Das gute Essen lockt viele Menschen nach Lyon. Aber nicht nur die verwöhnten Gaumen kommen in die „Hauptstadt des Essens“, wie sie von den Franzosen genannt wird. Lyon hat auch sonst einiges zu bieten: Der Freizeitwert ist hoch, die Mieten durchaus annehmbar, die Verkehrslage günstig. So zieht es immer mehr Menschen in die Hauptstadt der Region Rhône-Alpes im Südosten Frankreichs. Sie kommen um zu studieren und bleiben oft, um zu arbeiten, eine Familie zu gründen. Doch wo sollen alle hin? Der Platz in der Kernstadt mit einer halben Million Einwohnern ist begrenzt, das bringen schon die altgewachsenen Strukturen mit sich – bereits im ersten Jahrhundert vor Christus wurde die Stadt gegründet. Das Zentrum erstreckt sich auf einer Fläche von etwa 150 Hektar und genau diese Fläche bebaut die Stadt zurzeit erneut. Wo sich früher Hafen und Industrie befanden sowie viel ungenutzte Brachfläche entsteht anschließend an das historische Zentrum das zweite Zentrum der Stadt zwischen den Flüssen Rhône und Saône.
Der Zusammenfluss
Spiegelt das alte Zentrum das historische Lyon wider mit gotischer sowie Renaissance-Architektur, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, zeigt sich das neue Zentrum „La Confluence“ jung, bunt und experimentell. Es soll einen hohen Freizeitwert bieten mit neuen Wohnungen, vielen öffentlichen Plätzen, Einkaufszentren, Ausgehmöglichkeiten und einer guten Verkehrsanbindung. Ziel ist es, etwa 200.000 neue Bürger unterzubringen. Außerdem sollen sich viele Arbeitgeber dort ansiedeln.
Die Umwelt und das soziale Gleichgewicht spielen in La Confluence eine große Rolle. Für eine gemischte Bevölkerung soll sich Wohnraum jeder leisten können. Nach dem Motto „Häuser für alle“ werden 25 Prozent Sozialwohnungen entstehen, 15 Prozent für Haushalte mit mittlerem Einkommen und weitere 10 Prozent „bezahlbare“ Wohnungen. 50 Prozent der Wohnfläche sind ohne Beschränkung für den freien Markt bestimmt.
Wichtig ist den Projektleitern auch die Energiebilanz der Gebäude. Sie sollen immer weniger Energie verbrauchen und diese soll aus erneuerbaren Energien kommen. Das Ziel ist „Null Energie“ bis 2030. Frankreichs Wärmerichtlinie für Gebäude von 2012 fordert einen Primärenergieverbrauch von weniger als 50 kWh/m²/Jahr. Die ersten Blocks, die im Viertel entstanden, verbrauchen 30 bis 60 kWh/m²/Jahr, die zweite Gebäudegeneration verbraucht 15 bis 30 kWh/m²/Jahr und einige zukünftige Gebäude sollen 0 bis 15 kWh/m²/Jahr erreichen. Dafür werden neueste Technologien eingesetzt für die Isolation der Gebäudehüllen und die Klimatisierung. Auch sind für Kühlzwecke viele Hausdächer begrünt. Solaranlagen und Holz als Rohstoff decken 80 Prozent des Energiebedarfs des Viertels. In den nächsten zwei Jahren sollen außerdem Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen Elektrizität und Wärme aus Holz bereitstellen.
Energieeffizienz im Fokus
Ein Bauprojekt, das noch mehr als alle anderen die Umweltaspekte in den Vordergrund stellt, ist „Hikari“ (japanisch: Licht). Der Komplex ist ein Werk des japanischen Architekten Kengo Kuma und erstreckt sich über drei Gebäude. Mit Geschäften, Büros und Wohneinheiten ist es der erste gemischte Komplex mit Energie-Plus-Gebäuden in Europa. Die Gebäude werden von Bouygues Immobilier und SLC Pitance gebaut, die technische Ausstattung für die Siedlung liefert die Firma Toshiba. Das Hauptziel ist eine „Smart Community“ mit Fokus auf Energieeffizienz und Elektroautos. Die Gebäude sind mit Solaranlagen, Brennstoffzellen und LEDs ausgestattet und generieren mehr Energie als sie selbst verbrauchen. Es soll so viel natürliches Licht wie möglich eingefangen werden, um wenig Strom für Licht zu verbrauchen. Energie-Monitoring-Systeme in den Wohnungen ermöglichen den Bewohnern, ihren Energieverbrauch und -bedarf selbst zu regeln. Außerdem wird es ein Kontrollsystem für die Energieverbrauchsdaten des gesamten Modellkomplexes geben. Die Bereitstellung von Elektro-Autos für Carsharing ist ein weiterer Punkt. Der Bau wird im Juni 2015 abgeschlossen sein. 22 der 36 Wohnungen in den Hikari-Gebäuden sind bereits verkauft
Die erste Bauphase von La Confluence ist mit 40 Prozent der Gesamtfläche abgeschlossen. Ziel der begonnenen zweiten Phase unter der Leitung des Architekturbüros Herzog & de Meuron ist eine gemischte Quartiersplanung mit Büroräumen, Wohnungen, Geschäften und öffentlichen Einrichtungen sowie einer Fußgängerpromenade.
Kostengünstige Mieten
Auch Unternehmen schätzen die Lage des „neuen Zentrums“. Viele europäische und amerikanische Firmen investieren in „grüne“ Büros. Außerdem spielen die vergleichsweise günstigen Mieten eine Rolle. Zahlt man in Paris etwa 700 Euro pro Quadratmeter im Jahr, sind es hier nur rund 200 Euro.
Viele Firmen siedeln sich in Lyon jedoch im Viertel Part-Dieu an. Es ist nach La Défense in Paris das zweitgrößte Geschäftsviertel Frankreichs. Es gehört zu einem städtebaulichen Großprojekt und soll zu einem gemischten Quartier mit modernen urbanen Dienstleistungen heranwachsen. Da viele Gebäude aus den 1970er Jahren stammen, genügen sie heute nicht mehr den Anforderungen einer modernen Stadt. Viele werden daher umgebaut, neue Hochhäuser entstehen, um mehr Platz für Büros, Geschäfte, Hotels und Restaurants zu schaffen. Bereits heute bieten die 135 Hektar 650.000 m2 Bürofläche, 200.000 m2 Wohnfläche, 35.000 Jobs und 200.000 m2 Platz für Dienstleistungen, Läden und Hotels.
Beliebt ist das Viertel bei Unternehmen außerdem, weil es einen Bahnhof mit Schnellzug-Anschluss (TGV, Train à Grande Vitesse) hat und von dort viele Verbindungen mit regionalen Verkehrsmitteln wie Zügen, Straßenbahnen und Bussen bestehen. In 30 Minuten ist man mit einem Shuttle am internationalen Flughafen der Stadt. Schnell ist man auch in weiteren Vierteln wie „Carrée de Soie“, „Gerland“ und „Confluence“.
Doch der Verkehrsknotenpunkt kommt an seine Grenzen und kann den großen Besucherströmen nicht mehr gerecht werden. Darum plant die Stadt einen Umbau des vorhandenen Bahnhofs, der die doppelte Anzahl an Passagieren befördern kann. Bis 2026 soll das gesamte Projekt fertiggestellt sein.
Aufgrund dieser vielen Faktoren (Mietpreise, Verkehrsanbindung, Freizeitwert) zieht es immer mehr Unternehmen in die Region. Im Baromètre France 2013 liegt Lyon auf Rang neun der attraktivsten Städte in Europa. 2013 siedelten sich viele große Unternehmen hier an. Darunter Impfstoffhersteller Sanofi mit seiner Welt-Konzernzentrale und das Energieunternehmen Alstom, das bis 2015 1700 Arbeitsplätze schaffen will.
Studenten und Sterneköche
Lyon ist außerdem eine Studentenstadt. Auf 19 Fakultäten verteilt und mit ungefähr 130.000 eingeschriebenen Studenten ist die Universität von Lyon der größte universitäre Komplex außerhalb des Großraums Paris. Das Angebot an Fachrichtungen reicht von den Geistes- und Sozialwissenschaften über Ingenieurs- und Technikstudiengänge bis zum Medizinstudium. Und auch für sie wird der Platz knapp und es entstehen neue Unigebäude und Studentenwohnungen. Zum Beispiel wird dafür ein altes Gefängnis umgebaut und umfunktioniert.
Die schöne Altstadt und die gute Küche Lyons ziehen jedes Jahr viele Touristen an. Zu den bestehenden 210 Hotels mit 13.500 Zimmern kommen neue hinzu. Bei den Essensmöglichkeiten haben die Reisenden die Qual der Wahl. Etwa 4000 Restaurants zählt die Stadt, davon 14 Sterne-Restaurants (Guide Michelin 2013). Darunter auch das des berühmtesten Kochs des Landes, wenn nicht sogar der Welt: Paul Bocuse. Doch wer in den Genuss seiner Kochkünste kommen möchte, sollte sich beeilen. Bocuse ist bereits 88.