Smart Integration Erneuerbare Energien im Einklang mit dem Denkmalschutz

Geisa: Die Stadt auf dem Bergsporn ist noch vollständig von der mittel­alterlichen Stadtmauer umschlossen.

Bild: DSK
21.10.2014

Die Altstadt der Kleinstadt Geisa in Thüringen liegt heute noch komplett innerhalb der historischen Stadtmauern. Was ein Traum für Denkmalschützer ist, bietet besondere, aber lösbare Herausforderungen für eine moderne Energieversorgung.

Die Stadt Geisa hat mit ihren elf Ortsteilen rund 4700 Einwohner. Darüber hinaus ist Geisa erfüllende Gemeinde für sieben weitere Orte. 817 erstmals urkundlich erwähnt, wurde die Stadt ab 1265 mit einer Mauer umfasst, die in ihrer Grundsubstanz bis heute nahezu vollständig erhalten ist. Geisa liegt in der Thüringer Rhön direkt an der Grenze zu Hessen und war damit 40 Jahre lang während der deutschen Teilung die westlichste Stadt des Warschauer Vertrages. Mit dem Ausgang des Zweiten Weltkrieges geriet Geisa in ein 40 Jahre währendes Abseits: Die Grenzbefestigungen ab 1952 führten zur Abkopplung von Verkehrswegen, gewachsenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verbindungen, zu Zwangsaussiedlungen und zur Ausweisung einer kilometerweiten Sperrzone. Ab 1961 wurde der Grenzstreifen als „antifaschistischer Schutzwall“ zu einer unüberwindbaren Barriere ausgebaut. Zu Zeiten des Kalten Krieges standen sich unmittelbar westlich von Geisa am „Point Alpha“ Nato und Warschauer Vertrag auf Tuchfühlung gegenüber. Seit dem Mauerfall 1989 arbeitet Geisa daran, an alte Verbindungen wieder anzuknüpfen und ein eigenes wirtschaftliches und sozialkulturelles Profil herauszuarbeiten.

Heute kann man der Stadt Geisa aufgrund ihres umfangreichen Arbeitsplatzangebotes, der positiven Bevölkerungsentwicklung, der reizvollen naturräumlichen Lage und des Sitzes der „Point-Alpha-Stiftung“ mit „Point-Alpha-Akademie“ ein überdurchschnittliches Entwicklungspotenzial bescheinigen. Und auch bei der Energieversorgung geht die Stadt neue Wege: 2013 wurde für die Altstadt innerhalb der historischen Stadtmauer ein integriertes Klimakonzept erarbeitet und durch die Förderbank KfW als Pilotprojekt unterstützt.

Ein Quartier, zahlreiche Synergien

Die energetische Betrachtung eines gesamten Quartiers ermöglicht zahlreiche Synergien, die weit über die isolierte Betrachtung des einzelnen Gebäudes hinausgehen. Die Umsetzung der aufgezeigten Ziele soll im Quartier die Möglichkeit bieten, dass die Gebäudeeigentümer aus dem gesamten Sanierungsprozess, aber auch von den unmittelbaren Nachbarn lernen können. Das Quartier wird zur zentralen Handlungsebene für den kommunalen Klimaschutz. Für die Altstadt von Geisa werden umfangreiche Lösungsansätze aufgezeigt, die für andere Thüringer Kleinstädte beispielhaft sind und im Zusammenhang mit der Internationalen Bauausstellung in Thüringen 2019 umgesetzt werden sollen.

Es besteht also der Konflikt zwischen der Bewahrung einer einzigartigen Stadtstruktur als Baustein einer lokalen Identität und ihrer historischen Tradition und dem gleichberechtigten Anspruch der Bewohner der Altstadt auf eine moderne Lebensweise und eine bezahlbare Energieversorgung. Als Konfliktpotenzial für den Energiewandel in der historischen Altstadt stehen eine Reihe von Punkten wie Dächer kontra Solar und Photovoltaik, historische Fassaden kontra Wärmedämmung, kaum Flächenpotenzial aufgrund der kleinteiligen Bebauung, beengte Verkehrsbedingungen und Forderungen des Denkmalschutzes und der Gestaltungssatzung. Auf der anderen Seite gibt es die besonderen Potenziale, die zur Erzeugung von Energie zur Verfügung stehen wie Holz aus städtischen Wäldern, Erzeugung von Energie durch Solar- und Photovolaik­anlagen außerhalb der Altstadt, etwa im Gewerbegebiet, oder Geothermie mit Einschränkungen außerhalb der Altstadt. Das integrierte Klimakonzept zeigt Wege auf, um eine Fülle von Zielen zu erreichen. Dazu gehören die Selbstversorgung der Altstadt mit Energie, die Nutzung regionaler und lokaler Ressourcen und damit Wertschöpfung aus der Umgebung, die Bewahrung der Altstadtstruktur sowie die Schaffung einer emissionsfreien Altstadt.

Für die Nutzer vor Ort sollen in den nächsten Jahren Beispielprojekte entstehen. Die Maßnahmen in Geisa sollen einen Beitrag zu einem wissenschaftlich begründeten Leitfaden für die Energieversorgung unter den Bedingungen des Denkmalschutzes leisten. In der historischen Altstadt von Geisa werden Möglichkeiten und konkrete Wege aufzeigt, um die Belange des städtebaulichen Denkmalschutzes und den energetischen Wandel sinnvoll miteinander zu verknüpfen.

Übergeordnetes Konzept

Die Nutzung erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz müssen in einer historischen Altstadt innerhalb der historischen Strukturen erfolgen. Energieeffizienz wird auch hier zu einem wichtigen Baustein einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Die energetische Erneuerung von Städten umfasste bislang auf Grund der auf Einzelgebäude ausgerichteten Förderpraxis eher „zufällige“ Einzelmaßnahmen. Gesamtstädtisch weisen sie nur eine geringe Effizienz und sind nicht in ein übergeordnetes quartiersbezogenes Maßnahmen- und Versorgungskonzept integriert. Das integrierte energetische Quartierskonzept für die Altstadt der Stadt Geisa bildet eine strategische Entscheidungsgrundlage und Planungshilfe für eine an der Gesamteffizienz energetischer Maßnahmen ausgerichteten Investitionsplanung.

In der Geisaer Altstadt mit ihrem mittelalterlichen Grundriss, die noch vollständig von der historischen Stadtmauer umgeben ist, sollen die Anforderungen der Denkmalpflege und damit der Erhaltung der historischen Bausubstanz und die Anforderungen der Energiewende in Einklang gebracht werden. Im Konzept wird nachgewiesen, dass sich die Erhaltung der historischen Bausubstanz und die intelligente Nutzung erneuerbarer Energien sehr gut miteinander verbinden lassen. Ein erster Ansatz besteht mit den beiden bereits in Betrieb gegangenen Nahwärmeversorgungen des Schlossensembles und des Kulturhauses auf Grundlage von Pellet- und Hackschnitzel­heizungen, die Gebäude in der unmittelbaren Umgebung beheizen. Im Ergebnis der Untersuchungen hat sich heraus­gestellt, dass in einer denkmalgeschützten Altstadt wie Geisa, regenerative Energien nur sehr eingeschränkt zum Einsatz kommen können. Trotzdem sollen CO2-Emissionen erheblich reduziert werden. Ziel ist eine klimaneutrale Altstadt.

Nahwärmeversorgung als gangbarer Weg

Ein beachtlicher Teil der globalen CO2-Emissionen entfällt auf das Heizen. In einer Stadt wie Geisa, die aufgrund ihrer Lage in der Rhön geringere Jahresdurchschnittstemperaturen aufweist, ist dies ein gewaltiges Potenzial. Nur wenige Hauseigentümer haben ihre Heizung aber bisher auf Holz umgestellt. Hier stellt auch der größere Bedarf an Lagerfläche für die Hackschnitzel oder die Pellets in der kleinteiligen und engen Altstadt einen begrenzenden Faktor dar. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes kann nur im gesamten Quartier durch eine Nahwärmeversorgung erreicht werden. Da die Stadt Geisa einen Stadtwald mit einer Fläche von rund 1200 Hektar besitzt, bietet es sich an, das Brennmaterial Holz durch diese kontinuierliche Durchforstung bereitzustellen. Hackschnitzel von gewerblichen Anbietern der Region aus Resthölzern sind ebenfalls einsetzbar. Die bestehenden Nahwärmenetze am Schlossplatz und am Kulturhaus sollen sinnvollerweise in das Gesamtkonzept mit einbezogen werden.

Ursprünglich sollte ein Nahwärmenetz mit einer neuen Biomasseanlage errichtet werden, das die Kernstadt mit Wärme versorgt. Als Standorte waren Baulücken in der Innenstadt vorgesehen. Jedoch wäre die Anlieferung der Hackschnitzel per Lkw schwierig und ist auch aufgrund der baulichen Bedingungen nur mit einem sehr hohen Kostenaufwand zu realisieren. Daraufhin wurden die bestehenden Biomasseanlagen am Schlossplatz und am Kulturhaus in die Überlegungen miteinbezogen, da im Jahresverlauf nur an wenigen Tagen die Spitzenleistung eines Wärmeerzeugers benötigt wird.

In einer ersten Variante wurde die vorhandene Biomasse­anlage (Schlossplatz) für die Abdeckung der zusätzlichen Wärmekunden im Kernort zur Wärmeerzeugung herangezogen. Eine zusätzlich größere Spitzenkesselleistungsanlage mit Pufferspeicher in der Ortsmitte berücksichtigt den fehlenden Leistungsbedarf mit Ölkesseln. Der Biomasseanteil der Wärmeerzeugung beläuft sich bei dieser Variante auf etwa 85 bis 88 Prozent. Mit zusätzlichen 25 Prozent Mehrleistung und Wärmeabsatz für eventuell weitere Abnehmer ergibt sich bei dieser Variante eine Abdeckung von etwa 78 bis 81 Prozent des Wärmebedarfs über den Biomasseanteil. In einer zweiten Variante ist die Biomassekesselanlage am Kulturhaus zusätzlich zu der bestehenden Anlage am Schlossplatz in ein Gesamtkonzept miteinbezogen worden. Auch hier hat sich gezeigt, dass die benötigte Wärmeenergie für die interessierten Anschließer zu 93 bis 96 Prozent aus Biomasse kommen kann. Bei einer zusätzlichen Wärmeanschließerquote von 25 Prozent ergibt sich noch ein Anteil von 82 bis 86 Prozent Biomassewärme für diese Anlagenvariante. Die günstigste Anlage ist die Variante unter Einbeziehung von zwei Biomasseanlagen und einer maximalen Anzahl an Wärmeabnehmern.

Die Organisation einer kommunalen Wärmeversorgung könnte auf verschiedene Weise erfolgen:

  • Ein privater Wärmedienstleister betreibt und finanziert die Anlage und rechnet sie ab. Vorteil: Die Projektabwicklung erfolgt über Externe und bindet keine eigenen Kapazitäten. Nachteil: Wärmekosten fallen durch den Gewinnaufschlag oft höher aus. Auch ist das Vertrauen in einen externen Dienstleister nicht in gleicher Weise vorhanden.

  • Eine Genossenschaft oder Gesellschaft mit kommunaler Beteiligung wird ins Leben gerufen, die das Projekt finanziert und betreibt. Vorteil: Kosten und die Verantwortlichkeiten sind auf mehrere Stellen verteilt. Nachteil: Die oft schwierige Entscheidungsfindung in der Projektrealisierung und im Betrieb der Anlage. Auch sind die Kapitaleinlagen zu verzinsen und Aufwendungen zu vergüten.

  • Die Stadt übernimmt die Projektabwicklung und Wärmeversorgung in Eigenregie, als städtischen Betrieb oder als Tochtergesellschaft (GmbH). Vorteil: Die Belange der Stadt können bei der Umsetzung des Projekts direkt umgesetzt werden und die Entscheidungswege sind kurz. Zudem lässt sich so ein Projekt günstig finanzieren, und auch mögliche Wärmekunden schenken bekannten Strukturen ein höheres Vertrauen. Nachteil: Die Belastung des städtischen Haushalts oder der stadteigenen Gesellschaft und der zusätzliche personelle Aufwand.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Umsetzung der Wärmeversorgung aus technischer und organisatorischer Sicht realisierbar, sowie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll ist und die Chancen auf eine ausreichende Anschlusswilligkeit gut sind. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Nahwärmenetz nur realisierbar ist, wenn die beiden vorhandenen Biomasseanlagen in das Gesamtkonzept einbezogen werden und wenn durch den Freistaat Thüringen, den Bund oder die EU Fördermittel als Zuschuss in einem bedeutenden Anteil zur Verfügung gestellt werden, da der Baukostenzuschuss der KfW allein nicht ausreicht. Zudem müssen der Betrieb und Betriebsführung über die Stadt oder eine stadteigene Organisation erfolgen.

Energetische Potenziale

Bei der Bestandserhebung und der Potenzialermittlung zeigte sich, dass für das Quartier der Altstadt umfangreiche Möglichkeiten der Bedarfsminimierung bestehen, auch wenn die uneingeschränkte Dämmung der Außenfassaden nicht möglich ist. Durch die energetische Sanierung der Gebäude, vor allem durch den Einbau neuer Fenster, die Dämmung der Kellerdecke, der oberen Geschossdecke oder des Daches können umfangreiche Einsparpotenziale generiert werden.

Der Verkehr bietet nur geringe Einsparpotenziale durch die Erhöhung der Bedienung der Altstadt durch den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV), den Bau eines Parkhauses am Rande der Altstadt für die Tagungsteilnehmer der „Point-Alpha-Akademie“ und die Beschäftigten in der Altstadt, und die Schaffung von Anreizen, kürzere Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen. Auch im Bereich der energetischen Effizienzsteigerung bestehen im Quartier erhebliche Potenziale, um den Energiebedarf und CO2-Emissionen zu reduzieren, etwa durch den Anschluss der Gebäude der Altstadt an die Nahwärmeversorgung und die Umstellung aller Straßenlampen auf LED-Leuchtmittel. Mit der Umstellung wurde bereits begonnen.

Neben den Klimaschutzmaßnahmen gewinnen auch zunehmend Maßnahmen zur Anpassung an veränderte Klima­bedingungen an Bedeutung. Es geht darum, die Folgen der Klimaerwärmung zu managen. Da künftig häufiger mit Starkregenereignissen zu rechnen ist, sind die Entwässerungsleitungen entsprechend zu bemessen. Dies wurde bei den bisherigen Straßenbaumaßnahmen in der Altstadt beachtet. Durch die umfangreiche Begrünung der öffentlichen Straßen und Plätze steht im Sommer ein großes Verschattungs- und Verdunstungspotenzial zur Verfügung. Außerdem hilft die Kohlenstoffspeicherung der Bäume bei der Reduzierung der CO2-Emissionen. Mit dem Schlossgarten wird eine grüne Oase innerhalb der Altstadt geschaffen. Die Begrünung von Gebäudefassaden soll angeregt werden und Hofflächen entsiegelt werden.

Der Prozess der energetischen Stadtsanierung soll in der Altstadt durch einen energetischen Sanierungsmanager begleitet und koordiniert werden. Außerdem wird versucht, eine monatliche energetische Sanierungsberatung für die Haus­eigentümer durch die Verbraucherberatung Thüringen zu initiieren. Durch den Sanierungsmanager werden die Hauseigentümer bei der Umsetzung der in diesem Konzept entwickelten Maßnahmen umfangreich fachlich begleitet und unterstützt. Gemeinsam mit den Eigentümern soll nach geeigneten Fördermöglichkeiten gesucht werden.

Bürgerbeteiligung und Erfolgskontrolle

Vorhandene Netzwerke sollen genutzt und weiter ausgebaut werden. Die im Konzept aufgezeigten Ziele können nur erreicht werden, wenn möglichst zahlreiche Hauseigentümer von einer Mitwirkung überzeugt werden. Deshalb soll umfangreich in Bürgerversammlungen und in der Presse informiert werden. Durch Controlling soll sichergestellt werden, dass das Konzept den sich ändernden Bedingungen und Einflussfaktoren kontinuierlich angepasst wird. Hierbei muss überprüft werden, ob die einzelnen festgelegten Maßnahmen erfolgreich durchgeführt wurden und ob der CO2-Ausstoß im Gebiet zurückgegangen ist. Sanierungsmanager und Stadtverwaltung müssen konkrete Teilziele festlegen, die eine detaillierte Überprüfung der Ergebnisse ermöglichen. Jährlich sollen dem Stadtrat entsprechende Berichte vorgelegt werden.

Strategie zum quartiersbezogenen Klimaschutz

Mit dem vorliegenden Konzept hat die Stadt Geisa auf der Grundlage der konkreten Bedingungen in der Altstadt und den nationalen und internationalen Klimaschutzzielen eine umfangreiche Strategie zum quartierbezogenen Klimaschutz erarbeitet. Die dargestellten Ziele sollen bis 2020, 2035 und 2050 erreicht sein. Insgesamt wurde für die Geisaer Altstadt ein erhebliches CO2-Einsparpotenzial von 959 Tonnen pro Jahr bis zum Jahr 2050 ermittelt. Dies entspricht einer Reduzierung um zwei Drittel. Es sind also anspruchsvolle Ziele gesetzt, die nur in einer engen und verantwortungsbewussten Zusammenarbeit aller Akteure erreicht werden können.

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