Einblicke in die deutsche Logistik Wenn die Logistik zur Stütze der Energiewende wird

Kuno Neumeier ist CEO der Logivest Gruppe.

Bild: Logivest
03.04.2023

Im März 2020 standen die Bundestagsabgeordneten aller Parteien gleichzeitig auf und applaudierten. Dieser Beifall galt Ärzten, Pflegekräften und allen anderen, die die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen. Dazu gehörten – und gehören – meiner Meinung nach auch klar die Logistiker, die das Rückgrat der Wirtschaft bilden und nicht nur Unternehmen, sondern ganze Städte am Laufen halten. Dennoch ist das Image der deutschen Logistik weiterhin ausbaufähig. Der drittgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland wird mit hohem Verkehrsaufkommen, Lärm, Schadstoffbelastung und Flächenfraß in Verbindung gebracht.

Aktuell hat die deutsche Logistikbranche – und speziell das Immobiliensegment – die Chance, einen weiteren gesellschaftlich sehr wichtigen Beitrag zu leisten und das eigene Image zu verbessern. Die Rede ist von der Energiewende. Schließlich gibt es trotz der hohen Dringlichkeit noch keine klare Lösung, wie der Ausbau der grünen Energieinfrastruktur von zentraler Stelle in den kommenden Jahren bewältigt werden kann. Die Politik steht vor einer Mammutaufgabe, für die sie auf Unterstützung aus der Wirtschaft angewiesen ist.

Jahr für Jahr entstehen mehrere Millionen Quadratmeter Logistikfäche. Die Dach- und Fassadenbereiche dieser Immobilien könnten ideal mit Photovoltaikpaneelen ausgestattet werden. In der Realität wird das zwar inzwischen regelmäßig umgesetzt – jedoch nicht in dem Ausmaß, das möglich und auch wirtschaftlich sinnvoll wäre.

Kein Wunschdenken, sondern wirtschaftliche Notwendigkeit

Der Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Energiekrise haben dafür gesorgt, dass die Nebenkosten und damit die sogenannte zweite Miete bei konventionellen Logistikimmobilien stark gestiegen sind. Eine Rückkehr der Preise auf Vorkrisenniveau erscheint sehr unrealistisch. Dementsprechend groß ist der Druck für Projektentwickler, aber auch für die dahinterstehenden Investoren, alternative Immobilienkonzepte zu bieten.
Lange Zeit lautete das geflügelte Wort dabei „Klimaneutralität“, also ein kompletter Ausgleich der entstehenden CO2-Ausstöße durch die auf dem Areal produzierte Energie. Die Anstrengungen können und sollten aber deutlich weitergehen. Durch einen klimapositiven Ansatz können Logistikimmobilien die überschüssige Energie an die Haushalte, Büros und Produktionsbetriebe aus der Nachbarschaft abgeben.

Theoretisch wäre es möglich, 800.000 Haushalte allein durch Logistikimmobilien zu versorgen, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden. Zumal Photovoltaik nicht die einzige Möglichkeit ist, grüne Energie auf Logistikarealen zu erzeugen: Von Blockheiz-kraftwerken auf Basis regenerativer Energien über Windkraftanlagen bis hin zur Geothermie sind die vielfältigsten Ansätze möglich. Zudem lassen sich solche Konzepte ideal mit Ladesäulen verbinden, die eine Umstellung von (im Betrieb sehr teuren) Dieselfahrzeugen und Benzinern auf moderne E-Fahrzeuge ermöglichen.

Ein Mittel gegen die Energieinflation

Im September 2022 lag die offiziell vom Statistischen Bundesamt gemeldete Energiepreissteigerung bei 43,9 Prozent verglichen mit dem Vorjahresmonat. Spätestens seit der extremen Teuerung der fossilen Energieträger zeigt sich auch empirisch nachweisbar, dass der Strompreis umso höher ist, je weniger „grüner“ Strom im Netz ist. Umgekehrt wird der Strompreis günstiger, je mehr auf erneuerbare Energien gesetzt wird.

Von diesen Preissenkungen profitieren nicht nur die Unternehmen (inner- und außerhalb der Logistikimmobilien), die zudem ihre Stromkosten besser kalkulieren können, sondern auch die Bevölkerung und sogar der Einzelhandel. Denn schließlich bedeuten niedrigere Energiekosten für die privaten Haushalte im Umkehrschluss auch eine höhere Kaufkraft.

Die Hürden sind zahlreich

Bis es zu dieser möglichen Win-win-Situation für die Logistikbranche inklusive Projektentwickler, Anwohner und nicht zuletzt für die Kommunen selbst kommt, müssen jedoch mehrere Hürden überwunden werden. Dabei geht es nicht allein um die verfügbaren Netzkapazitäten, die derzeit oft nicht ausreichen, um den gewonnenen grünen Strom ins öffentliche Netz einzuspeisen.

Auch die Regulatorik ist sehr kompliziert: Neue Photovoltaikpaneele müssen nicht nur von (schwer verfügbaren) Fachkräften installiert, sondern auch von ausgewiesenen Spezialisten zertifiziert werden, damit sie in Betrieb genommen werden dürfen. Diese stoßen jedoch aufgrund der gestiegenen Nachfrage an ihre Grenzen – die Folge sind erhebliche Verzögerungen.

Dies sind nur einige der zahlreichen Herausforderungen, die gemeinsam gelöst werden müssen. Doch genauso, wie private Unternehmen ihren Teil dazu beitragen müssen, die Energiewende voranzutreiben, benötigt die Wirtschaft wiederum Rückenwind aus der Politik. Der Grundgedanke, dass Logistikimmobilien zu kleinen „Kraftwerken“ und wichtigen Knotenpunkten einer zukunftsstarken Energieinfrastruktur werden, kann und sollte jedoch dafür sorgen, dass die Neuentwicklung auch großflächiger Objekte viel positiver bewertet wird, als es bislang der Fall ist. Deshalb ist die aktuelle Situation für die Logistik- und Immobilienbranche mit der großen Chance verbunden, das Image endlich nachhaltig aufzuwerten.

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