Mobility 2.0: Herr Dr. Neußer, die Zulassungen von Erdgasfahrzeugen steigen, der absolute Marktanteil ist jedoch mit aktuell 0,2 Prozent sehr gering. Was muss getan werden, damit sich der CO 2-arme Erdgasantrieb als Alternative durchsetzt?
Dr. Heinz-Jakob Neußer: Es gibt mehrere Themen, die man sich anschauen muss. Das wichtigste: Wie sieht die Infrastruktur aus? Heute haben wir etwa 900Erdgastankstellen, also keine vollständige Abdeckung. Das bedeutet für uns als Automobilhersteller: Wir können keine „Single-Fuel“-Fahrzeuge anbieten. Stattdessen haben wir heute Bi-Fuel-Fahrzeuge auf der Straße.
Wobei der kleine Benzintank ja nur einen Notbetrieb erlaubt.
Richtig, so bleibt keiner liegen. Der Passat hat bereits heute einen 31 Liter fassenden Benzintank an Bord. Die nächste Generation unserer Erdgasfahrzeuge - beginnend mit dem neuen Golf - hat jedoch den normalen Tank an Bord, also zusätzlich zum Gasbetrieb die Reichweite des Benzinfahrzeuges. Kombiniert ergibt das eine Reichweite von über 1000Kilometer.
Und wie bekomme ich mein Gepäck unter?
Wir machen keinen Kompromiss bei den Platzverhältnissen. Der modulare Querbaukasten ist von vornherein so angelegt, dass wir vom batterieelektrischen Fahrzeug und Plug-in-Hybrid über konventionelle Benzin- und Dieselmotoren bis hin zum Erdgasantrieb wahlweise alles realisieren können. Dadurch, dass CNG Teil der Plattformstrategie ist, können wir diesen Antrieb mit relativ geringem Aufwand bei vielen Marken - vor allem Seat, Skoda und Audi - einsetzen. Damit tragen wir dazu bei, das Henne-Ei-Problem bei alternativen Antrieben zu lösen: Die Infrastrukturanbieter warten darauf, dass ausreichend Fahrzeuge auf der Straße sind, damit sich die Investitionen rechnen. Wir gehen jetzt in Vorleistung, bringen die Autos auf die Straße und gehen dann davon aus, dass sich die CNG-Infrastruktur auch wirtschaftlich darstellen lässt.
Das bedeutet, dass es alle Autos, die auf dem modularen Querbaukasten basieren, künftig auch mit Erdgasantrieb geben wird?
Wir können das Thema jetzt über alle Klassen ziehen. Auf den Golf, der derzeit eingeführt wird, folgt als nächstes der Golf Variant. Bei den Schwestermarken entscheidet über die Einführungsgeschwindigkeit natürlich auch, wie stark sie in den spezifischen Segmenten vertreten sind. Aber grundsätzlich ist das Antriebsmodul Erdgas zukünftig bei jedem Fahrzeug auf Basis des modularen Querbaukastens einsetzbar.
Gibt es denn Anzeichen dafür, dass Erdgasfahrzeuge auch auf den internationalen Märkten eine Chance haben?
Die Amerikaner überlegen aufgrund des Gasbooms, wie sie eine CNG-Infrastruktur aufbauen können. Momentan gibt es in den USA etwa 1.000 Tankstellen, kaum mehr als hier. Aber die Umweltschutzbehörden auf Bundesebene und in Kalifornien sind interessiert. Man muss jetzt sehen, ob der Infrastrukturaufbau vorangeht.
Wie sieht es in China aus?
Mit dem neuen Santana haben wir CNG in die Taxiflotten gebracht. Das ist in China ein nicht unerheblicher Teil der gesamten Fahrzeugpopulation. Auch in China gewinnt das Thema CNG an Bedeutung, wie überall auf der Welt.
Der politische Wille ist also da - doch was sagen die Kunden?
Die CNG-Technologie ist für den Nutzer wirtschaftlich, da sie sich recht schnell amortisiert. Sie können ein Erdgasfahrzeug mit drei Euro auf 100 Kilometer fahren. Bei einem „Eco Up!“ beträgt der Mehrpreis etwa 2000 Euro. Das hat der Fahrer, abhängig von der Fahrleistung, in zwei bis drei Jahren wieder heraus.
Als Hersteller profitieren Sie vor allem von der günstigen CO 2-Bilanz.
In der Tat können wir mit bestehender und beherrschbarer Technik den CO 2-Flottenausstoß deutlich senken. Allein aus dem günstigeren Kohlenstoff-Wasserstoff-Verhältnis von Methan zu Benzin - CH 4zu C 6H 18- resultieren 12,5 Prozent weniger CO 2, wenn sie Methan verbrennen. Hinzu kommt der bessere Heizwert des Methans in etwa der gleichen Größenordnung, so dass man in Summe auf einen CO 2-Vorteil von rund 25 Prozent kommt.
Wie sähe denn ein Motor aus, der nicht bivalent ausgelegt, sondern allein auf Erdgasbetrieb optimiert wird?
Wir brauchen die bivalente Lösung, solange wir keine flächendeckende Infrastruktur haben. Für die ferne Zukunft, wenn Erdgas überall zur Verfügung steht, könnte man den Motor noch optimieren und den einen oder anderen Punkt Wirkungsgrad holen - insbesondere ließen sich so die 130 Oktan, die Erdgas bietet, besser ausnutzen. Generell kann man sagen, dass alles, was wir tun, um benzinbetriebene Ottomotoren zu verbessern, auch dem Erdgasmotor zugutekommt. Das sind Maßnahmen wie Reibungsoptimierung, Thermomanagement, optimierte Verbrennungsverfahren, die in Summe ein Potential von zehn und mehr Prozent Wirkungsgradsteigerung haben.
Im „Up!“ bieten Sie noch einen Saugmotor an. Gehört dem Turbo nicht auch beim Erdgasmotor die Zukunft?
Die Downsizing-Konzepte, die wir beim Benziner verfolgen, sind natürlich auch für den Erdgasmotor gültig. Bei der Erdgasverbrennung haben wir zudem einen höheren stöchiometrischen Luftbedarf als beim Benzin. Da kommt einem der Turbolader extrem entgegen, um hohe Leistungen zu erzeugen. Allerdings benötigt man auch ein Angebot für das Einstiegssegment mit 50 kW. Dafür muss man einen Dreizylindermotor nicht aufladen.
Ist für Sie denn auch vorstellbar, Hybridfahrzeuge mit Erdgasmotor anzubieten?
Dass wir dies momentan nicht tun, ist nicht eine Frage der Fahrphysik, sondern der Energiespeicher: Dann wäre mit der Batterie der dritte Speicher an Bord - dafür ist schlicht kein Platz, solange wir uns in einer Welt bewegen, in der wir den Benzintank noch benötigen. Sollten wir eines Tages eine flächendeckende Infrastruktur geben, könnte es durchaus auch CNG-Hybride geben.
Solange Sie bivalente Antriebe einsetzen: Ist es denn für den Kunden nicht verlockend, aus Bequemlichkeit auch den Benzintank regelmäßig leerzufahren?
Der Benzintank ist ganz klar die Notlösung für den Fall, dass keine Erdgastankstelle in der Nähe ist. Denn der CNG-Betrieb ist um rund 60 Prozent kostengünstiger, da verzichtet doch keiner freiwillig darauf.
Aufgrund der unterschiedlichen Auszeichnung können Verbraucher ja aber kaum unterscheiden, was Erdgas und Benzin im Vergleich kosten.
Die Auszeichnung an den Tankstellen erfolgt derzeit in Euro pro Kilogramm. Der Kunde müsste also zwischen Kilo- und Literpreis umrechnen und den spezifischen Heizwert einbeziehen können. Wir arbeiten gemeinsam mit der Politik daran, dass Erdgas an den Tankstellen mit einem Benzinäquivalent ausgezeichnet wird. Wenn das erfolgt, kann der Kunde sich ausrechnen, ob sich ein Erdgasfahrzeug für ihn lohnt.
Für den Kunden entscheidend ist aber auch, ob die Steuerermäßigung auf Erdgas, die 2018 ausläuft, verlängert wird.
Auch hierzu sind wir in Gesprächen. Alternative Betriebsstoffe brauchen in der Aufbauphase Unterstützung. Wenn irgendwann einmal eine Sättigungsphase erreicht ist, dann kann sicher jeder Kraftstoff für sich sein Potenzial ausloten. Und schließlich unterstützen wir mit Erdgasantrieben vor allem die Klimaziele: 25Prozent weniger CO 2bei gleichem Kundennutzen. Und die Ersparnis kann mit Biogas noch viel größer ausfallen.
Kraftstoffe aus Biogas - das sehen viele Kunden allerdings sehr kritisch.
Tatsächlich müssen wir uns damit beschäftigen, wie das Biogas erzeugt wird. In der zweiten Generation, wo wir Abfallstoffe verwenden, sollte es keinen Grund mehr geben, eine Teller-oder-Tank-Diskussion zu führen.
Audi steigt mit der Methanisierung von Windstrom noch tiefer in die Wertschöpfungskette ein. Inwieweit ist das ein Geschäftsmodell für den gesamten Konzern?
Wir müssen über die gesamte Prozesskette bis hin zur Kraftstoffbereitstellung Zeichen setzen, damit Andere - Mineralölfirmen beispielsweise - dann in das Geschäft einsteigen. Das ist mit dem Ansatz von Audi gelungen. Wie wir mit dem Thema umgehen, wenn die Population deutlich wächst, dazu haben wir noch keine Entscheidung getroffen.