Zellulose-Nanofibrillen Seegurken-inspiriertes Material wechselt auf Knopfdruck von fest zu weich

Seegurken besitzen eine besondere Methode, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Forscher aus Mainz haben sie sich zunutze gemacht.

Bild: iStock, SerrNovik
24.03.2021

In Mainz ist ein hauchdünnes Material entwickelt worden, das seinen Zustand über einen elektrischen Schalter augenblicklich ändern kann. Das variable Nanopapier ist unter anderem für Dämpfungsmaterialien interessant. Inspiriert ist es von Seegurken.

Einem Forschungsteam um den Chemiker Prof. Dr. Andreas Walther von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist es gelungen, Nanopapier mit einer bioinspirierten Eigenschaft auszustatten. Das steife Material wird weich und elastisch, sobald elektrischer Strom fließt, und wieder hart, wenn der Stromfluss stoppt.

„Wir haben das Material mit einem Mechanismus versehen, sodass die Festigkeit und Steifheit über einen elektrischen Schalter moduliert werden kann“, erklärt Walther. Aus Anwendungsperspektive könnte diese Schaltbarkeit beispielsweise für Dämpfungsmaterialien interessant sein. An der Entwicklung waren neben der JGU Wissenschaftler der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und des DFG-Exzellenzclusters livMatS beteiligt.

Vorbild vom Meeresboden

Als natürliches Vorbild für das flexible Nanopapier nahmen sich die Forscher Seegurken. Die Meeresbewohner verfügen über einen besonderen Verteidigungsmechanismus: Wenn sie von Fressfeinden attackiert werden, können die Tiere ihr Gewebe anpassen und verstärken, sodass ihr weiches Äußeres unmittelbar versteift. „Das ist ein adaptives mechanisches Verhalten, das fundamental gesehen schwierig nachzubilden ist“, sagt Walther.

Mit der Neuentwicklung ist es seinem Team nun gelungen, das Grundprinzip mit einem attraktiven Material und einem ebenfalls attraktiven Schaltmechanismus in abgewandelter Form nachzuahmen. Die Wissenschaftler haben hierzu Zellulose-Nanofibrillen verwendet, die aus der Zellwand von Bäumen extrahiert und aufgearbeitet werden.

Nanofibrillen sind noch feiner als Papier-Mikrofasern und ergeben ein komplett durchsichtiges, fast glasartiges Papier. Das Material ist steif und zugfest und wird im Leichtbau eingesetzt. Seine Eigenschaften sind mit denen von Aluminiumlegierungen vergleichbar. Doch sobald Strom fließt, wird es eben durch speziell designte molekulare Veränderungen flexibel.

„Das ist außergewöhnlich. Alle Materialien um uns herum sind wenig veränderlich, sie wechseln nicht ohne Weiteres von steif auf elastisch und umgekehrt“, erklärt Walther. „Hier können wir das mithilfe von Strom auf leichte und elegante Weise bewerkstelligen.“

Die Entwicklung aus Mainz entfernt sich damit von klassischen statischen Materialien hin zu solchen, deren Eigenschaften adaptiv anpassbar sind. Das ist für mechanische Stoffe relevant, die sich auf diese Weise bruchresistenter gestalten lassen, oder für adaptive Dämpfungsmaterialien, die beispielsweise bei Überlastung von steif auf nachgiebig wechseln.

Autonomes Ein- und Ausschalten durch Energiespeicher

Auf molekularer Ebene läuft der Vorgang folgendermaßen ab: Wird das Ausgangsmaterial durch Stromzufuhr erwärmt, werden Vernetzungspunkte reversibel gebrochen. Das Material erweicht als Funktion der angelegten Spannung. Das heißt: Je höher die Spannung, desto mehr Vernetzungspunkte brechen und desto weicher wird das Material.

Beim Punkt der Stromzufuhr setzt auch die Zukunftsvision von Walther an: Während aktuell noch eine Stromquelle benötigt wird, um die Reaktion zu starten, ist das nächste Ziel ein Material mit einem eigenen Energiespeichersystem, sodass die Reaktion praktisch intern ausgelöst wird. Eine Überlastung könnte dann beispielsweise automatisch eine Dämpfung auslösen.

„Jetzt müssen wir den Schalter noch selbst umlegen“, sagt Walther. „Aber unser Traum wäre es, dass das Materialsystem dies von sich aus bewerkstelligen kann.“

Weitere Details zum Nanopapier

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  • Die Steifheit des Zellulose-Nanopapiers ändert sich mit der Stromzufuhr. Einen ähnlichen Mechanismus nutzen Seegurken zur Verteidigung vor Fressfeinden.

    Die Steifheit des Zellulose-Nanopapiers ändert sich mit der Stromzufuhr. Einen ähnlichen Mechanismus nutzen Seegurken zur Verteidigung vor Fressfeinden.

    Bild: Prof. Dr. Andreas Walther, Universität Mainz

  • Prof. Dr. Andreas Walther ist einer der Gründer des Freiburger Exzellenzclusters „Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems“ (livMatS) und seit Oktober 2020 Professor für makromolekulare Chemie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

    Prof. Dr. Andreas Walther ist einer der Gründer des Freiburger Exzellenzclusters „Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems“ (livMatS) und seit Oktober 2020 Professor für makromolekulare Chemie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

    Bild: Privat

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