„Anfangs war es ein Konsolidierungs-Projekt, um die Anzahl der ERP-Implementierungen und MES-Eigenentwicklungen zu reduzieren und Prozesse für alle Produktionsstandorte
zu standardisieren“, erinnert sich Cem Dedeoglu, Head of
Global Processes & Application Solutions Supply Chain bei Beiersdorf Shared Services, IT-Partner des Markenartiklers.
Im Jahr 2009 war die Anbindung der Produktionsstätten
mittels MES-Eigenentwicklungen noch überwiegend standortspezifisch. Damit waren die Wartungs- und Entwicklungskosten sehr hoch. Pro Standort kümmerten sich mehrere Mitarbeiter um den Betrieb unterschiedlicher MES-Applikatio-
nen. Eine Skalierung auf andere Standorte war damals nicht
möglich. Von daher sollte ein Template für einen Produktionsstandort entwickelt werden, der für alle Fabriken weltweit
eingesetzt werden kann. Weil zu dieser Zeit bereits SAP ERP als Unternehmenssoftware weitgehend etabliert war, zogen die Entscheider bei Beiersdorf Manufacturing-Lösungen aus eben diesem Hause in Erwägung. Das einige Jahre zuvor ins Portfolio aufgenommene SAP Manufacturing and Intelligence (SAP MII) erfüllte die Voraussetzungen für eine Standardinformationsschnittstelle.
SAP hatte schon 2005 die amerikanische Firma Lighthammer übernommen, mit dem Ziel, die ERP-Unternehmenssoftware mit einer direkten Verknüpfung in den Produktionsbetrieb auszustatten. Lighthammer hatte mit ihrem Produkt eine der ersten Datendrehscheiben für Produktionsdaten entwickelt. Daraus entstand die SAP-MII-Technologie. Trebing + Himstedt war bereits von 2000 an ein Lighthammer-Partner in der DACH-Region. Auf Basis dieser Projekterfahrung und vorzeigbaren Referenzen in der Pharma- und Chemieindustrie entschied sich Beiersdorf daher 2010 für die Zusammenarbeit mit den MES-Spezialisten.
Von ISO zu IoT
Zunächst wurden die notwendigen Kriterien und Anforderungen festgelegt. Im ersten Schritt entschied man sich bei Beiersdorf, den Projektschwerpunkt zunächst nur auf die vertikale Integration zu legen, um alle Stammdaten wie beispielsweise Arbeitsplätze und Materialstamm, Bewegungsdaten wie Aufträge und Stücklisten sowie auftragsrelevante Rückmeldungen auszutauschen. Für die Technik hat man sich als internationalen Standard auf Webservices verständigt und Business
to Manufacturing Markup Language (B2MML) als Beschreibungssprache eingesetzt. B2MML ist eine XML-Implementierung der ANSI/ISA-95-Standard-Familie (ISA-95), international auch unter der Bezeichnung ISO/IEC 62264 bekannt. Mit dieser Standardarchitektur soll die Weiterentwicklung Richtung Internet of Things (IoT) fortgeführt werden können.
Um den Ansprüchen von Beiersdorf bezüglich der US-amerikanischen Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit (FDA) gerecht zu werden, wurde beim Partner Trebing + Himstedt zu Beginn eine Auditierung mit dem Schwerpunkt elektronisches Datenmanagement nach 21 CFR Part 11 durchgeführt.
Drei Jahre nach dem Kick-Off wurde das Rollout des entwickelten Produktions-Templates in allen sechs europäischen Gesellschaften von Beiersdorf abgeschlossen. Darunter fallen Polen, Spanien und die Stammwerke in Deutschland. Einige Standorte erhielten mit dem S95-Integrations-Layer auf Basis von SAP MII erstmalig eine Echtzeit-Verbindung mit dem SAP ERP. In anderen Werken wurden bestehende MES-Eigenentwicklungen vollständig abgelöst. Auch wenn die Phase des Rollouts kurz gehalten werden konnte, wurden viele Erfahrungen für die Weiterentwicklung der Templates eingearbeitet.
Wegen der Anforderungsänderungen pro Standort wurde die Entscheidung getroffen, die Modifikationen in Template-Anpassung und lokale Anpassung zu unterscheiden. Waren Änderungen für mehrere Standorte sinnvoll, wurde es direkt in das Template übernommen.
Managerfunktion gefragt
Auf dem Hintergrund der Erfahrungen würde man heute das initiale Produktions-Template wohl anders aufsetzen; das heißt, typisch für einen agilen Prozess, mit einem kleinen Werk als Piloten starten und daraus die Vorlage für weitere Standorte entwickeln. Dennoch konnten die Betriebskosten im Vergleich zu den ehemaligen Eigenentwicklungen stark gesenkt werden. Seitens Trebing + Himstedt wurde hingegen klar, dass ein derartiges Projekt nicht alleine mit Projektmanagern umgesetzt werden kann.
Aufgrund der vielen parallelen Projekte wurde eine übergeordnete Programm-Manager-Funktion notwendig, die dann begleitend etabliert wurde. Der Programm-Manager ist auch der Ansprechpartner für die Beiersdorf-Support-Abteilung, die die Systeme nach Projektende betreut. Bis 2017 soll auch das globale Rollout in Mexiko, Südamerika, USA und Asien abgeschlossen sein. Mit dem neuen Beiersdorf-Standort in Mexiko, der die wachsenden lokalen Märkte sowie den US-Markt versorgt, wurde das Konzept erstmalig auf ein Green-Field-Werk übertragen.
Eine der wichtigsten Erweiterungen der Produktions-Templates galt der Performance-Verbesserung. Je mehr Fertigungsbetriebe angeschlossen und Daten übermittelt wurden, desto mehr wurde die notwendige Arbeit an der Kommunikationsarchitektur deutlich. Es entstand neben dem Bedarf für die Übertragung von Stammdaten auch die Voraussetzung, mit SAP-MII Echtzeit-Szenarien bis in den unteren Sekundenbereich abzudecken. Dafür hat man sich für den Bau einer sogenannten Datenautobahn entschieden. Das bedeutet, es gibt zwei produktive SAP-MII-Sys-
teme. Eins übernimmt die Stammdatenverteilung bis zur
Maschine und das andere die zeitkritischen Echtzeitdaten.
Ferrari-Spur für Daten
Vorstellen könne man es sich wie eine Lkw-Spur für die Stammdaten und eine Ferrari-Spur für die zeitkritischen Daten, skizziert Cem Dedeoglu, Head of Global Processes & Application Solutions Supply Chain bei Beiersdorf Shared Services. Mit dem Zuwachs an Performance und der verlässlichen Verfügbarkeit konnte auch die kurzfristige Reaktion auf Bedarfe agiler gestaltet werden. Mussten anfangs noch zwei Tage Arbeitsvorrat vorgehalten werden, ist es heute noch ein halber Tag; das bedeutet mehr Flexibilität für den Kunden.
Mit der durchgehenden vertikalen Integration auf Basis von SAP MII hat Beiersdorf seit 2009 eine Voraussetzung für eine smarte Fabrik geschaffen, die sich flexibel auf Kunden- und Produktionsanforderungen anpassen lässt. Im Unternehmen gilt jetzt die Regel, dass alle neuen Anforderungen der Fachbereiche zunächst darauf geprüft werden, ob diese auf Basis der Plattform MII kostengünstig und schnell umgesetzt werden können. Mit ihr hat es bei der Digitalisierung der Smart Factory bereits unterschiedliche Leuchtturmprojekte gegeben.
So wurde 2013 mit der elektronischen Laderampenkontrolle die Beladung von Lkws direkt im ERP in Echtzeit überwacht. Dabei wird beispielsweise vor Überschreitung des Ladegewichtes die Ampel für den Staplerfahrer auf Rot geschaltet. 2014 wurde mit Trebing + Himstedt auf Basis von SAP MII eine Personalzeiterfassung (PZE) mit SAP HR Interface realisiert, die jetzt global für die Werke zur Verfügung steht und auch gleich in Mexiko genutzt wird. Auf die Einführung einer separaten PZE-Software konnte so verzichtet werden.
Die digitale Fabrik
2015 galt es, gemeinsam mit den Produktionsstandorten die Anforderungen und Rahmenbedingungen für die Industrie 4.0 abzustecken. Die Werksleiter hatten zum Ausdruck gebracht, dass sie sich in der Smart Factory eine noch weitergehende Werker-zentrierte IT-Unterstützung wünschen. Dabei ging es um mehr Transparenz im Shop Floor, Flexibilität und das Erfüllen individueller Bedürfnisse und mobiler Anwendungen.
Dafür wird die Standardisierung der Kommunikationsformate weiter vorangetrieben werden müssen. Aber auch technologisch ist hierfür ein Upgrade auf das neue Release SAP MII 15 vorzunehmen. Speziell durch die dort verfügbare SAP Self Service Composition Environment (SAP SSCE) werden individuelle Darstellungen möglich sein.
Auch auf der Anwendungsseite gibt es viele Ideen für die Zukunft, die mit einer smarten Fabrik umgesetzt werden sollen. So steht das Anliegen der Rückverfolgbarkeit über die Vertriebswege hinweg ganz oben auf der Liste. Wenn also beispielsweise Produkte, die für die Apotheke vorgesehen waren, beim Discounter oder Internethandel auftauchen, kann man so feststellen, über welchen Kanal sie geflossen sind.
Beiersdorf Shared Services wird sich auch verstärkt mit dem Thema Predictive Maintenance auseinandersetzen; so sollen die Wartungskosten weiter reduziert und gleichzeitig die Maschinenverfügbarkeit erhöht werden können. Cem Dedeoglu erwartet für die Zukunft, dass seitens des Kunden bald auch die Nachfrage nach individuellen Verpackungen oder sogar kundenspezifischen Inhaltsstoffen aufkommen könne.