Die Lebensdauer von Anlagen in der Petrochemie oder Basischemie, Wasserversorgung, Abwasserbehandlung und in der Nahrungsmittelindustrie kann bis zu 30 Jahre oder sogar mehr betragen. Auch Anlagen der Spezialchemie und der pharmazeutischen Industrie werden oftmals deutlich länger als ein Jahrzehnt betrieben. Schon aus Gründen der Anlagensicherheit ist es für den Betreiber zwingend erforderlich, dass über die gesamte Laufzeit bis hin zum Rückbau die Anlagendokumentation über alle wesentlichen Gewerke hinweg transparent und konsistent gehalten werden muss.
Die Erfahrung zeigt, dass die Aktualisierung der Anlagendokumentation mit zunehmender Betriebsdauer immer schwieriger wird. Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Zum einen unterliegt nicht nur die Anlage selbst, sondern auch die Dokumentationswerkzeuge einem Alterungsprozess. Die Migration auf aktuelle Tools verläuft nicht immer reibungslos. Durch die in Relation zur Anlagenlebensdauer relativ schnellen Innovationszyklen der Werkzeuge kommen im Laufe der Lebenszeit meist mehrere Generationen von CAE-Tools, Datenbanken, Tabellenkalkulationen, Texteditoren, Grafikwerkzeuge zum Einsatz, die leider nicht immer eine kollisionsfreie Datenübergabe ermöglichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Werkzeuge im Laufe der Zeit gewechselt werden. Bei sehr langer Lebensdauer kommt die Lebensdauer und Lesbarkeit der verwendeten Speichermedien als Risikofaktor hinzu.
Oftmals wird aber auch nicht jede Änderung auf der Anlage in aller Konsequenz dokumentiert. Teilaspekte werden vergessen. Der Ersatz eines Sensors oder Aktors durch ein neueres Gerät erfordert oft Änderungen in zahlreichen Dokumenten, so in P&IDs, Installationsplänen, Verbraucherlisten, Funktionsbeschreibungen bis hin zur Software. Wenn im Zuge eines altersbedingten Gerätetauschs mehr als ein halbes Dutzend Dokumente revidiert werden müssen, besteht immer die Gefahr, dass eines davon schlicht vergessen wird.
Bedingt durch die immer knappere Personaldecke bei den Betreibern können Revisionen in der Dokumentation außerdem oft nicht zeitnah zur realen Änderung vorgenommen werden, wodurch Informationen durch den zeitlichen Versatz verloren gehen können. Oft zieht sich die Optimierung von leittechnischen Parametern auch lange hin, sodass der Bediener nicht jeden Schritt dokumentieren will oder kann. Der zuletzt erfolgte Optimierungsschritt ist daher manchmal nicht in der Anlagendokumentation aufgenommen. Oftmals gehen Informationen verloren, weil zwischen der Planungsdokumentation und der Betriebs- und Wartungsdokumentation ein radikaler Schnitt besteht: Der Anlagenbauer (EPC) übergibt dem Betreiber eine Übergabedokumentation, die die Anlage zwar als As-built beschreibt, viele Details aus der Planungs-, Test- und Inbetriebnahmephase aber nicht enthält und für eine Fortschreibung unpassend ist.
Die vorgestellte Problematik verlangt nach einer durchgängigen, über alle Gewerke und Lebensphasen einer Anlage konsistenten und transparenten Dokumentation. Moderne Softwarelösungen erlauben eine durchgängige Datenhaltung über den gesamten Lebenszyklus ohne Informationsverluste. In der frühen Designphase können die Ergebnisse von Prozesssimulationswerkzeugen über XML-Files übernommen und als Basis für das Basic-Engineering verwendet werden. Alle wesentlichen Disziplinen des Engineerings, das heißt die Prozessplanung, die Definition der Rohrklassen, die Rohrleitungsplanung, die Planung der Anlagenhydraulik oder -pneumatik, der Mess- und Regeltechnik, der Elektrik und der Automatisierung können mit einem einzigen Engineeringwerkzeug bearbeitet werden, wobei jede Information datenbankbasiert nur ein einziges Mal gespeichert wird. Änderungen im Planungsprozess werden allen Beteiligten durch entsprechende Farbkennzeichnung in den Planungsdokumenten signalisiert. Dadurch ist sicherstellt, dass alle Änderungen unmittelbar allen beteiligten Disziplinen zur Verfügung gestellt werden.
Ein sensibles Thema ist hierbei der Know-how-Schutz der Projektbeteiligten. Durch ein zuverlässiges Verrechtungssystem wird sichergestellt, dass alle Teilnehmer am Engineeringprozess nur auf die Informationen einen lesenden Zugriff haben, die sie für ihre Arbeit benötigen, und einen schreibenden Zugriff nur da, wo sie aktiv am Engineering der Anlage mitwirken. Für Engineeringpartner, die keinen direkten Zugriff auf das Engineeringsystem bekommen, kann der elektronische Datenaustausch formularbasiert beispielsweise über Excel-Dateien realisiert werden.
Viele Gerätehersteller bieten mittlerweile komfortable Internetportale auf ihre Katalogdaten an. An diese Portale können die technischen Anforderungen des Projekts übertragen und passende Geräte verglichen und ausgewählt werden. Technische Daten der ausgewählten Hardware werden danach ebenfalls auf elektronischem Weg direkt in die Planung übernommen. Dieses Vorgehen beschleunigt die Geräteauswahl und eliminiert Übertragungsfehler. Produktdatenstandards wie eCl@ss werden künftig zu einer herstellerübergreifenden Vereinheitlichung der Datenstruktur beitragen.
Wo früher das Anlagenverhalten an Prototypen getestet wurde, werden heute vermehrt Softwarewerkzeuge zur Simulation der Automatisierung eingesetzt. Auch solche Werkzeuge können über XML-Dateien mit wesentlichen Anlagendaten versorgt werden. Mittels dieser Simulation kann das Verhalten der Anlage schon deutlich vor deren Fertigstellung ziemlich genau simuliert werden. Dies erschließt die Möglichkeit einer virtuellen Inbetriebnahme schon vor dem realen Einsatz. Erfahrungen mit Pilotprojekten zeigen, dass dadurch frühzeitig Fehler erkannt und beseitigt werden können, die beim klassischen Vorgehen erst während der realen Inbetriebnahme erkannt worden wären. Darüber hinaus bietet der Simulator die Möglichkeit, die zukünftigen Anlagenfahrer rechtzeitig vor dem Betrieb der neuen Anlage unter sehr realistischen Bedingungen zu schulen.
Vom Prozess- zum Automatisierungs- Engineering – und zurück!
Ein wichtiger Aspekt des Integrierten Engineerings ist das Zusammenspiel zwischen Prozess-Engineering und dem Engineering der Automatisierung. Während bei der klassischen Vorgehensweise die Vorgaben der Anlagenplanung meist nur mittels Tabellenkalkulation übernommen wurden, ermöglichen moderne Planungssysteme ein immer besseres Zusammenwachsen dieser Engineering-Disziplinen. Die Hierarchie der Anlage, Kontrollmodule und deren Instanziierung, Verriegelungen bis hin zu Schrittketten können in einem definierten Workflow weitgehend automatisch direkt aus den Automatisierungsvorgaben der Prozessplanung erzeugt werden, womit eine beträchtliche Verminderung von Übertragungs- und Verständigungsfehlern und eine Zeitersparnis verbunden ist. Ziel der Entwicklung ist es, diese wichtige Schnittstelle zwischen den beiden Engineeringwelten bidirektional auszubauen: Künftig sollen Änderungen während der Inbetriebnahme sowie Optimierungsmaßnahmen während der Betriebsphase jederzeit in das Prozess-Engineering-Werkzeug übertragen werden können. Dies vereinfacht und verkürzt die Erstellung einer As-Built-Dokumentation, deren Fertigstellung oftmals mit einem Zahlungs-Meilenstein verbunden ist. Außerdem ermöglicht es während der Betriebsphase eine mit wenig Aufwand verbundene Fortschreibung zu einer As-Is-Dokumentation.
Nahtlos von Planung zu Betrieb und Wartung
Der maximale Nutzen aus Integriertem Engineering ist dann gegeben, wenn der Anlagenbetreiber die Datenbasis, die während der Planungsphase generiert wurde, für den Betrieb der Anlage nutzt. Für diesen Zweck enthalten State-of-the-art-Softwarelösungen auch Module für Betrieb, Wartung, Modernisierung und Rückbau und gewährleisten somit einen nahtlosen Übergang von der Engineering- in die Betriebsphase. Dies ermöglicht eine Rückverfolgung der Anlagenplanung bis hin zur Originalplanung.
Die während der Planung gesammelten Daten können ohne Neuaufnahme direkt in die Softwaremodule für Betrieb und Wartung übernommen und daraus die Wartungspläne abgeleitet werden. Eine elektronische Schnittstelle zu den Bausteinen des Prozessleitsystems, die die Zustandsüberwachung von kritischen Anlagenteilen realisieren, ermöglicht eine weitgehend automatisierte Planung der vorbeugenden Wartung. Die Verbindung zum ERP–System ermöglicht die schnelle und fehlerfreie Beschaffung der notwendigen Ersatzteile, deren Daten wiederum in die As-Is-Dokumentation einfließen.
Um bei Wartungs-, Revisions- oder Schulungsmaßnahmen die komplette Anlagendokumentation mit in die Anlage nehmen zu können, sind Applikationen für mobile Geräte verfügbar. Damit ist es möglich, für die komplette Anlage vor Ort die Dokumentation einzusehen und – falls erforderlich – Roteinträge vorzunehmen, die dann später am Online-System in die Anlagendokumentation übernommen werden. Auch 3D-Darstellungen können über entsprechende Schnittstellen versorgt werden. Diese Darstellungen ermöglichen schon während der Planungsphase einen recht realistischen Eindruck der entstehenden Anlage, unterstützen den Planer und das Wartungspersonal hinsichtlich der Zugänglichkeit von Anlagenteilen und dienen der Schulung des Bedienpersonals beispielsweise für Notfallmaßnahmen.
Eine stets aktuelle As-Is-Dokumentation ist die ideale Basis für anstehende Revisions- oder Modernisierungsmaßnahmen, da aufwändige Arbeiten zur Feststellung des aktuellen Anlagenzustands entfallen. Auch für den irgendwann fälligen Rückbau der Anlage gibt es am Softwaremarkt passende Module, um beispielsweise die immer stringenter werdenden Vorschriften zur Entsorgung der in der Anlage verbauten Komponenten einhalten zu können.
Eine der zentralen Forderungen der Umsetzungsempfehlungen für Industrie 4.0 ist die Durchgängigkeit des Engineerings über den gesamten Lebenszyklus. Diesem Anspruch kommen heute verfügbare integrierte Softwarelösungen wie beispielsweise Comos schon sehr nahe.