Gerade im Luxussegment zeichnen sich Hochglanzoberflächen durch ihre Makellosigkeit aus und verlieren durch Mikrokratzer an Wert. Der neue Lack, der vom Leibniz-Institut für Neue Materialien INM und der Universität des Saarlandes entwickelt wurde, soll nun Abhilfe schaffen. Auf der Hannover Messe 2019 ist er zudem in Live-Demonstrationen zu sehen.
Molekül-Perlen füllen Kratzer aus
Für die netzartige Struktur der Lacke verwenden die Wissenschaftler ringförmige Abkömmlinge der Maisstärke, sogenannte Cyclodextrine. Diese fädeln sie wie Perlen auf langkettige Kunststoffmoleküle auf. In den so entstehenden Polyrotaxanen sind die Cyclodextrine auf dem Kunststofffaden auf bestimmten Streckenabschnitten frei beweglich und werden durch sperrige Stoppermoleküle am Abfädeln gehindert. Über eine chemische Reaktion werden die Perlenketten untereinander vernetzt.
„Das entstehende Netzwerk ist beweglich und elastisch wie ein Strumpf“, erklärt Carsten Becker-Willinger, Leiter des Programmbereichs Nanomere am INM. Bei Wärmeeinwirkung wandern die Cyclodextrin-Perlen entlang der Kunststofffäden in den Bereich des oberflächlichen Kratzers zurück und gleichen so die durch den Kratzer gebildete Lücke wieder aus.
Zusatzstoffe erhöhen Widerstandsfähigkeit
Für einen funktionsfähigen Lack mit höherer mechanischer Stabilität und Witterungsbeständigkeit veränderten die Wissenschaftler am INM die Zusammensetzung der Polyrotaxane durch Zugabe weiterer Inhaltsstoffe, wie Heteropolysiloxane und anorganischer Nanopartikel. So konnten sie gleichzeitig auch die ursprüngliche Reparaturzeit von mehreren Stunden auf nur wenige Minuten verringern.
„Im Rahmen zahlreicher Applikationsversuche für unterschiedliche Mischungsverhältnisse in Kombination mit künstlichen Bewitterungstests untersuchten wir vorlackierte Oberflächen, auf die wir den neuen Lack als Decklack auftrugen“, sagt der Chemiker Becker-Willinger. Nun sei es möglich, Mikrokratzer in nur einer Minute bei 100 °C verschwinden zu lassen. Bei ihren Testreihen berücksichtigten die Forscher die üblichen ISO-Richtlinien der Lackindustrie. „Nur wenn wir diese Normrichtlinien erfüllen, ist eine industrielle Anwendung denkbar“, so Becker-Willinger.
Zurzeit arbeiten die Wissenschaftler daran, die Produktion des Lackes aus dem Labor- in den Technikumsmaßstab überzuführen. Erst dann sei die Grundlage für eine Produktion im größerem Maßstab gelegt. Für den nächsten Schritt der Umsetzung der Entwicklung in Anwendungen ist das INM offen für Kooperationen mit interessierten Unternehmen.
Hintergrund zur Forschungsarbeit
Der Lack wurde im Rahmen des Forschungsprojektes Selbstheilende Fahrzeuglacke auf Basis von Cyclodextrin-Polyrotaxanen in der Fördermaßnahme VIP+ seit 2016 mit insgesamt 1,1 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. VIP+ hat sich zum Ziel gesetzt, die Lücke zwischen ersten Ergebnissen aus der Grundlagenforschung und einer möglichen Anwendung zu schließen. Damit werden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Vorhaben von bis zu drei Jahren mit bis zu 1,5 Millionen Euro gefördert.