Services und Kommunikationsaspekte erweitert. Das ermöglicht ein durchgängiges Engineering mit automatischer Übernahme von Projektinformationen.
Fazit
Flexibilität, Offenheit und Kostendruck gehören zu den aktuellen Herausforderungen der Prozessindustrie. Der modulare Anlagenbau eröffnet auf Basis von MTP und der zugehörigen MTP-Norm eine Option zur Bewältigung dieser und weiterer Anforderungen: Statt auf die herkömmliche Weise können bei Pilot- ebenso wie Kundenprojekten einige Aufgaben durch die Nutzung von MTP flexibel, herstellerunabhängig sowie mit deutlicher Zeit- und Kostenersparnis umgesetzt werden.