Auch große Sorgfalt schützt nicht vor Planungsfehlern, die später den Aufwand bei der Inbetriebnahme erhöhen, nicht selten Projekttermine gefährden und im schlimmsten Fall Konventionalstrafen nach sich ziehen. Dazu kommt: Eine Inbetriebnahme bringt immer eine Produktionsunterbrechung mit sich, weshalb für Tests und einen eventuellen Umbau nur wenig Zeit bleibt. Abhilfe schafft hier die virtuelle Inbetriebnahme. Auf diese Weise sollte die Lieferzeit einer Füge- und Schweißstation, die von Heitec in Kooperation mit dem Maschinenbauer EMAG für Audi erstellt wurde, deutlich verkürzt werden. Da Konstruktion, Fertigung und Lieferzeiten von Subkomponenten feste Laufzeiten haben, ist eine Reduzierung der Durchlaufzeit nur möglich wenn Elektroplanung, Software-Entwicklung und Inbetriebnahme früher beginnen. Vor allem letztere, als Test für die Qualität der Software, galt es zu verkürzen.
Erst Software-Entwicklung, dann Fertigung
EMAG bekam den Auftrag eine autarke Automatikstation zu bauen, die die Verstellung auf die Nockenwelle fügt, mittels Laser verschweißt und anschließend bürstet und ölt. Dabei werden Nockenwellen und Versteller über ein Förderband zugeführt und jeweils über einen positionsgesteuerten Antrieb mit rund 1/10° Genauigkeit ausgerichtet; Kameras scannen die DataMatrix-Codes der Komponenten. Ein Roboter transportiert die Nockenwellen zur Fügestation, die Versteller werden über ein Portal geliefert. In der Station werden die beiden Teile zusammengefügt und anschließend vom Roboter an die Schweißmaschine übergeben. Nach dem Schweißvorgang bringt der Roboter die Teile zum Bürsten und Ölen. Die Konstruktion von EMAG wurde von Heitec in ein virtuelles Modell überführt, noch bevor die Fertigung der Maschine begonnen hat. Parallel starteten Elektrokonstruktion und Software-Entwicklung früher als ursprünglich geplant. Besonderes Augenmerk legte man auf die Umsetzung des Roboters, die positionsgesteuerten Antriebe sowie das Zusammenspiel aller Komponenten in der Anlage. „In Bezug auf die Schweißmaschine ist vor allem die Schnittstelle zur SPS interessant, also die Frage: Welche Signale bekommt die Steuerung von der Schweißmaschine und umgekehrt?“, sagt Michael Kasseckert, Entwicklungsingenieur bei Heitec. „Genau hier liegt auch das Neue: Nicht nur die SPS, sondern auch die Robotersteuerung kommunizieren mit dem Simulationsrechner.“ Dadurch lässt sich die Anlage nicht nur abschnittsweise testen, sondern in ihrem gesamten Umfang mit Schrittketten, ohne etwas in der SPS überbrücken zu müssen - in Echtzeit. „Wir können also sämtliche Situationen vorab testen“, freut sich Kasseckert. Der SPS-Programmierer kann unmöglich im Kopf alle Eventualitäten, die beispielsweise bei Störungen auftreten, durchspielen. Er muss diese ausführlich testen und braucht dazu die bestehende Anlage oder eben, wie hier, die virtuelle. Die Robotersteuerung gibt die jeweiligen Achswinkel der sechs Achsen an den Simulationsrechner weiter. Somit können exakt die Bewegungen visualisiert werden, die der Roboter in Wirklichkeit fahren würde. In Kombination mit den Signalen der SPS, die das restliche Geschehen der Anlage steuert, kann der komplette Vorgang der Anlage in einem Verbund getestet werden.
Probleme noch vor Inbetriebnahme lösen
„Im Laufe der virtuellen Inbetriebnahme konnten einige Probleme frühzeitig erkannt, mit dem Kunden besprochen und gelöst werden“, bemerkt Kasseckert. Das waren zum einen konstruktive Fehler wie eine zu kurze Auslegung der Portalachse und zum anderen im Vorfeld nicht geklärte Ablaufsituationen. Gerade bei Problemfällen in der Anlage, beispielsweise bei Störung der Endlagenerkennung eines Greifers ohne Teileerkennung, kann die Anlage in undefinierte Ablaufsituationen kommen. Solche Szenarien lassen sich bei der virtuellen Inbetriebnahme ausführlich testen und passende Lösungen noch vor der eigentlichen Inbetriebnahme programmieren.Dieses Vorgehen spart deutlich Kosten, bietet aber noch weitere Vorteile. Man kann dem Kunden bereits im Labor zeigen, was die Anlage später leisten kann. Daraus resultiert eine bessere Kommunikation und Abstimmung mit dem Kunden. Durch die parallel zum Aufbau der realen Anlage stattfindende virtuelle Inbetriebnahme kann die Gesamtdurchlaufzeit verkürzt und verschiedene Testszenarien durchgespielt werden, die an der realen Maschine nicht möglich oder gefährlich sind. Hinzu kommt auch eine Verbesserung der Taktzeit. „Die Tests liefern reproduzierbare Ergebnisse durch ein echtzeitfähiges Maschinenmodell“, so Kasseckert. Dabei ist zu bemerken, dass sich die Echtzeit auf den Takt im Feldbussystem bezieht und sich also im Bereich von Millisekunden bewegt. Weiter schafft man mit gleicher Manpower deutlich umfangreichere Tests. Anwender schätzen, dass sich die Durchlaufzeiten um rund 15Prozent - das können schon mal vier bis sechs Wochen sein - und die reale Inbetriebnahme um bis zu 80Prozent reduzieren lässt. Darüber hinaus können Mitarbeiter bereits eingearbeitet werden bevor die Maschine steht. Entsprechend wurden verschiedenen Ablaufmodelle hinsichtlich der Taktzeit realisiert, von Audi und EMAG über Videoanalyse begutachtet und Verbesserungen frühzeitig umgesetzt.
Virtuelles Recycling
Die zur virtuellen Inbetriebnahme erstellten Funktionseinheiten (Simulationsmodelle) können für weitere Maschinen und Anlagen wieder verwendet werden. „Dann ist auch eine komplexe virtuelle Maschine innerhalb weniger Tage realisierbar“, bestätigt Michael Kasseckert. Die Maschine ist mit dem 3-D-Modell auch für �?nderungen oder Erweiterungen einzusetzen. Das war Audi sehr wichtig, denn die Anlage soll in China arbeiten. Auf diese Weise wird bei �?nderungen das virtuelle Modell erweitert, ohne dass die Anlage gestoppt werden muss. Auch Schulungen - zum Beispiel für den Bediener oder den Instandhalter aber auch für Inbetriebnahmeingenieure - sind mit Hilfe des virtuellen Modells in einer hohen Qualität zu realisieren.