Zunächst braucht so ein digitaler Anlagenzwilling Struktur. Da bietet sich die IEC 81346 an, deren drei hierarchische Strukturen zu Funktion, Produkt und Ortsaspekt auf Objektebene intelligent verknüpft sind. Wenn Komponenten sich für Industrie 4.0 hierarchisch zu kommunizierenden „Organismen“ zusammensetzen, ist es ohnehin unerlässlich, sie funktionsorientiert in größeren Zusammenhängen engineeren zu können.
Doch so ein Standard ist immer nur so gut wie seine Verbreitung. Hier hat die IEC 81346 noch immer Nachholbedarf. Die Norm ist hochkomplex und stellt ebensolche Anforderungen an alle, die damit projektieren. Die geforderte Unabhängigkeit der drei Sichten beschleunigt späteres variables Zuordnen erheblich – wenn das entsprechende CAE-System damit umgehen kann.
Dazu wiederum ist eine objektorientierte Software notwendig, die am besten ohne den Umweg über grafische Darstellungen alle Sichten auch rein alphanumerisch abbilden kann und in voller Tiefe bearbeitbar zur Verfügung stellt.
Anlageninformationen richtig auslesen
Ein Anlagenmodell muss außerdem detailliert genug sein, um später in der Wartung beispielsweise den Signalverlauf einer Messung verfolgen zu können. Dazu muss nicht nur der Sensor enthalten sein, sondern auch Informationen wie Anschlüsse, Kabel, Klemmen oder der Eingangskanal des Leitsystems.
Das wiederum bedeutet, dass das Modell die Informationen sämtlicher beteiligter Disziplinen in sich vereinen können muss. Das heißt, jedes „Gewerk“, von Prozess- über Electrical-Engineering bis zur Leitsystem-Programmierung, bearbeitet ein und dasselbe Objekt aus seiner Sicht und vervollständigt und detailliert es mit seinen Fachinformationen, die dann für alle sichtbar sind.
Dazu ist zentrale Verfügbarkeit essenziell. All diese Informationen müssen in einem Modell liegen statt in etlichen – und damit potenziell inkonsistenten – Teilmodellen, die alle auch nur „ihren“ Teilaspekt der Geräte abbilden. Die Inkonsistenzen entstehen dabei zum Beispiel durch vergessene Weitergabe von Änderungen einer Disziplin an die anderen, durch Bearbeitung eines falschen Versionsstandes in einer der Disziplinen oder durch Fehler bei der Datenübertragung von einem Werkzeug an ein anderes.
In einem zentralen Datenmodell passiert das nicht, denn jedes Objekt liegt nur einmal in der Datenbank und lässt sich disziplinübergreifend jederzeit von überall bearbeiten. Dazu gehört dann allerdings auch ein hochentwickeltes Änderungsmanagement mit detaillierter Rechtevergabe und entsprechender Transparenz der gesamten Versionshistorie.
Zentrales Modell statt Spezialtool-Sammlung
Viele Engineering-Werkzeuge sind recht weit von diesen Anforderungen entfernt. Meist handelt es sich dabei um historisch gewachsene „Engineering Suites“, also Sammlungen von Spezial-Tools. Ihr Zusammenwirken wird über Schnittstellen geregelt, die jedoch kein zentrales Modell ergeben. Da eine Suite naturgemäß viele Datenquellen enthält, kann sie nie die für Industrie 4.0 erforderliche „Single Source of Truth“ sein.
Mit einer Suite ist zum Beispiel auch keine effiziente Unterstützung von Predictive Maintenance (PdM) möglich, einem viel zitierten Thema von Industrie 4.0. Bislang werden vielerorts die PdM-Systeme noch „händisch“ beziehungsweise mithilfe von mühselig zu füllenden Listen und diversen Interfaces mit den passenden Engineering-Informationen separat „gefüttert“, damit sie die Zustandsdaten, die sie laufend aus dem Leitsystem erhalten, richtig interpretieren können.
Da zigtausende Signale in einem Leitsystem keine Seltenheit sind, ist der Aufwand dafür folglich enorm. Abstrakte Objekte, sogenannte „Interpretationen“, wie zum Beispiel Messtypen zur Druckmessung in einer Zuleitung, die zu funktionalen Beschreibung eines Sensors gehören, sind ohne zentrale Datenquelle nicht abbildbar, in Stromlaufplänen oder P&IDs tauchen sie gar nicht auf.
Enabler für Industrie 4.0
Aucotecs Plattform Engineering Base (EB) bietet mit ihrer mehrschichtigen Systemarchitektur genau diese disziplinübergreifende, zentrale Datenquelle für die Abbildung eines kompletten digitalen Anlagenzwillings. Jeder Engineering-Schritt jeder beteiligten Disziplin ist sofort in allen Bearbeitungssichten wie Explorer, Grafik oder Tabelle präsent.
Alle Beteiligten haben stets den aktuellen Stand einer Anlage vor Augen, navigierbar bis ins kleinste Detail. Ohne Interfaces, Mehrfacheingaben und andere Fehlerquellen. Dazu sorgt ein ausgeklügeltes Änderungsmanagement für die einfache Nachvollziehbarkeit aller Dateneingaben durch die gesamte Dokumentationskette. So bleibt vernetztes Arbeiten konsistent und übersichtlich.
Über seine gesamte Lebensdauer, von den ersten Voruntersuchungen über das komplette Engineering bis hin zur ständigen Aktualisierung während des Anlagenbetriebs, wird der digitale Zwilling konsistent und detailliert in EB abgebildet – eine Grundvoraussetzung für jede Digitalisierungsoffensive. Zusätzlich bietet das System eine Offenheit, die neben den eigenen Engineering-Daten auch heterogene, ans Engineering angeschlossene Informationen einbetten oder per Hyperlink zur Verfügung stellen kann.
Mit solchen Fähigkeiten wird Software wie Engineering Base zum Enabler für Industrie 4.0. Durch effizientes Engineering der Dinge, die Industrie 4.0 ausmachen.
Reinhard Knapp war auch als einer von 100 Machern der Prozessindustrie im vertreten. Zu seinem Beitrag gelangen Sie hier.