In der Produktion eines Automobilzulieferers wird flüssiger Kunststoff mit Hilfe von Druckluft in ein Presswerkzeug geleitet. Bevor die Spritzgussform wieder geöffnet werden kann, muss die heiße Luft über eine Entlastungsleitung abgelassen werden. Würde sie – etwa bei einem Defekt – unkontrolliert entweichen, könnte dies zur Gefahr für die Mitarbeiter werden. Eine Schutzvorrichtung soll die Druckluft in diesem Fall ablenken und zur Sicherheit beitragen. Doch wie muss sie dimensioniert sein? Welchem Druck muss sie standhalten?
Um diese Fragen zu beantworten, hat der Automobilzulieferer Sachverständige von TÜV Süd damit beauftragt. Sie sollten mit fluiddynamischen Berechnungen prüfen, welchen Kräften die Schutzvorrichtung standhalten muss und Vorschläge für die Dimensionierung machen. Dafür waren vor allem zwei Parameter entscheidend: Zum einen die Strömungsgeschwindigkeit, mit der die Druckluft aus der Anlage entweicht; zum anderen der Luftmassestrom, also die Menge der austretenden Luft. Beide entwickeln sich während des Öffnungsvorgangs zeitversetzt. Direkt nach dem Öffnen ist der Druckunterschied zwischen dem Inneren und Äußeren der Form am größten und damit auch die Strömungsgeschwindigkeit. Allerdings ist der Luftmassestrom anfangs noch gering, da der Strömungsquerschnitt – also die Spaltbreite, durch die die Luft austritt – zum Öffnungszeitpunkt noch gering ist, dann aber schnell zunimmt.
Die Simulation zeigt, dass vom Öffnen des Werkzeugs bis zum vollständigen Entweichen der Luft weniger als eine Sekunde vergeht. Zugleich wurde über die Impulsänderung die Krafteinwirkung berechnet. Auf der Grundlage der Ergebnisse konnte schließlich festgelegt werden, wie Schürze und Verankerung konstruiert sein müssen.
Anlage zur Wasserstoff-Gewinnung überprüft
In zahlreichen Produktionsprozessen werden Wasserdampf, Druckluft, Erdgas, Wasserstoff und andere Gase eingesetzt – sie dienen als Energieträger, als Arbeitsmittel bei thermischen Verfahren oder werden als Edukt beziehungsweise Produkt verarbeitet. Bereits bei der Planung entsprechender Anlagen müssen die physikalischen Eigenschaften berücksichtigt werden; bei entzündlichen Gasen zudem die spezifische Reaktionsfreudigkeit als chemische Eigenschaft. Hinzu kommen die Zustandsgrößen Druck, Temperatur und Volumen beziehungsweise Stoffmenge. Sie beschreiben den energetischen Ruhezustand der Gase. Anhand von mathematischen Modellen können die Experten des TÜV Süd berechnen, wie sich die eingesetzten Gase im Regel- und im Ausnahmefall verhalten und welche Sicherheitsmaßnahmen Betreiber treffen sollten.
So haben die Sachverständigen das Sicherheitskonzept eines Unternehmens überprüft, das Anlagen zur Wasserstoff-Gewinnung herstellt. Alle Geräte, die dort produziert werden, durchlaufen vor der Lieferung an den Kunden eine Prüfung in einer Testeinrichtung. Dort allerdings wird der gewonnene Wasserstoff nicht gespeichert, sondern in die Atmosphäre abgelassen. Dabei sieht das Sicherheitskonzept vor, die Leitungen mit Stickstoff zu inertisieren, um ein kritisches Wasserstoff-Sauerstoff-Verhältnis zu verhindern, bei dem es zu einer Knallgas-Reaktion kommen könnte.
Simulation eines Stromausfalls
Im Rahmen der TÜV-Süd-Analyse wurde nun angenommen, dass während eines solchen Tests ein Feuer zu einem Stromausfall führt. In diesem Fall muss der Wasserstoff sofort aus den Elektrolyseuren ausgeblasen werden. Dazu ist die Anlage so konzipiert, dass sich elektromagnetische Ventile öffnen und den Wasserstoff direkt in das Abgassystem entlassen. Auch die Stickstofftanks zur Intertisierung sind mit solchen Ventilen ausgestattet. Würde dies aber am Auslass zu einer kritischen Wasserstoff-Sauerstoff-Konzentration führen?
In der Simulation bildeten die Sachverständigen das Abgassystem numerisch ab. Dabei berücksichtigten sie Maschen und deren Verzweigungen mit unterschiedlichen Rohrparametern wie Leitungslänge, Leitungsquerschnitt und Oberflächenbeschaffenheit, sprich Rauigkeit, auf der Rohrinnenseite. Mithilfe der Zustandsgleichungen für ideale und reale Gase sowie den Erhaltungssätzen für Masse und Energie konnten sie die konkreten Strömungsverhältnisse und Gaszustände im Abgassystem und am Auslass ermitteln. Dabei nutzten sie numerische Simulationen, um die Wechselwirkungen der physikalischen Zustandsparameter und die instationäre kompressible Strömung zeitlich aufgelöst zu erfassen.
Hier zeigte sich, dass der Wasserstoff zunächst in die Elektrolyseure zurückgepresst wird, da in den Stickstofftanks ein deutlich höherer Druck herrscht. Erst wenn ein Druckausgleich stattgefunden hat, werden Wasserstoff und Stickstoff gemeinsam ausgeleitet. Dabei kamen die Experten vom TÜV Süd zu dem Schluss, dass an der Austrittsstelle ein explosives Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch nicht ausgeschlossen werden konnte, sodass ein sicherer Betrieb unter den gegebenen Umständen nicht möglich war. Mit den Ergebnissen der Berechnungen konnte der Betreiber das Sicherheitskonzept den konkreten Anforderungen anpassen.
Unfallursachen im Heizkraftwerk aufklären
In einem anderen Fall wurde der TÜV Süd hinzugezogen, um die Unfallursache in einem Heizkraftwerk zu klären. Ein Mitarbeiter war hier durch austretenden Wasserdampf verletzt worden. Die Sachverständigen sollten klären, warum und wie schnell der heiße Dampf aus einem Verdampferrohr, das im Feuerraum geplatzt war, in den Beschickungsbunker der Anlage gelangen konnte.
Die Analyse ergab: Als Speisewasser durch das geplatzte Rohr in den Feuerraum eintrat und partiell verdampfte, dehnte sich sein Volumen um mehr als das Tausendfache aus. Grund dafür war der deutlich geringere Druck sowie die hohe Temperatur im Feuerraum. Diese Ausdehnung führte zu einem so schnellen und hohen Druckanstieg, dass Rauchgas und Dampf über den Kamin, die Frischluftzufuhr und den Beschickungsbunker herausgepresst wurden, in dem sich der Mitarbeiter aufhielt.
Sicherheitsrisiken analysieren, Gefahren abwenden
Das Verhalten eingesetzter Gase genau zu kennen, ist essentiell, nicht nur für einen effizienten und reibungslosen Produktionsprozess. Es kann darüber entscheiden, ob gravierende Gefahren für Mitarbeiter, Anlagen und Umwelt bestehen und ob aus einem Störfall ein ernsthafter Unfall wird. Mit fluiddynamischen Modellen können Experten genau analysieren, wo Sicherheitsrisiken zu finden sind und wie sie sich beherrschen lassen, auch wenn es zu Unregelmäßigkeiten im Produktionsprozess kommt.