Die UniversalAutomation.Org definiert im Unterschied zu ähnlichen Organisationen keinen Standard, sondern stellt eine funktionierende technische Lösung bereit. Warum wurde dieser andere Ansatz gewählt?
Das Ziel der UniversalAutomation.Org ist das Vorantreiben der herstellerunabhängigen Automatisierung. Der dafür erforderliche Standard existiert mit der IEC 61499 bereits. Darin ist vorgesehen, dass Softwareanwendungen unabhängig von der zugrundeliegenden Hardware designt werden können. Auf Basis dieser IEC-Norm stellen wir unseren Mitgliedern eine Software-Komponente, eine Runtime Execution Engine, zur Verfügung, mit der sich der Ansatz einer Software- und Hardwareentkoppelung umsetzen lässt. Zum ersten Mal teilen sich IT-, OT- und Softwareanbieter, Endbenutzer, Systemintegratoren, OEMs, Start-ups und Hochschulen eine gemeinsame Automatisierungssoftwareebene für ihre Produkte und Lösungen – unabhängig von der Marke. Damit gehen wir einen großen Schritt weiter als viele andere Organisationen – wir sehen uns deshalb als Technology Enabler.
In der IT-Welt ist der Ansatz der herstellerunabhängigen Softwareprogrammierung schon seit 40 bis 50 Jahren gang und gäbe. Woran liegt es, dass dies in der Automatisierungswelt quasi Neuland ist?
Der Automatisierungsmarkt ist konservativ. Bisher hat jedes Unternehmen seine eigene Technologie vorangetrieben. Das Ergebnis: Am Markt existieren zwar sehr gute Technologien für den Echtzeitbetrieb, allerdings handelt es sich hierbei um proprietäre Systeme. Es werden folglich eine Masse an Daten gesammelt, allerdings kann der Anlagenbetreiber nur auf die Daten zugreifen, die der Anlagenhersteller ihm zur Verfügung stellt. Mit dem Gedanken von Industrie 4.0 hat dies wenig zu tun, da diese Produkte nicht für die Integration mit der IT-Welt geeignet sind. Die intelligente Produktion fordert mehr Effizienz und Flexibilität, den Einsatz von Augmented Reality. Die Investitionen dafür wären, wenn jedes Unternehmen weiterhin den Fokus nur auf sich selbst richten würde, viel zu hoch und für viele Unternehmen nicht zu stemmen. Dies haben wir mit Gründung der UniversalAutomation.Org aufgegriffen: eine Plattform zu entwickeln, von der jeder profitieren kann.
Welche Vorteile schafft eine Trennung von Hardware und Software?
Ein ganz wichtiger Vorteil ist mehr Effizienz. Denn, wenn es eine von der Hardware unabhängige Softwareschicht gibt, wird ein Baustein nur einmal programmiert und kann dann auch für andere Hardwaregegebenheiten wiederverwendet werden. Für die Anbieter von entsprechenden, wiederverwendbaren Softwarelösungen entstehen dadurch völlig neue Absatzmöglichkeiten. Gleichzeitig profitieren auch die Anwender, da eine einmal erworbene Softwarelösung deutlich länger in Gebrauch bleiben kann. Selbst eine Abkündigung von bestimmten Hardwaretechnologien bereitet dann kaum Probleme. Denn der Softwarelebenszyklus ist nicht mehr von der Hardware abhängig. Und noch etwas kommt hinzu: Nur wenigen Unternehmen steht die gesamte Bandbreite des Industrie 4.0-Know-hows zur Verfügung. Daher sind Lösungen gefragt, die auf Kollaboration und Ko-Innovation setzen. Mit Universal Automation machen wir das für die Automatisierung möglich. Denn dank der wiederverwendbaren Softwarebausteine muss das Rad nicht jedes Mal wieder neu erfunden werden. Bereits bewährte und praxiserprobte Software lässt sich ganz einfach für das eigene Projekt nutzen.
Für kleinere und mittelständische Unternehmen ist dies ein Pluspunkt. Häufig fehlt es hier zum einen an den finanziellen Mitteln das entsprechende Know-how in Form von Mitarbeitern einzukaufen, zum anderen an der Zeit, um sich mit solchen komplexen Themen auseinanderzusetzen.
Genauso ist es. Wir sind offen für jedes Unternehmen – einzige Voraussetzung für die Nutzung unserer Runtime ist, dass das Unternehmen Mitglied der UniversalAutomation.Org ist. Es gibt am Markt viele Produkte, die mit dem Zusatz Open Automation versehen sind. Hierbei handelt es sich allerdings um teilproprietäre Systeme. Wir bei UniversalAutomation.Org gehen aber ganz klar einen Schritt mehr – wir sprechen wirklich von Herstellerunabhängigkeit.
Software und Hardware werden bildlich auch häufig mit Gehirn und Muskel verglichen. Lassen sich diese wirklich trennen, wie man sich das in der Theorie vorstellt?
Das kann man sich tatsächlich so vorstellen. Bei der IEC 61499 ist das durch die Unterscheidung von Application-Model (die Erstellung von Programmen mithilfe von Softwarekomponenten beziehungsweise Funktionsblöcken) und Device-Model (die Hardwarearchitektur, auf der die Applikation laufen soll) ganz offensichtlich. Und erste Anwendungen, wo der Ansatz tatsächlich so gelebt wird, liegen ja auch bereits vor.
Wie definieren Sie zukunftsfähige Anlagen?
Zukunftsfähig ist für mich gleichzusetzen mit Flexibilität. Der Anlagenbetreiber besitzt die Flexibilität, seine Anlagen jederzeit modifizieren – weil es beispielsweise das Gesetz oder ein Kundenwunsch erfordert oder es einer Erweiterung dient. Zukunftsfähig bedeutet für mich, dass ich all diese Änderungen allein über die Software umsetzen lassen. Zukunftsfähig ist für mich aber auch die Entkoppelung von Soft- und Hardware – denn letztlich bedeutet dies auch eine Entkoppelung der Lebenszyklen von Software und Hardware. Wir sprechen ständig von Sustainability auf Produkteseite, die Entkoppelung liefert mir aber auch Sustainability für die Software.
Die IEC 61499 wurde 2005 veröffentlicht. Warum findet die IEC-Norm erst jetzt – nach 17 Jahren – Beachtung?
Es gab bereits Firmen, die mit der IEC 61499 gearbeitet haben. Inhaltlich zielt die Norm allerdings auf verteilte Steuerung und Intelligenz, also Informationsaustausch, ab. Hier ist sehr viel von der Netzwerkgeschwindigkeit abhängig. 2005 waren die Netzwerke aber noch nicht schnell genug, um die IEC 61499 richtig umzusetzen. Heute sprechen wir von Glasfaser, Gigabyte Netzwerken oder 5G – die Welt hat sich seitdem enorm weiterentwickelt, sodass eine erfolgreiche und praxistaugliche Umsetzung von IEC 61499 Anwendungen und Projekten nun tatsächlich möglich ist.
Die UAO wurde vor einem Jahr, im November 2021, gegründet. Welches Resümee ziehen Sie aus dem letzten Jahr?
Wir haben in dem einen Jahr sehr viel erreicht. 2021 haben wir mit neun Gründungsmitgliedern gestartet, heute unterstützen uns mehr als 30 Unternehmen. Das Thema Herstellerunabhängigkeit ist sehr gefragt – das merken wir immer wieder in Gesprächen mit Journalisten, Kunden und potenziellen Mitgliedern. Wir schaffen dafür Sichtbarkeit. Im Juni haben die ersten fünf Mitglieder Produkte auf Basis unserer Runtime gelauncht. Das ist ein großer Meilenstein für uns. Hier werden in Zukunft noch weitere folgen, denn das Thema „herstellerunabhängige Automatisierung“ hat Fahrt aufgenommen.
Führen Sie noch Diskussionen über die Vorteile eines offenen Ansatzes?
Verwehren kann sich diesem Ansatz niemand. Das Thema wird auch von Anlagenbetreibern forciert, da eine herstellerunabhängige Automatisierung klare Vorteile für den Kunden hat. Die Hersteller selbst tun sich teilweise noch schwer mit diesem Ansatz. Aber letztlich treiben wir hier einen richtigen Paradigmenwechsel voran – da werden in den nächsten Jahren noch viele Unternehmen umdenken müssen, die sich aktuell damit noch schwertun.
Welche Ziele setzen Sie sich für die Zukunft?
Wir möchten 2025 etwa 100 Mitglieder verzeichnen. Dies ist ein sehr ambitioniertes Ziel. Dafür müssen wir weiterhin sichtbar bleiben. Wir arbeiten hierfür viel mit Social Media. Messen stehen ebenfalls in unserem Fokus – wir waren auf der Hannover Messe, wir haben das Thema im Juni in Amerika vorangebracht, auf der nächsten SPS stellen wir auch aus. Noch befinden wir uns in der Phase, in der wir zur herstellerunabhängigen Automatisierung viel erklären müssen – letztlich dies aber ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Industrie 4.0.