Thermphos gehört zu den weltweit größten Herstellern von Phosphorprodukten. In Epierre in Frankreich plante der Konzern, die Kapazitäten einer vorhandenen Anlage zur Produktion von Phosphorsäure mit mehreren Produktionslinien zu erweitern. Dazu beauftragte das Unternehmen den industriellen Dienstleister Infraserv Knapsack sowohl mit dem Basic und Detail Engineering als auch mit der Planung, Lieferung und Projektierung eines Prozessleitsystems (DCS) einschließlich einer sicherheitsgerichteten Steuerung (SCS) sowie mit dem Bau der benötigten Schaltschränke. Da Thermphos möglichst viele Anlagenkomponenten nach dem Abschluss der Erweiterungsmaßnahmen wieder verwenden wollte, mussten vorhandene verfahrenstechnische Apparate sowie die bestehende EMSR-Gerätetechnik und -Infrastruktur auf einen erneuten Einsatz in der erweiterten Anlage geprüft werden - in Bezug auf die Kompatibilität der vorhandenen EMSR- mit der neuen DCS/SCS-Technik. „Sofern wir es aus sicherheits- und betriebstechnischen Gründen vertreten konnten, haben wir die Technik so angepasst, dass vorhandene Geräte wieder verwendet werden konnten“, erklärt Edwin Elias, Leiter des Geschäftssegments Automatisierungstechnik bei Infraserv Knapsack. Komplett neu kam die sicherheitsgerichtete Steuerung hinzu. Besondere Herausforderung im Projekt bildeten die kleinen Zeitfenster für die Umschlüsse der Automatisierungstechnik, da die Produktion möglichst schnell wieder angefahren werden sollte. Infraserv Knapsack entschied sich deshalb für den Einsatz eines Simulationstools, um sowohl die DCS- und SCS-Systemtechnik als auch die Anwendersoftware im Vorfeld auf ihren Funktionsablauf zu prüfen. Dabei kam WinMOD zum Zug, ein System, mit dem reale Anlagen und Maschinen dynamisch in Echtzeit nachgebildet werden können. Die Simulation tritt beim Test an die Stelle der realen Anlage und ermöglicht es, unterschiedliche Testfälle über die Veränderung des Anlagenverhaltens durchzuspielen. Darüber hinaus lassen sich reale Automatisierungssysteme direkt an die Anwendung ankoppeln. Grundsätzlich erlauben Simulationstools unterschiedliche Prüftiefen. In der einfachsten Variante werden Ein- und Ausgangssignale nachgebildet. Bei einem solchen Schalterpult - auch „Mäuseklavier“ genannt - entspricht das Prozessabbild der Schnittstelle zur Steuerungstechnik. Allerdings wird hier lediglich der Signalweg überprüft. Darüber hinausgehende Prüfungen lassen sich nur sehr aufwendig durchführen. Dagegen bietet die höchste Prüftiefe ein genaues Abbild des Prozesses. In dieser Variante werden auch Rückwirkungen von Geräten - etwa der Füllstand eines Tanks - auf den Prozess angezeigt. Durch die große Detailtiefe lässt sich diese Anwendung sogar für Trainingszwecke für Anlagenfahrer nutzen. Allerdings schlagen die Kosten häufig mit 50 bis 75Prozent der gesamten Softwareplanungskosten zu Buche. „Bei größeren Projekten sind dann schnell Summen im sechsstelligen Bereich erreicht“, sagt Elias. „Deshalb bietet sich dieser Detaillierungsgrad insbesondere für Neuanlagen an, bei denen jeder Tag, den eine Anlage früher ans Netz geht, die Kosten reduziert.“ Infraserv Knapsack entschied sich im Thermphos-Projekt für einen Mittelweg. Dabei wird der Prozess auf Basis von Grundfunktionselementen abgebildet und das Verhalten der Antriebe und Signalgeber simuliert. Im Hinblick auf die technische Einrichtung entspricht diese Detailtiefe dem Abbild der jeweiligen Anlage, Behälterfüllstände werden nicht betrachtet. Die Simulation der Grundfunktionselemente bietet einige wesentliche Vorteile. Zum einen kann die Simulationssoftware immer im gleichen Zustand verbleiben. �?nderungen am Automatisierungs- oder Prozessleitsystem sind nicht nötig. Dadurch erhöht sich die Qualität der Aussagen, Fehler werden minimiert. Darüber hinaus bleibt die Akzeptanz bei Programmierern und Inbetriebnehmern gesichert. Oftmals leiden Systeme zur virtuellen Inbetriebnahme daran, dass die Software in Teilen geändert werden muss, um aussagekräftige Tests durchführen zu können. Hinzu kommt, dass die Investitionen für die Applikation nur bei rund 15 bis 25Prozent der Automatisierungskosten liegen. Elias: „Dadurch rechnet sich das Werkzeug auch bei kleineren Anwendungen.“
Systemaufbau im Prüffeld
Infraserv Knapsack nutzte das Simulationstool insbesondere beim Factory Acceptance Test (FAT) und setzte es zusätzlich zum Systemaufbau im Prüffeld ein. So wurde der Anlagenbetrieb in seinen Grundfunktionselementen in Verbindung mit den DCS- und SCS-Programmen simuliert. „In Verbindung mit dem Systemaufbau im Prüffeld konnten wir so alle DCS/SCS-Komponenten sowie Programmabläufe und Verriegelungen vor Auslieferung des Systems bis ins letzte Detail testen und notwendige Anpassungen vornehmen“, sagt Elias. „Dies erhöhte die Güte der Auslieferungsqualität und sorgte für einen reibungslosen Ablauf bei der eigentlichen Inbetriebnahme. Thermphos konnte darüber hinaus noch vor der Auslieferung der Systeme sicher sein, dass die Liefereigenschaften auch den Anforderungen entsprechen“, beschreibt Elias einen weiteren Vorteil. „Der Einsatz des Simulationstools fand dementsprechend Zustimmung.“ Insgesamt wurden 410Signale verarbeitet, sie entsprechen rund 150Grundfunktionselementen. Davon waren etwa 60Signale sicherheitsrelevant (SIL2). Gleichzeitig konnte ein Großteil der Planungs- und Vorbereitungsmaßnahmen bis zum FAT durch erfahrene Fachkräfte parallel zur laufenden Produktion erfolgen. Elias hält dabei den Einsatz von getrennt arbeitenden Programmierern für einen wesentlichen Aspekt des Erfolgs einer Simulation: „Zwei unabhängige Personen machen kaum denselben Fehler in der Projektierung der Anwendersoftware und der Simulation.“
Verkürzte Stillstandszeiten
Der Einsatz des Simulationstools vor der Auslieferung sorgte in der Inbetriebnahmephase für eine erhebliche Verkürzung der Stillstandszeit in der französischen Thermphos-Anlage bei gleichzeitig vollständiger Systemprüfung. Ein echtes Plus, stand doch für die Umschlüsse des Automatisierungssystems und der sicherheitsgerichteten Steuerung sowie für die Tests an der Anlage jeweils nur wenig Zeit zur Verfügung. Nach der Überprüfung der Messkreise vor Ort (Loop check) war es sehr schnell möglich, in die Produktionsphase zu wechseln. Testfahrten zum Überprüfen der Abläufe mit angebundenen verfahrenstechnischen Apparaten wurden auf ein Minimum beschränkt. Zudem ließen sich kritische Anlagenzustände vermeiden, da alle Abschaltungen wie vorgesehen reagierten. „Gerade Probleme, die bei einer Produktfahrt zu Tage treten, können die Inbetriebnahme deutlich verzögern, weil eventuell Zeiten für die Abkühlung von Behältern oder Reaktoren eingehalten werden müssen“, weiß Elias. „Da eine Inbetriebnahme meist nach Zeit und Aufwand abgerechnet wird, ermöglicht der Einsatz eines Simulationstools auch für den Kunden eine deutlich höhere Planungssicherheit.“ Darüber hinaus sind Fehler, die während einer solchen Produktfahrt auftreten, schneller zu lokalisieren, da sie bei erfolgreichem FAT nur aus dem Feld und nicht von der Software stammen können. Die Mitarbeiter von Infraserv Knapsack konnten daher die Inbetriebnahme der Anlage in der vom Kunden geforderten kurzen Umbauzeit realisieren.