Ein 1.300 Kilometer langer Korridor zwischen Rotterdam und Wien, auf dem Fahrzeuge und Infrastruktur miteinander kommunizieren, fahrerlose U-Bahnen in Paris, Budapest und Riad, autonomer öffentlicher Nahverkehr in Ulm: Die Zukunft der Mobilität ist vernetzt und autonom. Ermöglicht werden soll die Digitalisierung der Straße durch Technologien von Siemens. Zwei Ampeln an einer kleinen Kreuzung auf dem Gelände der Siemens-Forschungszentrale in München-Neuperlach. So normal sie wirken, weisen die Lichtsignalanlagen doch in die Zukunft des Straßenverkehrs. Denn ein kleiner, an einem der Ampelmasten angebrachter Kasten, kommuniziert über Digitalfunk mit durchfahrenden Fahrzeugen. Er kann sich mit anderen der sogenannten Road Side Units verbinden, die wiederum mit einer Verkehrszentrale verknüpft sind. So entsteht ein WLAN-Funknetz, das den Fahrer in Sekundenbruchteilen über einen Bildschirm auf Verkehrsstörungen oder die aktuelle Ampelschaltung hinweist.
Die Car2X-Technologie soll ab diesem Jahr in einem 1.300 Kilometer langen Testkorridor von Rotterdam über Frankfurt am Main bis nach Wien getestet werden. Entsprechend ausgestattete Fahrzeuge werden beispielsweise vor Autobahnbaustellen gewarnt. Das soll Unfälle reduzieren und Staus vermeiden. An diesem Internet des Autos sind die deutsche Automobilindustrie, Forschungsinstitute und Siemens beteiligt. Das Unternehmen liefert Hard- und Software – einschließlich der Road Side Units – für die Kommunikation der Fahrzeuge in den Niederlanden, Deutschland und Österreich. Langfristig sollen zusätzlich zu Verkehrsschildern und Warntafeln auch Parkhäuser in Car2X integriert werden. „Die fortgeschrittene Digitalisierung des Autos erlaubt uns diese Vernetzung“, sagt Daniel Hobohm, Experte im Bereich Intelligente Verkehrssysteme bei Siemens. „Und die Vernetzung legt wiederum die Grundlage für die Zukunft des autonomen Verkehrs.“
Weltweit tüfteln Experten seit Jahren an der Autonomie des Verkehrs. Bereits heute rollen fahrerlose U-Bahnen von Siemens in Nürnberg, Paris oder Barcelona über die Gleise. In Kalifornien sind sich selbst steuernde Testfahrzeuge von Google ein alltäglicher Anblick. Nutzfahrzeughersteller testen erste voll automatisierte Lkws. Gleichzeitig entwickelt die Automobilindustrie Elektrofahrzeuge, in die sich digitale Technologien für autonomes Fahren leicht integrieren lassen.
Auf Schienen ist die Autonomisierung noch weiter gediehen. Mit dem Projekt „Cargomover“ entwickelte Siemens bereits 2002 mit der RWTH Aachen einen vollautomatisch gesteuerten Gütertriebwagen. Darauf baute das Unternehmen auf – und heute ist die fahrerlose Zukunft auf Bahngleisen bei U-Bahnen Wirklichkeit. So hat Siemens der Stadt Nürnberg 2008 eine der weltweit ersten computergesteuerten U-Bahnen übergeben. Seither rollen weitere autonome Siemens-U-Bahnen in Barcelona, Paris oder Budapest – das Unternehmen ist Marktführer. In wenigen Jahren eröffnet zudem in Riad, der rund fünf Millionen Menschen beherbergenden Hauptstadt Saudi-Arabiens, ein neues, 176 Kilometer langes U-Bahn-Streckennetz. Siemens liefert 74 fahrerlose Inspiro-Metro-Züge für zwei der sechs Linien, außerdem die dazugehörige Elektrifizierung, Signal- und Kommunikationstechnik sowie die zentrale Steuerung der Strecke.
So autonom sind Straßenbahnen oder Busse noch nicht – doch auch hier vollzieht sich der Wandel zu mit Sensorikpaketen ausgestatteten, intelligenten und vernetzten Fahrzeugen. Als nützlich erweist sich hier die Entwicklung von Sensoren für Pkw. So hat Siemens 2015 in Ulm mit den dortigen Stadtwerken eine Straßenbahnlinie mit Sensoriksystemen aus dem Automobilbereich ausgestattet, bestehend aus Kameras, Lasersensoren und Radar. „Bis 2020“, sagt Holger Last, Programm-Manager für Fahrerassistenzsysteme, „sollen die ersten Straßenbahnen dann voll automatisiert mit Systemen von Siemens durch die Stadt fahren.“
So wie die Fahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs eigenständiger werden, schreitet auch ihre Vernetzung voran. Im September 2015 fand in Braunschweig ein Test mit einer mit Car2X kombinierbaren, Rail2X genannten Siemens-Technologie statt, die Zügen, Pkw und Lkw in der Nähe von Bahnübergängen erlaubt, miteinander zu kommunizieren. Siemens hat auch ein System zur Satellitensteuerung des Busverkehrs entwickelt. In einem Pilotprojekt im süddeutschen Böblingen hat das Unternehmen mit der Stadtverwaltung seit 2013 an einer Buslinie ein Navigationssystem getestet, das Bussen an Ampeln Vorrang einräumt und so einen flüssigeren und flexibleren Nahverkehr ermöglicht. Die grüne Welle und damit der flüssige Verkehr sind die positive Folge einer Siemens-Technologie namens Stream („Simple Tracking Realtime Application for Managing Traffic Lights and Passenger Information“), die zwischen Satellit, Bussen, Ampeln und einer digitalen Verkehrsleitzentrale ein Funknetz spannt. Böblingen wird das System jetzt für seine gesamte Busflotte und fünf Feuerwehrautos einsetzen. Andere Städte haben die Technologie inzwischen ebenfalls erworben.
Die digitale Vernetzung des Straßenverkehrs ist also in vollem Gange. „Die Frage ist nur“, sagt Hobohm, „ob Autos und Lkw eines Tages so autonom fahren werden, wie es heute bereits bei vielen U-Bahnen der Fall ist.“ Die Chancen dafür stehen in seinen Augen nicht schlecht. Je mehr Aufgaben der digitale Autopilot im Wagen dank Sensoren, der Kommunikation mit anderen Fahrzeugen, der Verkehrsinfrastruktur und der Verkehrsleitzentralen übernimmt, desto unwichtiger wird die Rolle des Menschen. Selbst der Gedanke, ein Wageninsasse könne im Notfall noch rasch eingreifen, scheint dann gewagt, ist der Fahrer durch das Überraschungsmoment doch womöglich überfordert. Sicherheit hängt vielmehr zunehmend von der gelungenen Vernetzung aller Verkehrsteilnehmer mit der Infrastruktur ab.